Mainz 05-Trainer Schwarz äußert seinen Frust, Eintracht-Sportvorstand Bobic versteht die Regel-Welt nicht mehr. Nach dem Chaos-Wochenende in der Fußball-Bundesliga fordern...
MAINZ/FRANKFURT. Ein fast waagerecht abgespreizter Arm. Ein eng am Körper angewinkelter Arm. Ein nah am Körper schwingender Arm. Ein leicht abgewinkelter Arm. Häh? Wie bitte? Verwirrung. Ist das jetzt Handspiel oder nicht, fragen sich aktuell viele Fußball-Bundesligisten. Gerade der vergangene Spieltag lieferte erneut eine Menge Zündstoff in Sachen Handspiel und Videobeweis. Der Tenor: Fans, Vereine und Spieler blicken nicht mehr durch. Aus allen Richtungen werden Rufe nach Vereinheitlichung und Präzisierung der Regeln laut. Auf der anderen Seite kommen Schiedsrichter und Verband immer wieder in Erklärungsnot.
Es war ein Spieltag, an dem es bei den Duellen Schalke–Freiburg, Leipzig–Stuttgart und Wolfsburg–Mainz 05 strittige Szenen gab: ein Mal eine Handelfmeterentscheidung, die durch den Videoschiedsrichter wieder zurückgenommen wurde auf Schalke. Ein Handelfmeter, der nach Videostudium nicht gegeben wurde, auch auf Schalke. Und zwei Mal Elfmeter nach Videobeweis in Stuttgart und Wolfsburg.
Im Spiel beim VfL hatte 05-Mittelfeldmann Jean-Philippe Gbamin den Ball unverkennbar mit dem Arm im Vorwärtsgang berührt: „In meinen Augen eine 50:50-Situation“, kommentiert Mainz-Trainer Sandro Schwarz, „folglich keine klare Fehlentscheidung, und dann muss der Videoschiedsrichter nicht eingreifen.“ Der Kölner Keller aber reagierte und Referee Benjamin Cortus zeigte auf den Punkt. „Wenn er in diesem Fall direkt Elfmeter pfeift, dann ist das eben so“, sagt Schwarz. Aber es erst später zu tun? Für ihn eine Fehlentscheidung.
Anderer Tatort, umgekehrter Ablauf: Die Hand-Aktion von Schalkes Omar Mascarell im Spiel gegen den SC Freiburg bei einer Rettungsgrätsche war nach eingehendem Studium der Bewegtbilder doch nicht elfmeterwürdig. Und hier war selbst Deutschlands ehemaliger Vorzeigeschiedsrichter Markus Merk als Sky-Experte erstaunt, dass der Videoassistent sich eingeschaltet hatte: „Es ist Fakt, dass es keine klare Fehlentscheidung war.“
Also, was denn nun? Hand oder nicht? Darf sich der Videoschiedsrichter einschalten oder nicht? „Dialog und Diskussion gehören zum Fußball dazu“, kommentiert Lutz Michael Fröhlich, Sportlicher Leiter der Elite-Schiedsrichter beim Deutschen Fußball-Bund, die Debatte.
Allerdings verteidigt er auch die Entscheidungen des Wochenendes in Wolfsburg, Stuttgart und auf Schalke. Lediglich die Entscheidung, das Handspiel von Freiburgs Lukas Kübler im Spiel auf Schalke nach Videostudium nicht zu ahnden, bewege sich in einem „Grenzbereich“. Der Elfmeter nach Videobeweis nach der Aktion des Mainzers Gbamin in Wolfsburg: für ihn hingegen die richtige Entscheidung. „Eine deutlich aktive Aktion mit dem Arm zum Ball“, sagt Fröhlich. Zudem habe Referee Cortus in dem Moment keine freie Sicht gehabt. Der 61-Jährige ging alle strittigen Szenen durch und unternahm den Versuch einer weiteren Aufklärung. Abgespreizt, angewinkelt, schwingend, eng und nah am Körper – vor allem die Armhaltung spiele eine Rolle.
Das Problem ist aber: Es ist und bleibt eine Auslegungssache. Handspiel ist im Fußball eben nicht gleich Handspiel. „Es wäre definitiv hilfreich für alle – für die Schiedsrichter, für die Verteidiger, für die Offensivspieler, wenn da eine klare Linie reinkäme“, forderte Willi Orban, Leipzigs Kapitän und einer der vermeintlichen Übeltäter am 22. Spieltag. „Der Frust ist momentan allerorts groß“, sagt Mainz-Trainer Schwarz. „Soll die Konsequenz denn sein, dass die Spieler im Strafraum immer die Arme hinter dem Rücken verschränken? Nein, das ist nicht Fußball.“ Einige Kollegen stoßen ins selbe Horn. Für Wolfsburgs Bruno Labbadia ist das Handspiel mittlerweile ein „Rotes Tuch“. Und Stuttgarts Markus Weinzierl sagt: „Ich habe schon keine Meinung mehr dazu. Ich glaube, jeder Experte interpretiert es anders.“ Es herrscht Konfusion auf ganzer Linie. „Ich rede mit vielen ehemaligen Kollegen darüber und kann sagen, dass ich als Ex-Fußballer es jedenfalls nicht mehr verstehe“, verdeutlicht auch Fredi Bobic, Sportvorstand bei Eintracht Frankfurt. Sie alle wollen mehr Klarheit. „Für mich sollte es nur dann Elfmeter geben, wenn klar Absicht beim Handspiel besteht“, sagt 05-Coach Schwarz.
Hoffnungen ruhen auf Fifa
Nach den hitzigen Diskussionen ruhen die Hoffnungen nun auf den Regelhütern des Fußball-Weltverbands Fifa. Die ersehnte grundsätzliche Lösung wird es aber wohl auch beim nächsten Treffen des International Football Association Boards am 2. März im schottischen Aberdeen kaum geben. Auf der Tagesordnung des Gremiums steht das Thema noch unter der Diskussion über eine mögliche Änderung des Schiedsrichterballs. Wie die „Bild“-Zeitung zudem berichtet, liegt dem Gremium ein Reformpapier vor, das die bislang in den Regeln erwähnten drei Hand-Kriterien auf zwölf ausweitet, um eine Präzisierung zu erreichen. Alle Ifab-Entscheidungen der März-Sitzung treten zum 1. Juni in Kraft.
Von Nils Salecker, Tobias Goldbrunner und Jens Marx