Im Nordosten Baden-Württemberg liegt das Hohenloher Land. Von Schwäbisch Hall geht es mit dem Fahrrad am Kocher entlang flussabwärts. Der Jagst folgen Radler flussaufwärts.
. Mitten durch das Hohenloher Land suchen sich Kocher und Jagst ihren Weg – und münden parallel zueinander in den Neckar. Und um es gleich vorweg zu sagen: Die Hohenloher sind keine Schwaben. Nein, sie sind Franken.
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Der Unterschied ist den Menschen wichtig. So auch Frank Winkler, der eine Weinstube und Pension in Forchtenberg am Kocher betreibt. Mundart ist seine Leidenschaft, und in seiner Band Annâweech, was so viel wie trotzdem bedeutet, wird Hohenlohisch gesungen. Winkler erklärt: „Unser Dialekt klingt nicht so breit wie das Schwäbische.“
Forchtenberg am Kocher liegt 44 Radkilometer von Schwäbisch Hall entfernt. Die Stadt ist übrigens fränkisch geprägt, auch wenn der Name anderes vermuten lässt, und sie gehört zu den schönsten in Süddeutschland. Dort startet die Tour. Der Plan ist, entlang des Kochers hinunter zu radeln, entlang der Jagst hinauf. Das sind rund 200 Kilometer Flusslandschaften, insgesamt zählt der Radweg 332 Kilometer.
Hinter Schwäbisch Hall verläuft der Weg mitten durch weite Wiesentäler, dann geht es luftig-lauschig am Waldrand entlang. Über hölzerne Torbrücken wechselt man ein paar Mal die Flussseiten, die alten Bohlen klappern unter den Reifen. Es folgen Weinberge: Die Reben gedeihen auf den Hängen aus Muschelkalk. Hier wächst vor allem die Silvaner-Traube. Bald ist Forchtenberg mit seinem mittelalterlichen Kern erreicht, der von einer gut erhaltenen Stadtmauer umgeben wird.
Der junge Winzer Ferdinand Fröscher ist gerade dabei, die historische Kelterei zu renovieren. Einen Weinausschank hat er dort bereits eingerichtet, ein paar Gästezimmer sollen hinzukommen. „Forchtenberg ist so schön wie Schwäbisch-Hall, nur eben kleiner“, sagt der 30-Jährige. Auf jeden Fall besitzt der gut 5000 Einwohner zählende Ort eine absolute Seltenheit: die vielleicht älteste Turm-Uhr der Welt, die aus dem 15. Jahrhundert stammt.
Am nächsten Tag geht es weiter. Man radelt durch Mais- und Getreidefelder, bei Ohrnberg geht es auf einem alten Bahndamm immer schnurgeradeaus. Dann schwingt sich hinter Bad Friedrichshall, wo der Kocher in den Neckar mündet, der Radweg sanft durch Wiesen. Und plötzlich ist sie da, die Jagst – ein blassgrüner, wilder Strom. Er bietet einen der letzten ökologisch noch weitgehend intakten Flusslebensräume in Baden-Württemberg. Kiesiges Flachwasser dient als Laichplatz und Kinderstube vieler Fische. Es beheimatet auch den Flussuferläufer, Muscheln, Schnecken und andere Kleintiere.
Der Fluss fließt unter mächtigen alten Bäumen hindurch. Man fährt durch kleine Dörfer, in denen es weniger geschäftig zugeht als am Kocher. Dafür gibt es im Jagsttal mehr Steigungen, aber noch sind diese moderat.
Es ist schwül heute. Ein schwarz drohender Gewitterhimmel zieht auf. In Möckmühl werfen die Radler nur einen kurzen Blick auf das Rathaus-Fachwerk in Gelb. Dann geht es schnell weiter bis nach Jagsthausen, das Domizil des legendären Götz von Berlichingen, dem Ritter mit der eisernen Hand. Seine Nachfahren leben noch heute im edlen Ensemble von Rotem und Weißem Schloss, sowie der Götzenburg. Bekannt ist der kleine Ort für die Burgfestspiele, die dieses Jahr coronabedingt ausgefallen sind. Im Hof des Roten Schlosses kann man den Tag bei einem Glas Wein ausklingen lassen.
Morgens prasselt der Regen gegen die Fensterscheibe. Mit einem ausgedehnten Frühstück lässt sich das aber gut aussitzen. Gegen zehn Uhr geht’s los. Tief hängt der Himmel. Immer wieder beeindrucken die ausgedehnten Talwiesen an diesem Radweg. Die blühenden Blumen machen einfach gute Laune. Über kleine steinerne Brücken wechselt der Weg die Uferseite.
Mit einem Problem haben Radler allerdings zu kämpfen: Montags ist alles zu – Ruhetag. Da gibt es keine Gelegenheit, irgendwo einzukehren, um Durst und Hunger zu löschen und zu stillen. Zumindest gegen den Durst helfen zwei Trinkstationen. Die eine steht in Unterregenbach – in Form einer großen alten Truhe, die mit Getränken gefüllt ist. Wer sich hier auf dem Gelände von Hans-Jörg Wilhelm umschaut, staunt nicht schlecht: Da gibt es eine alte Kirche, dazu ein herrschaftliches Pfarrhaus, das wie ein kleines Schloss anmutet. Darin befindet sich im Keller verborgen eine Krypta. Sie war Teil einer mehr als tausend Jahre alten großen Kirchenanlage mit zwei Basiliken: ein religiöses Zentrum, ein Wallfahrtsort, und irgendwie viel zu riesig für das 50-Einwohner-Dorf im Tal der Jagst. Warum, und von wem, wurde ausgerechnet hier nichts geringeres als die damals größte Kirche Württembergs gebaut? Die Krypta, vielleicht für Angehörige der Herzöge von Schwaben gedacht, blieb leer. Seit vielen Jahren tüfteln Archäologen am sogenannten „Rätsel von Unterregenbach“.
Das Rätsel in seinem Keller lässt auch Hans-Jörg Wilhelm nicht los, regelmäßig führt er Besucher-Gruppen zur Krypta. Neben der Archäologie hat der 49-Jährige noch eine zweite Leidenschaft: Er produziert Birnen-, Quitten- und Apfel-Schaumwein. „Es ist ein aufwendiger Prozess, Schaumwein herzustellen, sagt er, „eine Flasche liegt schon mal achtzehn Monate lang auf Gärung.“ Er erzählt, dass von der Ernte auf den Streuobstwiesen bis zum fertigen Produkt ungefähr zwei Jahre vergehen. „Am Ende fühlt es sich fast wie ein Geschenk an“, sagt Wilhelm und lacht.
Ein paar Kilometer hinter Unterregenbach bei Hessenau kommt er, der erste wirklich steile Berg dieser Tour. Genau richtig steht dort zur Stärkung ein Trinkautomat mit Flaschen zum Herausziehen. Man hat die Wahl, entweder auf der recht befahrenen Straße ins wenige Kilometer entfernte Kirchberg zu radeln, oder über Wirtschaftswege. Dann allerdings über knackige Steigungen. Das wird hart, wenn man mit Fahrrad ohne Motor unterwegs ist. Die E-Bikes dominieren. Aber es gibt noch ein paar von der motorlosen Sorte. Sie sind leicht zu erkennen, weil sie am Berg „kleben“ und schieben. Gut zu wissen: Richtig steile Abschnitte sind auf der gesamten Radstrecke sehr selten.
Die idyllische Kleinstadt Kirchberg überragt das Schloss, eine ehemalige Residenz der Fürsten von Hohenlohe-Kirchberg. Es gibt ein barockes Stadttor mit Stadtturm und angrenzend liebevoll restaurierte Häuser. Alles wirkt ein bisschen grün-alternativ angehaucht.
Aber noch immer ist Montag und auch in Kirchberg ist alles geschlossen. Nur eine Pizzeria hat geöffnet. Hungrige Radler und Wanderer nehmen ihre Pizza mit um die Ecke zu einer Sitzbank. Davor stehen ein langer Tisch und Stühle, die von den Kirchbergern als Treffpunkt aufgestellt wurden. Es kommt immer mal jemand zum Schwätzen vorbei, zum Beispiel die Besitzerin vom Töpferladen gleich gegenüber. Schwätzen, das ist wichtig im Ländle. Egal, ob Hohenlohisch oder Schwäbisch.
Von Karin Kura