Wie ein steinerner Lindwurm windet sich der Wall über Bergrücken, Pässe und Gipfel und passt sich dabei dem Gelände an.
Foto: Ekkehart Eichler
( Foto: Ekkehart Eichler)
Jetzt teilen:
Jetzt teilen:
Wir könnten jetzt den Berg raufkraxeln – das sind nur 1 000 Stufen und dauert 45 Minuten“, sagt der freundliche Herr Cai grinsend. „Oder wir nehmen die Seilbahn, das wird entschieden entspannter.“ Gesagt, getan. Dass seine Gäste just jene Gondel erwischen, in der Präsidentengattin Michelle Obama sanft nach oben schwebte, sieht der Reiseleiter als besonders gutes Omen. Und selbst das Wetter spielt mit: Die Sonne lacht hell, der Himmel strahlt blau, die Bergluft schmeckt frisch – all das ist im smoggeplagten China keineswegs selbstverständlich.
Schon beim kurzen Aufstieg steigt der Respekt, als sich rechterhand der erste Abschnitt der Großen Mauer fotogen ins Blickfeld schiebt. Denn wie um alles in der Welt hat man seinerzeit bloß diese Massen an Material hier herauf bekommen? Ohne Treppen, durch dichten Wald, bei Gluthitze im Sommer, bei klirrender Kälte im Winter. „Und das hier ist ja nur ein klitzekleiner Klacks“, bemerkt Herr Cai, „wir reden über ein Bauwerk von sage und schreibe 10 000 Li Länge, das sind 5 000 Kilometer“. Luftlinie wohlgemerkt. Denn die „Lange Mauer“, wie die Chinesen sie zutreffend nennen, folgt akkurat dem Landschaftsprofil und ist damit in Wirklichkeit sogar 6 300 Kilometer lang.
Die ersten Teile von Chinas Schutzwall entstanden bereits vor über 2 000 Jahren. Doch so, wie man die restaurierten Abschnitte in Badaling und Mutianyu heute besichtigen kann, sieht die Große Mauer erst seit ungefähr 500 Jahren aus – unter den Ming-Kaisern wurde sie zum Schutz vor Mongolen und Nomaden zum lückenlosen Bollwerk gen Norden ausgebaut.
Wie ein steinerner Lindwurm windet sich der Wall über Bergrücken, Pässe und Gipfel und passt sich dabei dem Gelände an.
Foto: Ekkehart Eichler Foto: Ekkehart Eichler
Jeder Krieger der Terrakotta-Armee hat individuelle Gesichtszüge. Keine der über 1 000 Figuren gleicht der anderen.
Foto: Ekkehart Eichler Foto: Ekkehart Eichler
2
Wie ein steinerner Lindwurm windet sich der Wall seither über Bergrücken, Pässe und Gipfel und passt sich dem Gelände an. Die Mauer ist zwischen drei und acht Metern hoch, an der Basis sechs bis sieben Meter breit, an der Krone vier bis sechs. Die Außenseiten sind gemauert, innen ist sie mit Erde aufgefüllt und allerlei anderem Material – einschließlich vieler Toter. Immerhin schufteten beim Bau der gewaltigen Anlage Hunderttausende von zwangsverpflichteten Bauern, Strafgefangenen und Soldaten bis zum bitteren Ende.
Markant sind auch die zwölf Meter hohen Wach- und Vorratsspeichertürme, die in Sichtabständen gebaut wurden. Denn in erster Linie diente die Mauer der Kommunikation. Von Turm zu Turm wurden durch Rauchzeichen, Signalfeuer und Flaggen Botschaften übermittelt, und Soldaten konnten zu Pferd auf der Krone sehr viel schneller zur bedrohten Stelle gelangen als der Gegner im unwegsamen Gelände.
INFORMATIONEN
An- und Einreise: Zum Beispiel mit Lufthansa nach Peking (ab 500 Euro); zur Einreise ist ein Visum zwingend erforderlich, das vorab besorgt werden muss (bei Gruppenreisen über Veranstalter).
Übernachtungen: In Peking zum Beispiel Qianmen Jianguo Hotel, DZ / F ab 104 Euro, www.hoteljianguo.com. In Xi‘an Grand New World Hotel, DZ ab 55 Euro, www.grandnewworldhotel.com.
Beste Reisezeit: Spätes Frühjahr (Mai / Juni) und Herbst (September / Oktober).
Gesundheit: Für die Einreise sind keine Impfnachweise erforderlich oder Impfungen vorgeschrieben.
Veranstalter: Pauschalreisen: Eine 8-Tage-Privatreise „Impressionen im Reich der Mitte“ gibt es bei Gebeco ab 1 750 Euro, www.gebeco.de
Ein paar Stunden hat man im Normalfall Zeit, dieses Weltwunder in all seinen Facetten auf sich wirken lassen. Seine eleganten Bögen und sanften Schwünge zu bestaunen und ihnen zum Beispiel hier in Mutianyu auf 14 Kilometern Länge zu folgen. Kein ganz einfacher Spaziergang, denn das ständige Auf und Ab strapaziert die Waden enorm, und manches Steilstück wird sogar zum Härtetest. Doch jeder Meter ist es wert: An allen Ecken und Enden gibt es Panoramen und fantastische Blicke auf den Hauptdarsteller, der sich optisch manchmal zum Kreis verdreht, zum Knoten schlingt, zum Knäuel verdichtet. Als Herr Cai ganz zum Schluss den Irrglauben ausräumt, man könne die „Große Schlange“ sogar vom aus Mond sehen, juckt das folglich niemanden die Bohne – das nahe Erlebnis ist das wahre Wunder und durch nichts zu ersetzen.
Das zweite epochale Mysterium dieser Reise liegt gut 1 000 Kilometer von Peking entfernt. In Xi’an führt Frau Chiang deutsche Gäste in die 2 200 Jahre alte Welt – oder besser Unterwelt – des gleichermaßen genialen wie größenwahnsinnigen ersten Kaisers Qin Shihuangdi. Ließ dieser doch von über 700 000 Zwangsarbeitern ein Monumental-Mausoleum anlegen, das von 7 278 lebensgroßen Krieger- und Pferdefiguren aus Ton bewacht wurde. Diese Terrakotta-Armee – 1974 zufällig bei Brunnenbohrarbeiten entdeckt – war und ist eine von Chinas größten Sensationen.
Gleich in der ersten gigantischen Halle steht man dann auch einigermaßen fassungslos vor einem Teil dieser einzigartigen militärischen Formation. Zu sehen sind circa 1 000 Krieger, die – angeführt von 204 Bogenschützen – in elf, von dicken Wänden getrennten Korridoren, dicht an dicht in Schlachtordnung stehen. Und das Ganze so frappierend lebensecht, dass man meint, es genüge ein kurzer Wink mit dem imaginären Zauberstab, um Kommandos erschallen, Pferde wiehern, Pfeile sirren und Soldaten abmarschieren zu lassen.
Was außerdem fasziniert: Alle Krieger tragen individuelle Züge. Auch Nasen, Ohren, Haare und Bärte unterscheiden sich erheblich. Ein Eindruck, den Frau Chiang umgehend bestätigt: „Bis heute haben wir in der Tat keine zwei Figuren mit dem gleichen Gesicht gefunden.“ Abgesehen von diesem finalen Feinschliff entstand die Tonkrieger-Armee in einer Art Fließbandverfahren. So sind Basisplatten und Unterschenkel stets aus massivem Ton geformt, die Uniform entstand aus Tonwülsten und -platten. Die Arme wurden separat hergestellt, acht verschiedene Menschen- und auch alle Pferdeköpfe in Hohlformen produziert.
Schließlich brannte man die unglasierten Figuren bei circa 1 000 Grad, malte sie in leuchtenden Farben an und verpasste ihnen Speere, Schwerter, Bögen und Armbrüste. Davon ist freilich nichts mehr zu sehen – längst verrottet sind die hölzernen Waffen, und auch alles ursprüngliche Weiß, Schwarz, Rot, Grün, Blau, Violett, Gelb und Braun verblasste erschreckend schnell, als die Krieger nach über zwei Jahrtausenden Dunkelheit und Grabesmuff plötzlich mit Licht und Luft in Kontakt kamen. Ein Verfahren zum Schutz des originalen Farbüberzugs wurde erst 2004 entwickelt – unter maßgeblicher Beteiligung bayrischer Experten übrigens.
Bis heute ist gerade mal ein Viertel der gesamten Anlage freigelegt. Auch des Kaisers Grabhügel blieb bislang unangetastet, in dessen Innern der Legende nach Tausende von Perlen und Edelsteinen den Sternenhimmel symbolisieren und alle Seen und Flüsse Chinas aus Quecksilber nachgebildet sein sollen. Aber selbst, wenn dort eines Tages neue sensationelle Funde ans Tageslicht träten – die Welterbe- und Weltklasse-Armee der Tonkrieger wird wohl auf lange Zeit durch nichts und niemanden zu schlagen sein.