Durch den kanadischen Banff-Nationalpark streifen Luchse, Pumas und Elche. Im Winter stoßen Skifahrer manchmal auf ihre Fährten. Gefährliche Situationen sind zum Glück aber selten.
Von Win Schumacher
Fast lautlos plätschert der dunkle Fluss Bryant Creek vorbei an Eis- und Schnee-Inseln dem Cone Mountain entgegen.
(Foto: Ram Malis)
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Wie weit sind die Wölfe? Laura Rance reckt die Antenne ihres Empfangsgeräts noch höher, aber es ertönt kein Signalton. Es ist früh am Morgen in den kanadischen Rocky Mountains und im Banff-Nationalpark herrscht eine fast unheimliche Stille. Nur einige hundert Meter von hier sucht eine Gruppe Wapiti-Hirsche unter der Schneedecke nach Fressbarem. Hinter ihnen ragt das majestätische Felsmassiv des Mount Rundle auf.
„Sie können nicht weit sein“, sagt die Parkrangerin. Erst vor wenigen Tagen wurde das Rudel hier in der Gegend gesehen. Rance kann mit ihrem Ortungsgerät die Wölfe aus einiger Entfernung aufspüren, denn eines der Tiere trägt ein Funkhalsband. Jetzt im Winter kommen die Tiere dem kleinen Städtchen Banff manchmal ganz nah. „Wir müssen die Hirsche immer wieder aus dem Zentrum treiben“, sagt Rance, „Sie glauben sich in der Nähe des Menschen in Sicherheit.“
Durch den Banff-Nationalpark streifen noch immer Wölfe, Luchse und Pumas. Wer auf den Langlaufpisten des Schutzgebiets den Winterwald erkundet, stößt bisweilen auf ihre Fährten im Neuschnee. Je weiter man auf Skiern ins Innere des Unesco-Welterbes im Westen der Provinz Alberta vorstößt, umso dichter rückt der verschneite Zauberwald an die Piste. Nur Bärenspuren sucht man vergeblich. Die Grizzlys und Schwarzbären halten in der kalten Jahreszeit Winterruhe.
Fast lautlos plätschert der dunkle Fluss Bryant Creek vorbei an Eis- und Schnee-Inseln dem Cone Mountain entgegen. Foto: Ram Malis
Schlittenhunde fühlen sich im eisigen Winter Kanadas wohl. Foto: Destination Canada
Schilder warnen im Wald vor Bären. Für Skifahrer stellen diese aber keine Gefahr dar, da sie in der kalten Jahreszeit Winterschlaf halten. Foto: Ram Malis
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Der Banff-Nationalpark ist der älteste und meistbesuchte Nationalpark Kanadas. Mehr als vier Millionen Touristen besuchten den Park im letzten Jahr. Der ungeheure Besucherstrom stellt Naturschützer und die Parkverwaltung vor gewaltige Herausforderungen. Im Hochsommer drängen sich auf den Busparkplätzen und Aussichtspunkten Reisegruppen aus aller Welt. Selbst auf entlegeneren Wanderwegen herrscht dann Hochbetrieb.
Im Winter bevölkern in- und ausländische Gäste die Abfahrtspisten der Skigebiete. Sie gehören zu den beliebtesten Kanadas. Die Lifte von Lake Louise oder des bis zu 2770 Meter hoch gelegenen Sunshine Village sind von November bis Mai geöffnet. Dann sind hier im Nationalpark Après-Ski-Partys statt stiller Winterzauber angesagt.
REISE-CHECK
Anreise: Zum Beispiel mit Air Canada oder Icelandair über Toronto oder Vancouver nach Calgary in Alberta. Von Calgary kommt man am besten mit dem geländetauglichen Mietwagen in die Rocky Mountains.
Unterkünfte: Die urgemütliche Skoki-Lodge inmitten des Banff-Nationalparks liegt auf 2164 Metern Höhe und ist im Winter nur auf Skiern zu erreichen, www.skoki.com. Eine der schönsten Unterkünfte im wilden Kananaskis Country ist die weltabgeschiedene Mount Engadine Lodge mit atemraubender Bergkulisse. Von hier aus lassen sich zahlreiche Langlauftouren verschiedener Schwierigkeitsgrade unternehmen, www.mountengadine.com.
Weitere Auskunft: Travel Alberta, www.travelalberta.com, offizielle Website der Destination Canada, www.meinkanada.com.
„Mit der Anzahl der Besucher steigt auch das mögliche Konfliktpotential mit Wildtieren“, sagt Saundi Norris. Die Biologin ist im Nationalpark zuständig für das Zusammenleben von Mensch und Tier. Meist klappt das reibungslos, doch gerade im Winter, wenn Eis und Schnee die Bergbewohner auf der Suche nach Nahrung ins Tal und in die Nähe menschlicher Siedlungen zwingt, kommt es manchmal zu unheimlichen Begegnungen.
Ein Vorfall wie 2001, als ein Puma eine Langläuferin tötete, gilt jedoch als absoluter Ausnahmefall. „Wir haben hier Jahr für Jahr hunderte positive Begegnungen mit Wildtieren“, sagt Norris, „aber diejenigen, die es in die Schlagzeilen schaffen, sind leider immer nur die negativen.“ Dass Menschen ins Visier der Berglöwen geraten, ist äußerst selten. In den letzten 100 Jahren gab es nach offiziellen Angaben nur 25 tödliche Puma-Angriffe in ganz Nordamerika.
Rund um Banff führen Wildkorridore oft nicht weit entfernt an Supermärkten, Schulen und Kindergärten vorbei. Panisch wird hier beim Auftauchen von Wölfen und Pumas aber niemand. Ihre Fährten werden im Winter von Norris’ Mitarbeitern gezählt und ausgewertet.
Anders als auf den Abfahrtspisten der drei Skigebiete, die im Park liegen, herrscht auf den Langlaufloipen kaum Andrang. Noch weniger Wintersportler zieht es in den Yoho-Nationalpark jenseits der Grenze zu British Columbia, den Peter Lougheed- und Spray Valley-Naturpark. Das wilde Bergpanorama von Kananaskis Country war bereits Kulisse für großes Kino. Hier wurden Teile von Brokeback Mountain und The Revenant gedreht.
Naturliebhaber haben in Kananaskis die Winterwunderwelt der Rocky Mountains ganz für sich allein. Wer es abenteuerlich mag, kann sich hier auch eine eigene Route von Hütte zu Hütte zusammenstellen, die die Kanadier Backcountry Huts nennen. Einige der Unterkünfte sind im Winter nur auf Skiern zu erreichen.
Auf dem Bryant Creek Trail im Spray Valley umgibt den einsamen Langläufer eine schneeflockenumsäuselte Stille. Etwa anderthalb Stunden südlich von Banff trifft man hier – wenn überhaupt – auf nur wenige gleichgesinnte Skifahrer, denen Natur allein für den perfekten Winterausflug genügt. Am Pistenrand warnen Schilder vor Bären. Im Sommer sollten sich Wanderer hier in Acht nehmen. Der winterliche Besucher kann die Hinweise jedoch getrost ignorieren. Bestenfalls wird ihm hier ein Kojote oder ein Elch begegnen.
An diesem Wintermorgen ist es ganz still im Bergwald. Von Weitem ist nur hin und wieder das leise Glucksen von Tannenhühnern zu vernehmen. Sonst nichts als das Flüstern von Schnee, der von überladenen Zweigen fällt und das Knirschen der Skier. Fast lautlos plätschert der dunkle Fluss Bryant Creek vorbei an filigranen Eis- und Schnee-Inseln dem alles überragenden Cone Mountain entgegen.
Die Loipe führt immer weiter in die Waldeinsamkeit zum stillen Watridge Lake. Sein im Sommer türkisblaues Wasser hat sich längst zu einer blendend weißen Schneefläche verwandelt. Noch eindrucksvoller ist der langgestreckte Marvel Lake mit dem matterhorngleichen Mount Assiniboine als Wächter. Irgendwann verliert sich die Skispur im Neuschnee und der Entdecker muss sich seinen eigenen Weg durch die Wildnis bahnen.
Wer von der Weltabgeschiedenheit nicht genug haben kann, mietet sich eine Nacht in der Schutzhütte von Bryant Creek ein oder schlägt sich über den Wonder-Pass nach British Columbia durch. Weniger Abenteuerlustige nehmen mit der urgemütlichen Mount Engadine Lodge vorlieb. Hier kann man sich nach einer anstregenden Skitour nicht nur am Kaminfeuer aufwärmen, sondern wird auch fürstlich bekocht. Von der Terrasse blickt man auf ein Gebirgstal mit einer Kette an Dreitausendern als Rückgrat.
„Fast jede Nacht haben wir hier Elche zu Besuch“, verrät Lodge-Mitarbeiter Nick Kostiuk. „Im Herbst konnten wir sogar ein Rudel Wölfe beobachten, das mit einem Grizzly um seine Beute kämpfte.“ Angst vor den Räubern vor seiner Tür hat der 25-jährige nicht. „Ich habe vor einem ausgewachsenen Elch sehr viel mehr Respekt.“ Wenn bei Nacht Wolfsgeheul von den umliegenden Berghängen tönt, kriecht ein unheimlicher Schauer unter die wohlig warme Bettdecke. Ist das Knacken, das da gerade draußen zu vernehmen war, etwa ein Elchbulle oder gar ein Puma? Morgen in aller Frühe werden es ihre Spuren verraten. Dann steht ein neues Skiabenteuer an. Wie tröstlich, dass wenigstens alle Grizzlys schlafen.