So grau das Image des VfL und der Stadt Wolfsburg auch sein mag, langweilig wird es bei den Niedersachsen jedenfalls nicht. Es ist nicht lange her, da galt der Verein noch als...
WOLFSBURG. So grau das Image des VfL und der Stadt Wolfsburg auch sein mag, langweilig wird es bei den Niedersachsen jedenfalls nicht. Es ist nicht lange her, da galt der Verein noch als heißester Kandidat auf die Rolle des Bayern-Verfolgers Nummer eins. Doch die VW-Millionen fließen nicht mehr so üppig wie ehedem, und wenn es bei den „Wölfen“ eine Konstante gibt, dann ist es die fehlende Konstanz.
Nachdem Felix Magath den VfL 2009 sensationell zum Deutschen Meister gemacht hatte, dauerte es gerade ein halbes Jahr, ehe sein Nachfolger Armin Veh entlassen wurde. Nicht Steve McClaren, der europäisches oder doch zumindest britisches Flair durch die Volkswagen-City wehen lassen sollte, und auch nicht Rückkehrer Magath war es, der danach den Erfolg zurückbrachte, sondern der gern als hausbacken bezeichnete Dieter Hecking. Das passte eine zeitlang nicht nur vom Image her. Über 30 Millionen Euro für WM-Final-Vorlagengeber Andre Schürrle schienen den Vizemeister von 2015 in neue Sphären zu hieven, ehe ein Bundesliga-Rekordtransfer den Niedergang einläutete: Kevin de Bruyne ging für 75 Millionen auf die Insel, Wolfsburg war vom angehenden Riesen zur Durchlaufstation im Karriereplan der Hochbegabten zurückgestutzt worden. Der ziemlich ruchlos erzwungene Abgang Julian Draxlers, der nun in Paris sportlich aufblüht, verfestigte diesen Eindruck.
Sportlicher Kater
Auf den Diesel-Skandal bei VW folgte der sportliche Kater beim VfL. In dem Klub, in dem sinnvolles Wirtschaften lange Zeit schlichtweg nicht nötig war, soll plötzlich der Gürtel enger geschnallt und perspektivisch gearbeitet werden. Das ist nichts weniger als ein Kulturwandel, und ein solcher geht selten ohne Reibungsverluste vonstatten. Obwohl mit Namen wie Mario Gomez, Luiz Gustavo, Jakub Blaszczykowski oder Ricardo Rodriguez prominent besetzt, taumelt das Team der Abstiegszone entgegen.
Auch wenn im Winter noch einmal tief in die Tasche gegriffen wurde – unter anderem für den von Mainz 05 geholten Yunus Malli –, setzte es aus sechs Rückrundenspielen vier Niederlagen. Das trotz eklatantem Chancenplus 1:2 verlorene Keller-Duell mit Werder Bremen kostete nun Trainer Valerien Ismael, der erst im Oktober nach der Entlassung Heckings das Ruder übernommen hatte und seither wie ein Lehrling in der Probezeit wirkte, den Job. Eine sonderbare Entscheidung nach eigentlich ansprechender Leistung und nur 14 Tage nach dem 2:1-Heimsieg gegen die sonst so stabile TSG Hoffenheim.
Doch die Hire-and-Fire-Mentalität ist in Wolfsburg spätestens seit Magaths Zeiten fest verankert. Fünf Siege aus 15 Spielen holte Ismael, die „Eindrücke und Resultate aus den letzten Wochen und Monaten“ gibt Sportdirektor Olaf Rebbe als Beweggrund an. Und mit Entscheidungen wie jenen, den Sechser Gustavo und Rodriguez, der kürzlich noch als einer der besten Linksverteidiger der Liga galt, ins Deckungszentrum zu schieben, sorgte Ismael seinerseits für Stirnrunzeln – mindestens ebenso sehr wie Rebbe-Vorgänger Klaus Allofs. Der galt mal als gar nicht so kleiner Hoeneß von der Weser, schaffte es wie auch in Bremen aber zuletzt, mit seinem sicheren Händchen für Transferflops alles das einzureißen, was er vorher aufgebaut hatte.
Nun also soll es Andries Jonker richten. Der Niederländer lernte die Bundesliga als Assistent von „Feierbiest“ Louis van Gaal bei den Bayern kennen, war dann beim VfL Cotrainer von Magath, Lorenz-Günther Köstner und Hecking sowie zuletzt als Nachwuchskoordinator bei Arsenal London tätig. Perspektivisch mag der 54-Jährige keine schlechte Wahl sein, den Arbeitsnachweis als Feuerwehrmann sucht man in seiner Vita vergeblich. „Es gibt nur wenige Vereine, wo man die Möglichkeiten hat, die der VfL hat“, sagte Jonker bei seiner Rückkehr – VW-Sparprogramm hin oder her.
Kunststück, die Spieler vor dem Umbruch zu motivieren
Eine „Wunschlösung“ nennt ihn Rebbe, einen „international erfahrenen Trainer und ausgewiesenen Taktikexperten“. Blöd nur, dass bekannt wurde, dass die andere Wunschlösung David Wagner dem VfL in der Winterpause abgesagt hatte. „Mir ist klar, was Du im Abstiegskampf brauchst – aber Jonker kennt solch eine Situation nicht“, hatte Huub Stevens, selbst über Jahre und Jahrzehnte viel erprobter Bundesliga-Krisen-Bewältiger, bei „Sportbuzzer“ angemerkt. Ob Stevens nur beleidigt war, nicht selbst gefragt worden zu sein, oder mit Blick auf seinen Landsmann recht behalten soll, wird sich zeigen. Was die Voraussetzungen angeht, dürfte Jonker jedenfalls keinen Grund zur Klage haben. Mit Spielern wie Daniel Didavi, Maximilian Arnold, Robin Knoche oder Yannick Gerhardt verfügt er über reichlich zuletzt kaum ausgeschöpftes Potenzial.
Die Vierinhas, Träschs und Brumas reichern die Liste der erfahrenen Kempen an. Allein, es wird ein Kunststück sein, diese Mannschaft, die wie eine Ansammlung von Ich-AGs wirkt, wieder ins Rollen zu bringen, wo doch der große Personalschnitt im Sommer bevor steht. Andererseits: Auch wenn es nicht länger an die 90 Millionen Euro sind, sondern laut Medienberichten „nur noch“ 60 bis 70, die der Autokonzern Saison für Saison in den Fußballklub pumpt, steht ein vergleichsweise solides Fundament da. Als U19-Meister 2011 und 2013 verfügt der VfL über eine gute Jugendarbeit, aus der künftig mehr Spieler in der Bundesliga ankommen sollen. Wird Jonker seinen Vorschusslorbeeren gerecht, könnte der bevorstehende Kulturwandel dem VfL gute Perspektiven eröffnen. Doch dafür ist der Ligaverbleib die Grundlage. Ob Jonker diesen bewerkstelligen kann, darf als völlig offen gelten.