Westseeland: die unbekannte Schönheit

Weiße Sandstrände und flaches Wasser: Perfekte Badebedingungen für Familien. Foto: Marc Vorsatz

Die Region am Großen Belt steht im Schatten von Dänemarks touristischen Hotspots. Doch Westseeland ist ein Urlaubsparadies – vor allem für Familien.

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. Manch ein Urlaubserlebnis beginnt bereits vor der Ankunft am Ziel. Bei Westseeland ist dies sicherlich der Fall, zumindest wenn man von der Nachbarinsel Fünen aus anreist. Die Storebæltsbroen, die gigantische Brücke über die Meerenge Großer Belt ist in der Tat mehr als beeindruckend. Mehr als 13 Kilometer misst das Bauwerk und ist dabei so hoch wie ein 30 Stockwerke hoher Wolkenkratzer. Der Blick von oben auf die zweitgrößte Insel Dänemarks mit ihren endlosen Stränden macht Lust auf Meer. Auf die Ostsee, auf entspannte Wanderungen, grasende Ziegen, majestätische Fischadler und ein hyggeliges Ferienhaus.

Weiße Sandstrände und flaches Wasser: Perfekte Badebedingungen für Familien. Foto: Marc Vorsatz
Für Kinder gibt es in Westseeland jede Menge zu entdecken. Foto: Marc Vorsatz
Die Halbinsel Røsnæs zählt zu den sonnigsten und trockensten Gegenden von Dänemark – die Biodiversität ist groß. Foto: Marc Vorsatz
Schafe mitten auf der Straße: In Westseeland gibt es kaum Autoverkehr. Foto: Marc Vorsatz

Rehe am Haus

Eines, wo einen schon zum Frühstück Rehe besuchen und das satte Grün rund ums Haus kurzhalten. Ganz großes Kino für kleine Kinder. Nur, dass dabei schnell mal das Omelett kalt werden kann.

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Apropos kalt, oder besser gesagt, erfrischend: Das ist der Große Belt auch im Spätsommer. Obwohl das Wasser der Meerenge relativ flach ist und die endlosen, fast menschenleeren Sandstrände nur ganz sachte abfallen. Ein entscheidender Vorteil für Familien mit kleinen Kindern. Außerdem bleibt am Strand unendlich Platz für ausladende Sandburgen.

Gerade in diesen schwierigen Zeiten sind Platz und Weitläufigkeit ein wertvolles Gut, das hoch geschätzt wird. Selbst die schöne hölzerne Seebrücke am beliebten Kobæk Strand hat man fast immer ganz für sich allein. Zumindest außerhalb der dänischen Sommerferien von Ende Juni bis Anfang August. Überhaupt scheint das schöne Westseeland im Schatten der dänischen Publikumsmagneten wie Møns Klint und Kopenhagen zu stehen. So konnte sich der Landstrich am Großen Belt seinen ursprünglichen Charme bewahren.

Gewaltige Eiszeitmoräne

Wer die Abwesenheit von Menschen zu schätzen weiß, wird sich bei einer Tageswanderung auf der Halbinsel Røsnæs pudelwohl fühlen. Egal zu welcher Jahreszeit. Im sogenannten Naturraum trifft Wanderführerin Barbara Wilken ihre Gäste. Die gebürtige Berlinerin zog nach der Wende aus dem engen Prenzlauer Berg in die beschauliche Weite von Røsnæs. „Naturraum“ nennen die Dänen ihr lichtdurchflutetes Informationszentrum aus hellem Holz und Glas, in dem niemand angestellt ist und das trotzdem allen Interessierten offensteht. „So etwas geht in Dänemark noch“, sagt Wilken. „An anschaulichen Tafeln an der Wand erkennt ihr den Rundweg mit all seinen Sehenswürdigkeiten.“ Und da steht noch dieser riesige Tisch, der ein hölzernes Abbild der gewaltigen Eiszeitmoräne Røsnæs trägt. „Besonders Kinder finden die Idee der dreidimensional-berührbaren Landkarte genial. Hat doch eine andere Qualität als so ein platter Bildschirm, oder?“

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Hahnenfuß und Seeadler

Und schon kann es losgehen. Über glitschige Lehmböden, grobkörnigen Sand und knirschenden Kies führt der Weg durch windschiefe Kiefernwälder und über Wiesen, die mal saftig grün, mal goldgelb vertrocknet daherkommen. Schafe, Ziegen und Kühe weiden in aller Seelenruhe auf ihnen. An den mitunter steilen Hängen mit unverbaubarem Blick auf die Ostsee trotzen Sträucher Wind und Wetter. Denn in den dunklen Monaten im November und Dezember stürmt es hier mitunter heftig. Doch im Sommer gedeihen dort Pflanzen, die man eigentlich in den südlicheren Gefilden Europas verorten würde: knallgelber Hornklee, weißblühendes Kleines Mädesüß, tiefvioletter Hahnenfuß – besonders an den Südhängen. Kein Wunder, zählt Røsnæs doch zu den sonnigsten und trockensten Gegenden von Dänemark. Und überhaupt, die nur 15 Kilometer lange Landzunge scheint ein Mikrokosmos mit ungewöhnlich großer Biodiversität zu sein. So unterschiedlich wie die Böden, sind auch die Niederschläge zwischen Nordwest- und Südostlage. Dem Seeadler scheint der bunte Mix jedenfalls zu gefallen. Hoch am Himmel zieht er majestätisch seine Bahn. Dem Umweltministerium offensichtlich auch. Erklärte es doch Røsnæs offiziell zu einem der 15 schönsten Naturräume Dänemarks.

Stürmische Nächte

Egal, auf welcher Seite der schmalen Halbinsel man seine Wanderung beginnt – auf der Nordseite mit ihren steinigen Stränden oder auf der lieblicheren Südseite – der Weg führt irgendwann unweigerlich zum weißen Leuchtturm am westlichsten Zipfel von Seeland. 24 Meter ragt sein rotes Dach in die frische Ostseebrise, 19 Seemeilen weit strahlt sein Licht in sternklarer Nacht – seit 1846 nun schon. Er hätte viel zu erzählen, der alte Turm. Von unzähligen Schiffen, die in stürmischen Nächten an Felsen zerschellten. Und von Aufklärungsoperationen in den beiden Weltkriegen und später auch im Kalten Krieg. Im Inneren dokumentiert eine kleine Ausstellung seine militärische Vergangenheit. Eine enge Treppe schraubt sich vorbei an alten Schwarzweißfotografien empor zur Plattform.

Was für ein Ausblick! Bei glasklarer Sicht können Besucher sogar Jütland im Norden ausmachen und Fünen mit der Brücke über den Großen Belt im Süden. Dort, wo das Abenteuer Westseeland begann. Und bei Schmuddel-Wetter? Kein Problem. Dann hilft ein tröstlicher Blick auf einen 1000-Kronen-Schein. Die Storebæltsbroen ziert ihn. Schöne Idee.

Von Marc Vorsatz