Liebesromanze in Irlands Westen

Connell (Paul Mescal) und Marianne (Daisy Edgar-Jones) im Seriendrama „Normal People“. Foto: Enda Bowe/Element Pictures

In die Grafschaft Sligo verirren sich weit weniger Touristen als nach Cork oder Kerry. Der Erfolg der TV-Serie „Normal People“ könnte das bald ändern.

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. Ich werde gehen“, entscheidet Connell. „Und ich werde bleiben“, antwortet Marianne. „Uns wird es gut gehen.“ Mit diesem Dialog endet die kompliziert schöne Liebesgeschichte des jungen irischen Paares, dem die Zuschauer zwölf halbstündige Episoden lang durch Höhen und Tiefen und von Sligo nach Dublin gefolgt sind. Es ist ein trauriges Ende, aber ein gutes, eines das sich passend anfühlt, weil darin ein Neubeginn angelegt ist. Ermutigt durch „Normal People“ wollen immerhin mehr Schulabgänger als sonst ihren persönlichen Neustart am Trinity College in Dublin wagen.

Connell (Paul Mescal) und Marianne (Daisy Edgar-Jones) im Seriendrama „Normal People“. Foto: Enda Bowe/Element Pictures
Paddelausflüge auf dem Garavogue River sind bei Sligo-Touristen beliebt. Foto: Thomas Schneider
Die Bibliothek des Trinity College in Dublin. Foto: Thomas Schneider
Der Streedagh Beach im Nordwesten von Sligo spielt in „Normal People“ eine zentrale Rolle. Dank der Serie könnte er zum Besuchermagneten werden. Foto: Conor Doherty/Sligo Tourism

Die Universität, die in der erfolgreichen Fernsehadaption von Sally Rooneys gleichnamigem Romanbestseller prominent als Studienort von Connell und Marianne vertreten ist, erhielt nach der Ausstrahlung der Serie in Großbritannien und Irland rekordverdächtige 40 000 Bewerbungen mehr als im Vorjahr, und nachdem die Liebesgeschichte inzwischen auch in Deutschland und vielen anderen europäischen Ländern läuft, wird es so manchen Dublin-Besucher zukünftig auch an die Drehorte von „Normal People“ ziehen. Sie werden sich auf die Suche machen nach dem Blackbird Pub im Stadtteil Rathmines und der Anseo Bar in der Camden Street. Sie werden durch die Wellington Road ziehen und die roten Backsteinhäuser genauer betrachten.

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Auf die touristische Landkarte wird es wohl auch Tubbercurry schaffen. Die Stadt im County Sligo an der irischen Westküste diente als Kulisse für den fiktiven Ort Carricklea, wo Connell und Marianne aufwachsen. Tubbercurry ist eine typische Kleinstadt im ländlichen Irland, ein Reservat der Alltäglichkeit, aber dank „Normal People“ kein Allerweltsort mehr. Autowerkstätten wie die des Mechanikers Tony Burke könnten bald Karriere als Selfie-Kulisse machen – und ein tröstlich unmoderner Ort wie der Pub der Geschwister Nora und Nathy Brennan, in dem Connell und Marianne ihren letzten gemeinsamen Silvesterabend feiern, könnte zum Sehnsuchtsziel von Serien-Fans werden.

Anfangs trifft das Paar sich noch heimlich am Strand der Heimatstadt. Feinsinnige Location-Scouts wählten dafür den Streedagh Beach im Nordwesten von Sligo: ein herrlich langer Dünensandstrand, in dessen Hintergrund sich Sligos ikonisches Wahrzeichen – der Tafelberg Ben Bulben – abhebt. Während Licht und Schatten auf seinen hellgrünen Hängen Fangen spielen, streift unten am Strand ein sanfter Wind durchs Dünengras, und das Licht der Nachmittagssonne verwandelt Wolken in pfirsichfarbene Zuckerwatte. „There is a grá for this place“, lautet eine irisch-englische Redewendung. „Es gibt eine Liebe für diesen Ort.“ Wie wahr!

Die träumerische Atmosphäre am Streedagh Beach muss aber nicht erst durch eine Fernsehgeschichte geweckt werden. Die Stimmung des Ortes färbt auf jeden ab, der am Wasser steht, dem Meer lauscht und auf den silbrig glimmernden Horizont schaut. Aber wer auf dem heimischen Sofa zwölf Serienepisoden lang den Ernst des Lebens gegen die Euphorie der Liebe eingetauscht hat, findet hier den Stoff wieder, aus dem Connells und Mariannes romantische Träume sind. Der Strand ist dann kein wunderbarer Zufallsfund mehr, sondern ein Reiseziel, das aus Begeisterung für den Film angesteuert wird.

Kein Wunder, dass Sligo in Feierlaune ist. In puncto Fremdenverkehr ist die Grafschaft im Western Irlands das hübsche, aber vernachlässigte Geschwisterchen der Touristenlieblinge Cork und Kerry. In Sligo überrollen einen keine Lawinen von spektakulären Sehenswürdigkeiten. Es ist eine liebliche, blau-weiß-grüne Sinfonie aus Himmel und Meer, Wiesen und Wasserfällen, Bäumen und Bergen. Deren Gipfel lagen vor rund 400 Millionen Jahren übrigens noch auf dem Meeresgrund, und Irland befand sich damals auf der geografischen Breite, auf der heute Südafrika zu finden ist. Erkenntnisse, die helfen, auch die jüngsten Ereignisse zu relativieren, indem sie daran erinnern, dass Dinge sich ständig verändern und dass die Monate oder Jahre einer Corona-Pandemie nur ein kurzes Blinzeln in der Erdgeschichte sind.

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Sligos Reiseveranstalter haben für die Wiedereröffnung des Inlandstourismus Mitte Juli reizvolle Post-Lockdown-Touren erarbeitet und bieten unter anderem Paddelausflüge im Morgengrauen auf dem Garavogue River, Waldwanderungen im Mondschein oder private Rad- und Reitexkursionen an. Wenn auch die internationalen Touristen wieder nach Irland kommen, gehören außerdem Strandyoga, Berggänge in den Ox Mountains, Surfkurse und Erkundungen von Sligos megalithischen Stätten zum Programm – alles Aktivitäten an der frischen Luft und mit viel Platz zum Abstand halten.

Für den Besuch der Drehorte von „Normal People“ gibt es keine Tour – noch nicht. Doch pfiffige Marketingmenschen werden das Potential wohl nicht übersehen, zumal die Verknüpfung mit einer anderen schicksalhaften Liebesgeschichte besteht, die von großer Bedeutung für Sligo ist: Die Grafschaft samt gleichnamiger Hauptstadt nennt sich nicht ohne Grund Yeats County. Kein Geringerer als der Dichter William Butler Yeats verbrachte einst viele Sommer bei seinen Großeltern in Sligo. Er betrachtete die Region als seine spirituelle Heimat.

Das lässt sich Sligo gern nachsagen – und fischt mit dem großen Namen des Nobelpreisträgers nach Touristen. Das Yeats Memorial House ehrt den Autor mit einer Ausstellung, und das Stadtmuseum behütet seine Nobelpreismedaille. Ein paar Hotels und Restaurants wurden nach Yeats benannt und Radtouren und Rundfahrten führen auf des Dichters Spuren bis zu seiner Bronzeskulptur vor der Ulster Bank. So wurde Yeats posthum zum größten Arbeitgeber des Lokaltourismus, allerdings auf eine angenehm unaufdringliche Art.

Die beiden neuen potenziellen Besuchermagneten Connell und Marianne hätten Yeats sicherlich gefallen. Schließlich war er jemand, der nur zu gut wusste, wie es sich anfühlt, wenn der großen Liebe das Happy End verweigert wird. Jahrzehntelang war er besessen von der schönen Schauspielerin Maud Gonne, doch sie lehnte alle seine Heiratsanträge mit der Begründung ab: „Die Welt wird mir danken, dass ich dich nicht geheiratet habe.“

Und tatsächlich: Die unglückliche Liebe schenkte der Welt einige der wundervollsten Yeats-Gedichte. Die schaffen zwar keinen Herzschmerz aus der Welt, aber sie mildern die Verzweiflung darüber auf ebenso berührende Weise wie auch „Normal People“ seine Zuschauer tief im Herzen mit einem melancholischen Moll warmhält.

Von Nicole Quint