Samstag,
02.03.2019 - 00:00
6 min
Saint Petersburg in Florida erstrahlt in bunten Farben
Von Susanne Müller

Ex-DDR-Flüchtling Angelique betreibt das Restaurant "The Wharf". Foto: Susanne Müller
Vor wenigen Jahren", sagt Derek Donelly, "da wurde Saint Petersburg als Gottes Wartezimmer oder auch Welt der dritten Zähne bezeichnet - und die Menschen, die hier lebten, als Dinosaurier." Der 35 Jahre alte Künstler schmunzelt, er steht vor einem haushohen Graffiti, vor einem der rund 100 Wandmalereien, die heute die City schmücken.
Inzwischen gibt sich die Stadt jugendlich. Längst hat sich der Block 600, in dessen Straßen die allermeisten der Graffities zu sehen sind, vom Problem-Viertel zum Szenetreff gewandelt. Künstler, schicke Läden und In-Cafés haben sich hier niedergelassen. Die City ist fußgängerfreundlich, das Wetter immer schön, der Stand nicht zugebaut - 2016 schaffte er es auf den vierten Platz der schönsten Strände der USA.
Saint Petersburg liegt im Westen Floridas. Obwohl es sich gehörig aufgehübscht und durch den Zuzug junger Menschen verjüngt hat, und sich der Altersdurchschnitt dem der Bevölkerung in den gesamten USA angeglichen hat, finden hier immer noch eher die Urlauber Entspannung, die sich nicht in den Trubel der Ostküste mit ihren quirligen Städten Miami oder Orlando stürzen wollen. Grundsätzlich scheint die Sonne ja überall satt in Florida, so lohnt es gerade im Winter, den Zehn-Stunden-Flug auf sich zu nehmen und einzutauchen in die bunte Welt der Westküste. Auch dann gibt es noch Tage über 30 Grad Celsius - Saint Petersburg hält den Rekord für die meisten aufeinanderfolgenden Sonnentage.
Derek Donelly erklärt beim Rundgang durch den Szene-Block 600 nicht nur seine und die Graffiti-Kunstwerke seiner Kollegen, er weiß auch, warum seine Stadt zwar kleiner ist, aber den gleichen Namen hat wie die Metropole in Russland. Gegründet wurde die Stadt von Pjotr Alexejewitsch Dementiew. Er war mit seinem Partner John Williams in die neue freie Welt geflüchtet. Eine Münze hätten beide geworfen, um zu entscheiden, wer die Stadt benennen darf und nach wem das erste Hotel heißen soll. Das John Williams-House ist eines der ältesten Häuser der Stadt - 1891 wurde es gebaut. Wäre die Münze auf die andere Seite gefallen, hieße das Örtchen heute Detroit Florida.
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Der Künstler hat viele solcher Geschichten auf einer der "Mural"-Touren in petto, den Rundgängen zu den stadtprägenden Graffiti. Die Teilnahme lohnt, genau wie der Besuch eines der vielen Museen der Stadt. Ganz oben auf der To-do-Liste muss auf jeden Fall das Dali-Museum stehen. In atemberaubender Architektur ist die größte Kollektion von Werken des Surrealisten außerhalb Spaniens zu sehen. Das Museum beherbergt rund 2000 Exponate, darunter acht der 18 berühmtesten wie etwa "Die Beständigkeit der Erinnerung" oder "Die drei Lebensalter: Alter, Jugend und Kindheit". Die Stadt hat die Sammlung Reynolds Morse und seiner Frau Eleanor zu verdanken, die mit Formplastik zu Reichtum gekommen waren. Das Paar war mit Dali und seiner Frau Gala befreundet. Es kaufte seit 1940 mehr als 2000 Werke - das erste kostete 1250 Dollar - und besaß schließlich eine umfangreiche Kollektion, die sie dann 1980 Saint Petersburg vermachte.
Wer dem Blick der Amerikaner auf ihre eigene Geschichte nachspüren will, der sollte auf jeden Fall einige Stunden im "The James Museum of Western & Wildlife Art" einplanen. 300 Bilder, Grafiken und Plastiken hat das Ehepaar Tom und Mary James gesammelt. Die Werke überwiegend noch lebender Künstler zeigen das indianische Leben, Natur im wilden Westen und Cowboys. Ausgespart bleibt allerdings ein künstlerisch-kritischer Blick auf die Vernichtung der Lebensgrundlagen der Ureinwohner des amerikanischen Kontinents und auch der Indianer selbst durch die Landnahme der Einwanderer.
Aber die Tage in den Küstenorten im Westen Floridas sollen ja der Seele guttun. So lockt nach einer Street-Art-Tour, Museumsrundgängen und einem Bummel durch die bunte City ein Lunch in einem der vielen Restaurants direkt am Meer - etwa dem "Wharf" am südlichen Viertel Pass-a-Grille von St. Pete Beach. Hier bietet Angelique exquisit zubereitete Meeresfrüchte an. "Eigentlich heiße ich Angelika", sagt die agile Dame zu den Gästen, wenn sie hört, dass diese Deutsch sprechen. Angelika stammt aus dem Osten Deutschlands. "Wir sind aus der DDR geflohen", sagt sie - deutsche Geschichte am Bootsanleger im Sunshine-Staat, wo Hungrige heranschippern, festmachen und dann in lauer Luft Delikates genießen. Seit 18 Jahren sei sie nun, so erzählt die 73-Jährige, in Florida und hier im "Wharf". Sie beobachte nun genau, was Donald Trump mit Arbeitnehmern aus dem Ausland vorhat: "Vielleicht muss ich ja bald zurückkehren", sagt sie, und gibt zu, dass sie Deutschland und die heimische Mentalität ab und an doch vermisst.
Schön ist er, der Strand in St. Pete - aber nicht weit davon soll der Abschnitt liegen, der als der schönste der USA gilt: in Clearwater, der kleinen Stadt nördlich von Saint Petersburg. Und er ist es. Weißer Pulversand drückt sich durch die Zehen, schier endlos windet sich das Ufer im leichten Bogen, das Wasser ist lauwarm - durchschnittlich um die 24 Grad. Beim Strandspaziergang kann nach Muscheln oder einem Sanddollar gesucht werden. Die sogenannten kreisrunden Scheiben sind das fragil-knöcherne Überbleibsel von Seeigeln. Wer einen findet, ist ein "lucky man" - aber wie es mit dem Glück so ist: Die Dollars sind sehr zerbrechlich, sie müssen gut gehütet und mit Bedacht nach Hause gebracht werden.
Wer nicht nur suchen und genießen will, wer auch Delfine, Fischadler oder fischende Pelikane beobachten möchte, fährt von Clearwater aus nach "Honeymoon Island". Eine Fähre setzt nach "Caladesi Island" über. Hier wird der Traum vom Paradies Wirklichkeit: An den einsamen Stränden der Insel, die seit 1967 unter Naturschutz steht, darf man vier Stunden bleiben. Der Besucher darf auf bereitstehenden Liegen entspannen, kann durch Mangrovenwälder wandern und Kajak fahren. Wenn man einen der Ranger trifft, die die Natur und alle Besucher im Blick haben, hört man nur Lob. Die Besucher nehmen Rücksicht, hinterlassen keine Abfälle und sie betreten nicht die abgesperrten Bereiche, wenn dort Schildkröten ihre Eier im Pulversand gelegt haben: "Man soll hier nichts hinterlassen außer seinem Fußabdruck", sagt einer der Ranger, und die Gäste halten sich daran.
Nach der Abkühlung am Strand wird es schwierig: Es gilt auszuwählen, in welche der inzwischen mehr als 42 Brauereien in der Region zwischen Tarpon Springs und Gulfport es am Abend zum Bier-Tasting gehen soll. Angesagt ist die "Dunedin Brewery". Zu deftig-leckerem Essen gibt es lokal gebrautes Bier in vielen Sorten. Im "Oak and Stone", das erst im Juli in St. Pete eröffnet hat, kann jeder selbst zum Barmann werden - mit einem Chip am Armband, an einer Zapfstraße mit ganz besonderen Bieren. So riecht eines, dank ganz besonderer Zutat, nach Cannabis, andere haben einen Cola- oder Kokosnuss-Touch oder sie kommen hell und perlend daher wie französischer Cidre.
Die Tage an Floridas Westküste tun gut. Die Städte vermitteln Kreativität und Lebensfreude. Sein Leben sei fröhlich und bunt, sagt Grafitti-Künstler Derek Donelly. Nicht nur die Kunst, der ganze Häuserfronten als Leinwand dienen, hat die Region verändert: Kilometerlange Strände mit geschützter Natur, eine junge Gastroszene und kleinstädtische Idyllen haben den westlichen Zipfel Floridas herausgeführt aus dem Oldie-Image und dem Schatten der Städte Miami und Orlando im Osten. Und die Sonnenuntergänge am Clearwater-Beach sind sowieso die schönsten.