Donnerstag,
12.09.2019 - 00:00
8 min
Rouven Schröder: „Mainz 05 braucht kein Mitleid“

Von Henning Kunz
Sportredakteur Mainz

Archivfoto: DeFodi (Archivfoto: DeFodi)
MAINZ - Mainz. Am liebsten würde Rouven Schröder, 43, sofort weitermachen. Mit dem Heimspiel gegen Hertha BSC. Um endlich das erste positive Ergebnis der Saison zu landen. Doch auch der Sportvorstand des Fußball-Bundesligisten Mainz 05 muss sich bis Samstagnachmittag gedulden – und nimmt sich im Interview die Zeit, über die emotionale Gemengelage am Bruchweg, komplexe Transfergeschäfte und eben das anstehende Duell des Letzten gegen den Vorletzten zu sprechen.
Herr Schröder, was machen Sie, damit nach dem Start mit vier Pflichtspielniederlagen in Folge keine Hysterie ausbricht?
Wenn hier jemand hysterisch werden würde, würden wir ihn schnell und deutlich daran erinnern, wer wir sind, wo wir herkommen, welche Erfahrungen wir gemacht und gemeinsam gemeistert haben. Grundsätzlich haben wir in der sportlichen Leitung ein klares Miteinander – im Positiven wie im Negativen. Und es gibt wirklich keinen Grund, als Mainz 05 hysterisch zu sein. Wir haben die Antennen ausgefahren. Es muss sich niemand sorgen, dass wir mit einer Das-wird-schon-Mentalität die Sache angehen. Wir lassen uns nicht von Stimmungen treiben, lassen uns nicht blenden, sondern arbeiten jeden Tag hart und gewissenhaft daran, uns zu verbessern – das auch mit dem Wissen, wie es funktioniert und der Überzeugung, dass wir bald auch wieder positive Schlagzeilen schreiben werden.
Die positiven Schlagzeilen hätten die Mainzer schon in den ersten drei Spielen schreiben können, wäre nicht kurz vor Schluss so ziemlich alles schief gegangen.
Bei aller Kritik über die ausgebliebenen Ergebnisse sehen wir immer den positiven Ansatz, den du brauchst, um ein positives Ergebnis zu erzielen. Was war so gut, dass wir es beibehalten können? Und an welchen negativen Dingen müssen wir arbeiten? Über allem steht das Hinfiebern auf den nächsten Spieltag, um wieder die Möglichkeit auf ein positives Ergebnis zu bekommen und den Trend in die richtige Richtung zu drehen. Sich ständig mit den negativen Aspekten zu befassen und sich darüber zu beklagen, zieht einen nur runter und ist aus meiner Sicht völlig undenkbar.
Die aktuellen Zahlen spielen also eine untergeordnete Rolle?
Uns muss niemand daran erinnern, dass wir mit null Punkten auf dem letzten Platz stehen. Auch wir kennen die Tabelle. Aber es ist auch nicht zum ersten Mal, dass Mainz 05 in so einer Situation steckt. Es gab schon weit längere Durststrecken. Wir suhlen uns nicht in der Niederlage. Und niemand muss Mitleid mit uns haben. Fußball läuft nicht immer geradeaus und planbar. Wichtig ist, dass wir eine richtige Balance finden. Wenn es gut läuft, nicht alles hochzujubeln. Wenn es schlecht läuft, nicht alles schlecht zu reden.
Also: Immer weiter, immer positiv bleiben…
Es gibt keinen anderen Ansatz. Wie soll man aus einer schwächeren Phase rauskommen, wenn man nicht positiv denkt? Durch positive Gedanken entsteht Selbstvertrauen. Wir haben einen starken Cheftrainer mit Sandro Schwarz, ein akribisches und qualifiziertes Team um ihn herum und hohe Qualität im Kader, auch wenn wir noch keinen Punkt auf dem Konto haben. Letzteres müssen wir ausklammern. Wir müssen uns aufs Wesentliche konzentrieren und mit großer Selbstverständlichkeit, Lust, Bereitschaft und Biss auftreten.
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Nun trifft am Samstag der Tabellenletzte auf den Vorletzten und nicht wenige sprechen vom Kellerduell schlechthin. Wird das Spiel zu hoch stilisiert?
Bei uns überhaupt nicht. Wir brauchen keinen Slogan und keine Kampagne. Es ist für uns nicht: das Spiel schlechthin. Es ist ein Bundesliga-Spiel am vierten Spieltag und nicht am 30., an dem die Messe bereits gelesen ist, und es ist ein Heimspiel gegen Hertha BSC – und die große Möglichkeit, wieder positiv zu agieren, positiv zu wirken und ein positives Ergebnis zu erzielen. Und so ist es momentan: Wir fokussieren uns Woche zu Woche und machen unseren Job, um unsere Situation zu verändern und zu verbessern. Wir kennen die Mechanismen des Geschäfts und die Interpretationen: Du kannst die ganze Woche im Training Ball über die Schnur spielen – wenn du am Wochenende 2:0 gewinnst, dann hast du in der Wahrnehmung vieler alles richtig gemacht. Wir bleiben da lieber bei den Inhalten.
Erinnern Sie sich noch an Ihren ersten Gedanken, als feststand, dass Ihr Toptorjäger Jean-Philippe Mateta längerfristig ausfällt?
Wir wussten sofort, dass wir irgendwie mit diesem Ausfall umgehen müssen und dass es schwer wird, ihn Eins-zu-eins zu ersetzen. Trotzdem haben wir genügend Qualität in unserem Kader, mit der wir auch so eine Situation kompensieren können und auch müssen. JP ist ein schwerwiegender Verlust. Das wollen wir nicht als Alibi nutzen, um irgendwelche Dinge zu begründen. Wenn einer, der aus der zweiten französischen Liga kommt, 14 Tore in seiner Premierensaison in der Bundesliga erzielt und sich so gut entwickelt, dann ist davon auszugehen gewesen, dass er seinen Weg fortgesetzt hätte – und auch fortsetzen wird.
Wenn da nicht die Zwangspause dazwischen gekommen wäre...
Klar, du bekommst schon je nach Schwere und Dauer der Verletzung ein Gespür davon, ob da einer plötzlich für längere Zeit wegbricht, mit dem du vorher fest geplant hast. Und dann stellt sich natürlich die Frage nach der Alternative auf dem Transfermarkt. Jeder andere große und potente Verein hätte für den schwerwiegenden Ausfall einen schwerwiegenden Millionentransfer getätigt. Unser Budget ist da natürlich begrenzt. Und wir haben keinen Investor, der uns so einfach mal die finanziellen Mittel außerhalb des geplanten Budgets für einen neuen Stürmer zur Verfügung stellt. Wir müssen das Geld erst mal verdienen, bevor wir es ausgeben können. Aber klar, in dem Moment eines langfristigen Ausfalls schrillen in der Scouting-Abteilung erst mal die Alarmglocken. Bei den langfristigen Ausfällen von Stefan Bell und Dong-Won Ji war das nicht anders.
Muss man sich das wie einen (Transfer-)Krisenstab vorstellen?
Wenn feststeht, dass man zeitnah einen Ersatz benötigt, kommt schnellstens ein kleiner Kreis mit Sandro Schwarz und mir zusammen und bespricht die möglichen Kandidaten. Man darf dabei nicht die Komplexität eines solchen Transfers vergessen: die Wirtschaftlichkeit, die Verfügbarkeit und natürlich das Profil des Spielers an sich. Da muss alles passen. Es werden Fakten, Verfügbarkeiten, Möglichkeiten gecheckt, es wird quer verglichen, gesichtet, besprochen.
Wann rechnen Sie mit Matetas Rückkehr?
Wir hatten mindestens drei Monate gesagt, konkreter können wir es noch nicht fassen. Wir wollen dem Spieler auch keinen Rucksack aufbinden. Bislang läuft JPs Reha sehr gut, wir sind voll zufrieden und hoffen natürlich – wie auch bei Dong-won Ji und Stefan Bell - auf eine schnellstmögliche Rückkehr, denn dann haben wir noch mehr Konkurrenz im Kader.
Und Sie sind praktisch immer auf der Suche nach neuen internen Konkurrenten. Wie kompliziert und komplex ist es, den Transfermarkt im Blick zu behalten?
Es ist ein steter, ganzjähriger Prozess. Begrifflichkeiten gibt es dafür viele: Wunschliste, Short List, Schattenmannschaft. Auf jeder Position gibt es dann zwei, drei, vier Spieler, die vom Alter und Profil passen würden – und diese werden auf die wichtigsten Fragen ständig überprüft: Wie lange läuft der Vertrag noch? Wie passt er in welches System? Will er überhaupt weg? Welcher Spieler könnte trotz laufenden Vertrags verpflichtet werden? Nach und nach werden die Kontakte bespielt, werden die Spieler auf Video und live vor Ort gesichtet, das Interesse hinterlegt.
Wo muss man eigentlich mehr Rückschläge einstecken? Auf dem Platz oder auf dem Transfermarkt?
Auf dem Sportplatz ist es öffentlich. Als Mainz 05 erlebst du aber auch bei den Transfers schon öfter mal Rückschläge. Nur weil du dich mit dem Spieler und dem Management einigst, heißt das ja noch lange nicht, dass du den Spieler auch bekommst. Gerade als Scout muss man hart im Einstecken von Enttäuschungen sein, deshalb ist es auch gut, dass ich diese Erfahrung lange Jahre persönlich sammeln konnte...
Immer auf Achse, um den richtigen Spieler zu entdecken.
Du fährst Tag für Tag, Woche für Woche für den Verein durch die Weltgeschichte und fragst dich, wer könnte wie am besten passen. Dann schaust du dir deine Kandidaten an und siehst ihn an einem guten Tag, an einem schlechten Tag, dann auf einmal ohne jegliche Info auf der Bank sitzend oder kurzfristig verletzt und gar nicht im Kader. Dann schlägst du einen Spieler vor, der wird gar nicht in Betracht gezogen, weil Trainer und Vorstand einen anderen bevorzugen. Oder dein Wunschkandidat, den du zehn Mal gesehen und für gut befunden hast, liefert ausgerechnet an dem Tag, an dem Trainer und Sportvorstand zur „Endabnahme“ vorbeikommen, nicht ab. Da darfst du nicht fertig machen und es persönlich nehmen. Jede Sichtung ist elementar wichtig. Das Verhinderungsscouting vielleicht sogar noch wichtiger. Wir möchten einen Spieler z.B. für sechs bis acht Millionen Euro verpflichten und der Scout sieht bei seinen Sichtungen, dass er der Spieler das einfach nicht wert ist. So kannst du auch viel Geld sparen.
Welchen Transfer – so lukrativ er auch erscheint – würden Sie kategorisch ablehnen?
Wenn es charakterlich nicht passt. Wenn wir merken, das ist kein Mainz-05-Spieler. Es gab schon Fälle, da waren wir mit Verein und Management einig und haben im persönlichen Gespräch gemerkt, dass der Spieler von seiner Art, seiner Ausstrahlung und seinem Auftreten so überhaupt nicht zu uns passt. Da fragt man sich schon, ob er sich überhaupt auf die Aufgabe und den Verein einstellen kann oder ob es ihm völlig egal ist, ob er in Rot, Gelb oder Grün aufläuft, solange das Geld stimmt. Tangiert es ihn überhaupt, ob er in der Opel Arena spielt, beschäftigt er sich mit unserem Verein oder ist er mit Gedanken schon wieder woanders?
An den Verhandlungstischen der Fußballwelt sitzen so viele unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Interessen. Muss man sich als Manager eine gewisse Dickhaut aneignen?
Zum Glück habe ich keine Haare mehr, sonst würde ich mir die während so einer Transferperiode ausreißen. Diese Aufs und Abs können schon kribbeln verursachen und emotionalisieren. Du hast das Gefühl, dass eine Sache läuft, dass es in die richtige Richtung geht und im nächsten Moment stellst du wieder fest, dass nichts steuerbar ist und es keine Sicherheiten und Verbindlichkeiten gibt. Es gibt Irrungen und Wirrungen, Verletzungen, kurzfristige Manager- und Beraterwechsel, unkontrollierbare Vereinsverantwortliche. Es sind nun mal Menschen mit Gefühlen und Ängsten im Spiel. Alle sind in dieser Phase unter Strom und da kann sich eine Entspanntheit binnen Sekunden mit einer Nachricht verändern. Du arbeitest immer am Wunsch – und wenn du den nicht erfüllt bekommst, dann gibt es einen kurzfristigen Frustmoment. Aber dann hilft zum Glück die positive Denke und den direkten Ansporn die nächste Herausforderung im Sinne des Vereins anzugehen. Das ist das Geschäft und zu lange Aufhalten mit der Vergangenheit ist nicht praktikabel. Hebel umlegen, los und die Zukunft anpacken!