Der Vindelälven-Fluss bahnt sich mit vielen Stromschnellen seinen Weg.
Foto: Anna Tillmann
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Als die Spezialität des Hauses gereicht wird, bin ich zum ersten Mal in meinem Leben froh über meine Fischallergie. Ich muss die Häppchen nicht probieren, die da auf dem Tablett liegen, hübsch angerichtet auf Knäckebrot und Kartoffelscheibe, bestreut mit frischen Kräutern und verziert mit ein wenig Meerrettichpaste. Sieht toll aus – verbreitet aber einen sehr intensiven – naja, sagen wir mal Duft. Leicht säuerlich und vor allem: ziemlich faul.
Es gibt Surströmming als Appetithappen – verfaulten, oder genauer gesagt, ausgenommenen, in Salzlake über mehrere Monate gegorenen Hering. Er war für die Bauern Nordschwedens einst Alltagsnahrung. Heute gilt er als Delikatesse. Wer nach Nordschweden kommt, muss ihn probieren, da gibt es keine Ausreden. Es sei denn, man hat wie ich einen triftigen Grund, es nicht zu tun.
Nicht bei allen stößt der Fisch auf Gegenliebe. Es macht Spaß, die anderen beim Essen zu beobachten. Sie tasten sich vorsichtig heran, beschnuppern die kleinen Kunstwerke zögerlich. „Man liebt Surströmming oder man hasst ihn“, sagt Kerstin Forsén Öberg vom Fischrestaurant Kvarken Fisk in der Nähe von Umeå und zuckt entschuldigend mit den Schultern. Und sie hat recht, wenn ich das als Außenstehende so sagen darf. Bei manch einem löst die Delikatesse einen Würgereflex aus, andere können gar nicht genug davon bekommen.
Der Vindelälven-Fluss bahnt sich mit vielen Stromschnellen seinen Weg.
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Kann das schmecken? Eine Touristin probiert Surströmming. Foto: Anna Tillmann
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Glasklar schimmert das Wasser des Ulmeälven-Flusses.
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Hübsch angerichtet: Surströmming im Restaurant Kvarken Fisk
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So viel ist sicher: Wer ihn mag, der muss sich hier ordentlich satt essen. Es ist nämlich verboten, Surströmming im Flugzeug nach Hause zu transportieren: Durch die Gase, die sich in der Dose bilden, besteht im Zusammenspiel mit Druckschwankungen in der Flugzeugkabine akute Explosionsgefahr. Ich möchte mir nicht vorstellen, wie es riecht, wenn so eine Dose in einem geschlossenen Raum platzt und die Ausdünstungen über eine Klimaanlage in der Luft verteilt werden. Auch das eigene Auto wäre nicht das beste Transportmittel, wenn man bedenkt, dass die Verpackung bei starken Temperaturschwankungen sogar in einem Vorratsschrank explodieren kann.
INFORMATION
Flug: Nach Umeå mit Zwischenlandung in Stockholm, zum Beispiel mit SAS ab Frankfurt, ab 220 Euro.
Essen: Surströmming sowie frisch gefangenen Fisch gibt es beispielsweise im Restaurant Kvarken Fisk, Svartviken 50, Täfteå, www.kvarkenfisk.se, moderne Küche und ungewöhnliche Kreationen mit Rentier- und Elchfleisch im Köksbaren, Rådhusesplanaden 17b, Umeå, www.koksbaren.com.
Übernachten: In Schwedens erstem „unbemannten“ Hotel – statt Rezeption stehen Automaten zum Ein- und Auschecken bereit, circa 100 Euro, U & Me Hotel, Umeå, www.umehotel.se. Wer statt in der Stadt lieber in der Natur unterwegs ist, findet in Granö Beckasin alles, was das Outdoor-Herz begehrt, Übernachtung im Baumhaus (Hotelkomfort) circa 300 Euro, Bungalow circa 110 Euro, Zeltplatz ab 10 Euro, Blåkullevägen 4, Granö, www.granobeckasin.com.
Weitere Infos: Visit Umeå, www.visitumea.se, Visit Sweden, www.visitsweden.com
Fisch müsste man sein, überlege ich, während ich meinen Blick über das offene Meer schweifen lasse und die anderen sich mit gemischten Gefühlen über den vergammelten Hering hermachen, um dessen Geschmack im Anschluss mit Bier herunterzuspülen. Für Fische muss Nordschweden ein Paradies sein – wenn man denn nicht ausgerechnet auf dem Teller eines der zahlreichen Fischrestaurants der Region landet oder zu Delikatessen weiterverarbeitet wird. Hier ist das Meer sauber und das Flusswasser so klar, dass man es trinken kann. Da gibt es wahrlich trostlosere Orte, um auf den finalen Angelhaken zu warten.
Auf den Straßen der Provinz Västerbotten, der Gegend rund um die Universitätsstadt Umeå, kann man stundenlang durchs Landesinnere fahren und auf nichts als Bäume und Wasser treffen. Kleine, klare Bäche wechseln sich ab mit reißenden Flüssen und stillen Seen, Birken- und Nadelwälder stehen in Eintracht nebeneinander. Es ist sehr einsam hier oben im Norden und so märchenhaft schön, dass ich aus dem Staunen nicht herauskomme.
Wäre ich ein Fisch und könnte mein Leben hier verbringen, würde ich als Heimat vielleicht den Tavelsjö-See wählen. Darin soll allerdings auch ein Ungeheuer wohnen: das Tavelsjöodjuret. Es ist ein scheues Monster – in den vergangenen 100 Jahren wurde es offiziell nur etwa 40 Mal beobachtet. Dabei stehen rund um den größten See der Region Ferngläser, mit denen sich die Wasseroberfläche nach ungewöhnlichen Bewegungen absuchen lässt.
Ein paar Meter soll das Tavelsjöodjuret lang sein und ungefähr so aussehen wie Nessi, das Ungeheuer von Loch Ness. Darüber hinaus weiß man nicht viel über das Geschöpf, außer dass es sich sehr gut unsichtbar machen kann. Als im Jahr 2005 ein Team von Forschern der Universität Umeå den See untersuchte, versteckte es sich so gut, dass nicht einmal die hochmodernen Kameras und Sonargeräte der Taucher etwas ungewöhnliches aufzeichnen konnten. Doch die Bewohner des Dorfes Tavelsjö kennen viele Geschichten über das Wesen. Meist handeln die von einem großen, dunklen Etwas, ähnlich einem gekenterten Boot, das plötzlich verschwindet und ebenso plötzlich in großer Entfernung wieder auftaucht.
Torbjörn Wennebro, der in dem kleinen Ort Tavelsjö lebt und jede Menge Dorfklatsch kennt, verrät mir das Geheimnis des Seeungeheuers: „Es taucht meist samstagabends zwischen 22 Uhr und Mitternacht auf. Ich selbst habe es schon gesehen, aber ich war dabei nie nüchtern.“ So ist das also. Und wenn schon, denke ich: Die Aussicht auf den stillen See ist auch ohne Monster unheimlich schön.
90 Kilometer nördlich von Tavelsjö zeigt das Wasser ein ganz anderes Gesicht: Aufbrausend und gefährlich bahnt es sich hier seinen Weg in Richtung Ostsee. An den Stromschnellen des Vindelälven-Flusses im Naturreservat Mårdsele Forsen offenbart sich die geballte Kraft der Natur. 250 000 Liter Wasser schießen hier pro Sekunde über das steinige Flussbett. Das Rauschen ist ohrenbetäubend – obwohl es auf einer Länge von knapp zwei Kilometern nur 17 Meter nach unten geht. Auf wackeligen Hängebrücken führt ein Wanderweg über die Wasserverwirbelungen zu Inseln, die inmitten des Flusses liegen und seine Kraft zügeln.
Dort gibt es geschützte Buchten und Wasserbecken, die sich zum Baden eignen – wenn man sich denn traut bei zwölf Grad Wassertemperatur. Besonders lange hält man es als Mensch nicht im Wasser aus, auch nicht bei strahlendem Sonnenschein und 24 Grad frühherbstlicher Wärme. Fisch müsste man halt sein, dann wäre die Kälte wahrscheinlich zu ertragen.
Nur vielleicht nicht unbedingt ein Hering – und möglichst weit weg von allen Angelhaken.