Freitag,
04.10.2019 - 23:01
5 min
Naturschutz in Rumänien
Von Win Schumacher

Idylle pur: Das Barsa-Tal im Piatra-Craiului-Nationalpark. (Foto: Win Schumacher)
Die Wildnis beginnt direkt vor seiner Haustür. Von seinem Reiterhof in Sinca Nouaă blickt Christoph Promberger auf die nahen Fagaras-Berge, blühende Wiesen vor dunklen Waldhängen – ein vertrautes Panorama im rumänischen Siebenbürgen. Doch die Gegend hält für Naturbegeisterte weit mehr als idyllische Aussichten bereit.
„Ein so riesiges Gebiet ohne Straßen und Siedlungen, in dem noch immer Wolf, Bär und Luchs leben“, sagt Promberger, „das ist in Europa ziemlich einzigartig.“ Der deutsche Forstwissenschaftler und Wildbiologe leitet zusammen mit seiner Frau Barbara Promberger-Fürpaß die Fundatia Conservation Carpathia (FCC). Die Stiftung hat sich zum Ziel gesetzt, im Zentrum Rumäniens den größten Wald-Nationalpark Europas zu schaffen. Nur ein Teil davon soll der Piatra-Craiului-Nationalpark werden. Gemeinsam mit den angrenzenden Fagaras- und Leaota-Bergen soll in Zukunft ein Schutzgebiet entstehen, das etwa zehn Mal größer ist als der Nationalpark Bayerischer Wald.
Wer durch die Waldeinsamkeit der Fagaras-Berge wandert, mag tagelang keinem Menschen begegnen. Dagegen stehen die Chancen gut, auf Bären- oder sogar Wolfsspuren zu stoßen. Was für Touristen wie ein vom Menschen unangetastetes Naturparadies wirkt, ist jedoch in Wahrheit eine Wildnis in Gefahr. In den 2000er-Jahren wurden in Rumänien mehrere tausend Quadratkilometer Land aus Staatsbesitz an die Bevölkerung zurückgegeben. Viele der neuen Waldbesitzer hatten jedoch nur wenig Bezug zu ihrem Eigentum. So kauften Holzhändler ihnen für wenig Geld riesige Flächen ab und ließen sie roden. Eine regelrechte Mafia entwickelte sich und vermachte – gedeckt durch korrupte Politiker – das Holz an inländische Holzeinschlagunternehmen und ausländische Konzerne.
Abertausende Hektar Wald wurden zwischen 2005 und 2010 in den Karpaten illegal gerodet. „Wir waren schockiert, dass kein Mensch etwas unternommen hat“, sagt Promberger. Die FCC konnte den Holzeinschlag in den von ihnen kontrollierten Gebieten inzwischen weitgehend aufhalten. Andernorts geht der Kahlschlag weiter. Die Kontrollen der staatlichen Behörden funktionieren oft nicht, die Verantwortlichen sehen weg oder sind selbst an dem Geschäft beteiligt.
Barbara und Christoph Promberger gründeten 2009 die FCC. Er kam bereits 1993 aus München nach Rumänien, um über die Großraubtiere der Karpaten zu forschen. Sie schrieb ihre Diplomarbeit über Wölfe. Gemeinsam entschieden sie, in Siebenbürgen zu bleiben und gründeten als begeisterte Pferdeliebhaber den Öko-Reiterhof Equus Silvania. Einer glücklichen Fügung verdanken sie, dass sie unverhofft zu Eltern eines riesigen Schutzgebiets wurden. Sie erzählten einem Gast, der Schweizer Journalistin Hedi Wyss, von dem dramatischen Kahlschlag in den Karpaten. Die einzige Möglichkeit, die Wälder zu retten, sahen sie darin, sie statt für den Holzeinschlag für den Naturschutz aufzukaufen. Wyss schlug den beiden vor, sich um Hilfe an ihren Bruder zu wenden. Die Stiftung des Mäzens Hansjörg Wyss, der mit Medizintechnik reich wurde, fördert weltweit Naturschutzprojekte. Die Prombergers luden ihn kurzerhand nach Rumänien ein. Der Milliardär war begeistert – und hatte gleich größere Pläne: Am besten sollte das gesamte Fagaras-Gebirge mit den höchsten Gipfeln Rumäniens zum Schutzgebiet werden. Inzwischen haben sich um die Prombergers bekannte Umweltschützer geschart. Bis heute wurden mehr als 23 000 Hektar Land aufgekauft. In Rumänien soll, so hoffen es die Umweltschützer, irgendwann einmal ein europäisches Yellowstone entstehen. „Amerika und Afrika haben solche Nationalparks, die wirklich jeder kennt. In Europa sticht jedoch keiner heraus“, sagt Promberger In den Karpaten sieht der Biologe das Potenzial für ein riesiges Wildnisgebiet, in der die Natur das Sagen hat.
REISE-CHECK
Anreise: zum Beispiel mit Lufthansa nach Sibiu (Hermannstadt) oder Bukarest. Für die Karpaten empfiehlt sich ein Mietwagen.
Unterkünfte: Die familiengeführte Villa Hermani ist eine der schönsten Pensionen im Bergdorf Magura, DZ inkl. Frühstück ab 32 Euro p.P., www.cntours.eu. Ökologisch geführter Reiterhof Equus Silvania, DZ inkl. VP ab 61 Euro p.P., www.equus-silvania.com.
Veranstalter: Gebeco hat verschiedene Rundreisen in Rumänien im Programm. Die 9-tägige Kleingruppenreise „Wanderungen in Siebenbürgen“ führt durch die schönsten Landschaften der Karpaten, DZ inkl. Flug ab 995 Euro, www.gebeco.de.
Unterkünfte: Die familiengeführte Villa Hermani ist eine der schönsten Pensionen im Bergdorf Magura, DZ inkl. Frühstück ab 32 Euro p.P., www.cntours.eu. Ökologisch geführter Reiterhof Equus Silvania, DZ inkl. VP ab 61 Euro p.P., www.equus-silvania.com.
Veranstalter: Gebeco hat verschiedene Rundreisen in Rumänien im Programm. Die 9-tägige Kleingruppenreise „Wanderungen in Siebenbürgen“ führt durch die schönsten Landschaften der Karpaten, DZ inkl. Flug ab 995 Euro, www.gebeco.de.
Ein Ausflug in das Stramba-Tal, nicht weit vom Hof der Prombergers gelegen gibt einen Eindruck von der biologischen Vielfalt, die der zukünftige Park bewahren soll. Durch das von Mischwald gerahmte Wiesental plätschert ein Flüsschen. Auf das dumpfe Quaken der Gelbbauchunken antwortet der Kuckuck vom nahen Waldrand.
Herrmann Kurmes sucht mit seinem Fernglas den Waldrand nach seltenen Vögeln ab. Kurmes war einer der Initiatoren der rumänischen Vereinigung für Ökotourismus und ein Pionier für Naturreisen in den Karpaten. Wiedehopf, Wespenbussard, Habichtskauz – in Mitteleuropa allesamt längst selten gewordene Vogelarten – lassen sich hier noch häufig blicken.
Die meisten Touristen kommen jedoch wegen der Braunbären. „Am Anfang sagten die Leute: Ihr seid verrückt!“, erzählt Kurmes. Als er Ende der 90er gemeinsam mit seiner deutschen Frau Katharina, die er als Biologiestudent in Göttingen kennengelernt hatte, begann, Wanderungen auf den Spuren der Wölfe, Bären und Luchse anzubieten, glaubten sie beide selbst nicht so richtig an den Erfolg.
„Der Wolf gilt für viele hier noch immer als Hauptfeind des Menschen. Bären waren in der Ceausescu-Zeit die größten Devisenbringer durch die Trophäenjagd“, sagt Kurmes. „Das macht es schwer, einem Schäfer oder Jäger den Nutzen von Ökotourismus zu erklären.“ Aus der Idee wurde trotzdem ein Erfolgskonzept. Inzwischen locken die Großraubtiere eine schnell wachsende Zahl an Touristen in die Karpaten. „Irgendwann haben die Leute verstanden: Zum Bergwandern können die Touristen auch nach Österreich oder in die Schweiz“, sagt Kurmes, „die Chance, Wölfe oder Bären zu beobachten, haben sie jedoch nur hier.“
Im Stramba-Tal ist die Dämmerung eingebrochen. Kurmes folgt einem Ranger durch das Halbdunkel des Waldes. Vor einer Lichtung steigt er auf einen Hochstand. Hier haben mehr als zehn Touristen Platz, doch an diesem Abend ist nur ein französisches Paar gekommen. Bald taucht tatsächlich ein Bär auf und macht sich über eine Schweinehälfte her. Ihm folgen nach und nach acht weitere, darunter auch eine Mutter mit ihrem Jungen. Die Franzosen sind begeistert. „Ich bin ein wenig reserviert gegenüber diesen Fütterungen“, sagt Christoph Promberger am Tag danach auf seinem Hof. Er nennt den Bärenhochstand im Stramba-Tal ein „Opfergebiet“ – ein Ort, nach dem die Touristen verlangen, ohne deren Geld kaum noch ein Nationalpark auskommt. Naturschutz und Tourismus bilden eine Zweckgemeinschaft, die auch in den Karpaten voneinander abhängen. „So wie der Old Faithful-Geysir in Yellowstone, wo sich die meisten Besucher drängen. Wenn 95 oder 99 Prozent des übrigen Parks Wildnis sind, kann ich mit solchen Orten leben.“ Dass sich, wie in Yellowstone, irgendwann einmal Autoschlangen um Wildrinder und Bären bilden, fürchtet Promberger allerdings nicht. „Wir werden einen langen Atem brauchen. Aber die Fagaras-Berge werden eine echte Wildnis bleiben.“