Das romantische Dorf Savoca begeisterte den Regisseur Francis Ford Coppola, der hier die Teile der Mafia-Trilogie „Der Pate“ drehte.
Foto: Neli Mihaylova
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Salvatore Materia tritt auf die Bremse. Wasserflaschen und Bücher fallen von den Sitzen und landen auf dem Boden des kleinen Busses. „Cretino!“, ruft der Fahrer und gibt erneut Gas, um das langsame Auto vor ihm zu überholen. Die durchgezogene weiße Linie in der Mitte der Straße und den Gegenverkehr ignoriert er.
Es ist Rush Hour in Palermo an einem ganz normalen Arbeitstag. Der Bus schlängelt sich in Richtung Stadtzentrum. Kleine graue Häuser säumen den Straßenrand. Oft sieht man Obstverkäufer, ihre Anhänger sind voll beladen mit Orangen, Zitronen und Wassermelonen.
Je näher der Bus an das Stadtzentrum kommt, desto öfter muss Salvatore bremsen, schimpfen, überholen und wieder Gas geben. Wir fahren parallel zur Küste. Nach einer Kurve zeigt sich der Monte Pellegrino, der 600 Meter hohe Berg, den Goethe in seiner „Italienischen Reise“ als „das schönste Vorgebirge der Welt“ beschrieben hat. Die nächste rote Ampel ignoriert der Busfahrer einfach: „Das ist ja nur ein Hinweis“, lacht er.
Das romantische Dorf Savoca begeisterte den Regisseur Francis Ford Coppola, der hier die Teile der Mafia-Trilogie „Der Pate“ drehte.
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In vielen Orten wie hier in Corleone demonstrieren im Mai Hunderte Kinder gegen die organisierte Kriminalität.
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Allmählich ändern sich die Bilder am Straßenrand: Prächtige Paläste, Palmen, gepflegte Parks und Plätze rauschen vorbei. Die Straßen werden breiter. Ein verrostetes Monument ragt aus der Mitte eines Kreisels, gewidmet den Gefallenen im Kampf gegen die Mafia.
Die Cosa Nostra hat die Geschichte der Hauptstadt Siziliens geprägt. Erst vor einigen Jahren begann die Restaurierung der Altstadt, die im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt wurde. Die Mafia wollte durch den Stopp der Renovierungsarbeiten die Anwohner zwingen, sich Wohnungen in den von ihr gebauten Siedlungen am Stadtrand zu kaufen.
Mehrere Mafiakriege haben hier stattgefunden und dazu beigetragen, dass Palermo lange Zeit den Ruf einer der gefährlichsten Städte Europas hatte. Allein im Kampf zwischen den Corleonesen und den Palermer Clans wurden in den 1980er-Jahren über 300 Menschen getötet. „Wir haben uns damals einfach nicht getraut, in die Innenstadt zu fahren“, erinnert sich Reiseführerin Graziella Minadi.
INFORMATIONEN
Anreise: Germanwings fliegt fünfmal pro Woche nonstop von Köln / Bonn nach Catania.
Veranstalter: Dertour bietet die achttägige Busreise ab / bis Flughafen Catania „Legende und Gegenwart – auf den Spuren der Cosa Nostra“ mit 7 Übernachtungen / DZ in Vier-Sterne-Hotels mit Halbpension, ab 899 Euro pro Person. Buchungen und weitere Informationen in jedem Reisebüro mit Dertour-Programmen oder unter www.dertour.de.
Auskunft: Informationen über Addio Pizzo unter www.addiopizzo.org/deutsch.asp und www.addiopizzotravel.it
Heutzutage ist die Altstadt wieder voller Leben. Alte Paläste werden renoviert und in Wohnungen umgebaut, neue Restaurants und Cafés eröffnet. In diesem Jahr sind zudem die arabisch-normannischen Denkmäler von Palermo – sieben städtische und religiöse Bauwerke, die aus der Zeit des normannischen Reichs Siziliens stammen (1130-1194) – zum Unesco-Weltkulturerbe ernannt worden.
Im Alltag, erzählt Minadi weiter, spiele die Angst vor der Mafia keine Rolle. „Die normalen Bürger, sind für die Mafiosi uninteressant, weil sie kein Geld haben“, erklärt sie. Dennoch hat die Mafia Einfluss auf ihr Leben, so etwa im Gesundheitsbereich: „Die städtischen Krankenhäuser sind heruntergekommen und die Behandlung dort ist schlecht. Es gibt aber die neuen privaten Kliniken, die in den Händen der Verbrecher sind. Wer gut behandelt werden will, muss leider dort hingehen.“
Minadi betont aber, dass die Geschichte Palermos und Siziliens gleichzeitig die Geschichte des Kampfes gegen die Mafia ist. Vor einigen Jahren wurde die „Addiopizzo“ (Leb wohl, Schutzgeld)-Bewegung gegründet, zu der mittlerweile fast 1 000 Geschäfte und Restaurants gehören, die kein Schutzgeld zahlen und dies öffentlich bekunden. Am 23. Mai, dem Tag an dem der bekannte Staatsanwalt und Mafiagegner Giovanni Falcone ermordet wurde, erinnern Demonstrationen in ganz Sizilien an den Widerstand gegen die organisierte Kriminalität auf der Insel.
Auch in Corleone, einer Stadt circa 60 Kilometer südlich von Palermo, versammeln sich an diesem Tag jedes Jahr Hunderte Schüler auf den Straßen. Sie tragen bunte Plakate, Blumen aus Papier, kleine Windräder. In Reihen geordnet laufen sie gemeinsam zu einem Platz im Stadtzentrum. Dort dekorieren sie die Bäume und lassen kleine Boote mit Friedensbotschaften in den Brunnen gleiten.
Die Mafia hatte Corleone lange Zeit fest im Griff: In den 40er- und 50er-Jahren wurden in der kleinen Stadt mehrere Hundert Menschen ermordet. Von hier stammen auch einige der bekanntesten Mafiabosse, wie etwa Salvatore Riina und Bernardo Provenzano. „Als mein Bruder und ich noch klein waren, wurden wir gezwungen, Corleone zu verlassen, weil unsere Eltern bedroht wurden“, erzählt der Unternehmer Maurizio Miccichè, dessen Familie ein 250 Jahre altes Weingut besitzt. Nach Jahren im Exil kehrte er nach seiner Arztausbildung zurück und übernahm die Führung des Familienunternehmens. Mit seinen Weinen versucht er, das Image Siziliens als Hochburg der Mafia zu bekämpfen. Denn die Insel habe viel mehr zu bieten als Verbrechen, betont er.
Corleone wurde vor allem durch den Roman „Der Pate“ von Mario Puzo weltberühmt. Hier wollte der Regisseur Francis Ford Coppola ursprünglich den ersten Teil der gleichnamigen Filmtrilogie drehen – bis die Mafia erschien und Schutzgeld verlangte.
Coppola musste nach einem neuen Drehort suchen und erinnerte sich an eine Begegnung in den USA. Er hatte auf einer Party eine Italienerin getroffen, die ihn bat, Grüße an ihre Cousine in Savoca zu überbringen. Als er dann in Sizilien war und die Dreharbeiten in Corleone abgebrochen werden mussten, entschied er sich, diesen Ort zu besuchen.
Das romantische Dorf auf der Spitze eines Hügels nur wenige Kilometer von Messina entfernt begeisterte den Regisseur mit seinen engen, verwinkelten Kopfsteinpflasterstraßen, erzählt Lorenzo Motta, an dessen Tante die Grüße aus den USA gerichtet waren. Ihr gehörte damals die Bar Vitelli, in der Coppola einige der Filmszenen drehte.
Heute ist der Hof der Bar mit Pflanzen bewachsen. Die Wände im Inneren sind mit unzähligen Fotos von den Dreharbeiten dekoriert. An den Tischen sitzen ältere Männer und unterhalten sich. Auf dem Dorfplatz, nur einige Meter von der Bar entfernt, sitzt Coppola hinter seiner Kamera, verewigt in einer Skulptur. Nur einige Schritte weiter spielen junge Männer Tischfußball, lachen laut und rauchen. Man sieht das Meer in der Ferne, hört die Bienen summen, riecht die bunten Blumen, die in Kübeln am Straßenrand und auf den Balkonen stehen. Und in diesem Moment, wenn man denkt, dass es nicht mehr schöner sein kann, beginnt die Musik: Um punkt zwölf Uhr erklingt aus allen Kirchen des Dorfes gleichzeitig die Arie Ave Maria – und die Zeit bleibt stehen.