Ob beim Heurigen zu Schrammelmusik oder bei einem Drink in der Cocktailbar: In Österreichs Hauptstadt können Besucher zwischen rustikalen Traditionen und modernem Lifestyle wählen.
. Als Robbie Williams für einen Konzertauftritt in Österreichs Hauptstadt weilte, soll er den Wunsch geäußert haben, einen Abend bei Good Old Wiener Musik in einem Heurigengarten zu verbringen. Hat er? Keita Djibril lächelt. Über private Unternehmungen seiner internationalen Gäste spreche er nicht, versichert der wegen Verdienste um die „Cocktailkultur“ Wiens mehrfach dekorierte Barkeeper im „Das Triest“. Wiens erstes Designhotel wurde 1996 am Platz des ehemaligen Pferdebahnhofs Wien-Triest gebaut. Gleichwohl ist die Diskretion des eloquenten Kommunikators nicht der einzige Grund, der Stars wie Hugh Grant, Brad Pitt oder Nina Hagen zu Nachtschwärmern in der Silver Bar des Hotels werden ließ.
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Seit 20 Jahren rührt und schüttelt der senegalesische Barchef hinter Wiens populärer Nobeltheke seine mehr als 100 selbst kreierten Cocktails. Zuhören, situatives Eingehen auf sein Gegenüber und Verschwiegenheit seien ebenso eine Kunst, wie das Zubereiten eines raffinierten „Hemingway“ mit Wiedererkennungswert, sagt das Urgestein unter Wiener Bartendern – das sich selbst nichts aus Alkohol macht. Ob Cocktails gelungen sind, „schmecke“ er mit der Nase. Den Geschmacksnerv von Robbie Williams hat Barkeeper Keita jedenfalls getroffen. Der britische Popstar war von dessen Künsten so angetan, dass er den Barkeeper zu seinem Konzert ins Stadion einlud und bat, backstage Drinks zu mixen. Wenn der Sänger in der Donaumetropole ist, gönnt er sich immer noch einen Absacker in der Szene-Bar. Manchmal sieht man ihn auch unter illuminierten Olivenbäumen im Patio des Hotelrestaurants, an dessen Tischen Prominente aus Showbiz, Politik und Wirtschaft Platz nehmen.
Während dort der Küchenchef seine Gäste mit extravaganten Kombinationen wie Entenkeulenragout zu Pilzen und Feigensaft verwöhnt, tischen im „Mayer am Pfarrplatz“ flotte Burschen und fesche Madln Schweinsbraten mit Sauerkraut und andere Schmankerl auf. Schon als die Türken 1683 Wien belagerten, ruhte das Anwesen im ländlichen Vorort Heiligenstadt auf festen Mauern. Für Einheimische ist der Heurige seither eine bevorzugte Adresse für Wiener Gemütlichkeit.
Ein Abendlüftchen begleitet den Spaziergänger auf dem Weg vorbei an pastellfarbenen Winzerhäuschen zum Hoftor des Gasthauses. Eine Tafel mit dem Hinweis „Ausg’steckt“ und ein „Buschen“ (Zweig) zeigen an, dass der Heurige heuer erstens geöffnet hat, und dass zweitens Wein der aktuellen Ernte im Fass ist. Bis 11. November des Folgejahres heißt der Jungwein dann „Heuriger“. Der Gast darf sicher sein, er steht vor einer echten Buschenschenke. Er hat sich also nicht in eine hemmungslos kommerzialisierte, für Touristen auf Heurigen gestylte Weinschenke verirrt.
Unter einer mit Weinlaub berankten Pergola spielt im schummerigen Licht bunter Lämpchen die Musik. Sicher nicht ganz so organisiert und aufgeräumt, aber ähnlich beschaulich muss der Freiluftzauber damals gewesen sein, als Hans Moser einen „Kleinen Schwipserl“ ins Mikrofon nuschelte und vom „Alten Herrn Kanzleirat“ sang. Ganz gleich ob Heiligenstadt, Grinzing oder Sievering – nur einen Wermutstropfen gibt es. Kaffee kommt nicht auf den Tisch.
Das Verlangen nach alten Liedern wächst bei fröhlichen Zechern mit der Anzahl geleerter Gläser. Manfred Lenc greift wieder zur Knopfharmonika. Was für das Publikum allesamt „Wienerlieder“ sind, nennt der Wirtshausmusiker „den Sound der Wiener Seele.“ Beim Mitsummen beschwingter, meist aber melancholischer Weisen sowie beim Lauschen frecher, frivoler Texte, unterscheidet niemand zwischen Schrammelmusik, Operettenmelodie und Wiener Lied. Wozu auch. Hauptsache die Musik ist lustig, fesch und munter – und mit viel Herz gespielt.
Tatsächlich verweigert sich das Unterhaltungsgenre aus Großvaters Zeiten hartnäckig einer klaren Definition. Wer den Musikgeschichten dennoch auf die Spur kommen möchte, gesellt sich an den Tisch des Musikanten. Heute gespielte Melodien gehen auf Wiener Schrammelmusik zurück, berichtet dieser. Ende des 19. Jahrhunderts feierten Josef und Johann Schrammel mit bittersüßen Kompositionen und oft rührselig vorgetragener Instrumentierung große Erfolge. Lieder wie „Das Glück is a Vogerl“ oder „S’ Herz von an echten Weaner“ wurden irgendwann zu Wiener-Liedern und schließlich Volksmusik und Schlager. Wenn man so will, sei Heurigenmusik die wienerische Variante eines wehmütigen Chicago-Blues oder eines Fado in Lissabon. Später waren es Hans Moser, Paul Hörbiger, Peter Alexander und Willy Hagara, die mit viel Schmalz und Schmäh gefütterte Ohrwürmer filmreif machten. „Im Prater blühn wieder die Bäume – bittschön“, wünscht sich eine Dame. Der Hof-Troubadour spielt und alle singen mit.
Zehn Busminuten weiter beugen Touristen auf dem Friedhof in Grinzing ihr zumeist ergrautes Haupt über die Prominentengräber. Hier ein Blumenstrauß für Elfi Mayerhofer, dort ein Engelchen für Peter Alexander. Auf der anderen Straßenseite rollen Busse in Position, um Gästescharen in die Heurigen-Meile zu entlassen, oder, um sie nach zwei Stunden wieder einzusammeln. Zwar punkten Grinzings gemütlich arrangierte Lokale mit deftigen Speisen und kühlen Tropfen. Bemühte Geiger und Gitarristen aus Balkanstaaten fiedeln authentisches Wiener Liedgut aber all zu oft unter den Tisch. Und ohne Gesang mit wienerischem Dialekt fehlt der Heurigenmusik ein typisches Stilelement. Dafür klatscht das Publikum aus Asien und aller Welt bei „Rosamunde“ und „Auf der Reeperbahn nachts um halb eins“ begeistert den Takt. Immerhin hat der de-platzierte Gassenhauer von Hans Albers einen Erinnerungswert im doppelten Sinn. Um von der letzten Tram in die Innenstadt nicht bloß die Rücklichter zu sehen ist es Zeit, dem Weindörfchen Servus zu sagen.
Wenn die Glocken vom Stephansdom längst Mitternacht geschlagen haben, sorgt Keita Djibril in seiner Silver-Bar mit Cocktails und Jazz-Klassikern weiter für gute Laune. Billie Holiday singt „My Man“ und Keita schiebt einen „Eierdudler“ über den silbernen Tresen.