Familienministerin Anne Spiegel tritt zurück
Bundesfamilienministerin Anne Spiegel stellt ihr Amt nach Kritik an ihrem Umgang mit der Ahr-Flutkatastrophe zur Verfügung. Das sagen Bundes- und Landespolitiker zu diesem Schritt.
BERLIN/MAINZ. Anne Spiegel (Grüne) ist von ihrem Amt als Bundesfamilienministerin zurückgetreten. In einer Pressemitteilung teilte die Grünen-Politikerin mit, dass sie sich „heute aufgrund des politischen Drucks entschieden“ habe, „das Amt der Bundesfamilienministerin zur Verfügung“ zu stellen. Mit ihrem Entschluss wolle sie „Schaden vom Amt abwenden, das vor großen politischen Herausforderungen steht“.
Wenige Minuten nach Bekanntwerden des Rücktritts traten auch die Bundesvorsitzenden der Grünen, Ricarda Lang und Omid Nouripour, am Rande der Grünen-Vorstandsklausur in Husum vor die Mikrofone. Lang erklärte, dass sie „größten Respekt“ vor Spiegels Entscheidung habe – und für ihren „Mut und ihre Klarheit“. Nouripour bezeichnete den Rücktritt Spiegels als „richtigen Schritt“. Die Art und Weise, wie sie bei ihrer denkwürdigen Pressekonferenz am Sonntag Fehler eingestanden habe, sei mit einer „Transparenz und Offenheit“ geschehen, die „es so im politischen Betrieb noch nie gegeben hatte“. Lang und Nouripour kündigten an, zeitnah einen Vorschlag für die Nachfolge für die Leitung des Bundesfamilienministeriums präsentieren zu wollen.
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Nach dem Rücktritt seiner Familienministerin Anne Spiegel (Grüne) hat Bundeskanzler Olaf Scholz seinen „großen Respekt“ geäußert. Der Kanzler habe mit Spiegel im Kabinett eng und vertrauensvoll zusammengearbeitet, erklärte die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Hoffmann am Montag. „Er wünscht ihr nach dieser schweren Zeit für die Zukunft alles Gute.“
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock hat sich bewegt vom Rücktritt von Familienministerin Anne Spiegel gezeigt. „Anne Spiegel ist durch eine extrem harte, persönlich unglaublich schwere Zeit gegangen“, sagte die Grünen-Politikerin am Montagnachmittag am Rande eines EU-Treffens in Luxemburg. „Mit dem heutigen Tag ist für sie nicht nur politisch, sondern auch persönlich ein Weg beschritten worden, der glaube ich deutlich macht, wie brutal Politik sein kann. Das ist eine Mahnung für uns alle in der Politik“, sagte Baerbock mit Blick auch auf die Pressekonferenz, mit der Spiegel noch am Sonntag versucht hatte, einen Rücktritt abzuwenden. Der Rücktrittsentscheidung der Parteifreundin zollte Baerbock Anerkennung. „Ich habe größten Respekt vor ihrer heutigen Entscheidung und möchte deutlich sagen: Die Bundesregierung, wir als Kabinett, verlieren eine unglaublich tolle Familienministerin, die mit Leidenschaft für Familien, für Kinder, für Frauen in diesem Land brennt und die vor allen Dingen eines der größten Reformprojekte dieser Koalition auf den Weg gebracht hat: die Kindergrundsicherung.“
FDP-Chef Christian Lindner sagte gegenüber unserem Berliner Büro: „Wir haben Respekt vor diesem Schritt. Wir wünschen Frau Spiegel und ihrer Familie alles Gute.“ Auf die Frage, ob auf Spiegel eine Frau im Kabinett nachfolgen müsse, sagte Lindner weiter: „Das ist alles Sache der Grünen. Da gibt es keine Einmischung in deren Fragen.“
Spiegel-Rücktritt sorgt für Echo in Rheinland-Pfalz
Auch in Spiegels politischer Heimat, in Rheinland-Pfalz, sorgte der Rücktritt unmittelbar für ein Echo. Bernhard Braun, enger Spiegel-Vertrauter und Fraktionschef der Grünen im Landtag, teilt mit: „Anne Spiegel hat bei der Flutwarnung keine Fehler gemacht. Alle Daten waren vor Ort. Sie hat sich auf den Katastrophenschutz vor Ort verlassen wie auch Ministerpräsidentin Malu Dreyer. Ich habe großen Respekt vor der Leistung von Anne Spiegel.“
Auch die Opposition im Land äußert sich. Christian Baldauf, CDU-Landeschef und Fraktionsvorsitzender, befindet, dass der Rücktritt notwendig war. „Jeder weitere Tag im Amt hätte der politischen Kultur geschadet.“ Er habe großes Verständnis und Mitgefühl für die familiäre Situation von Anne Spiegel, führt Baldauf aus. Und weiter: „Jeder gerät in Lebenssituationen, die überfordern können. Politiker stehen jedoch in besonderer, öffentlicher Verantwortung. Wenn sie ihrem Amt aufgrund persönlicher Gründe nicht gewachsen sind, sollten sie dies erklären und rechtzeitig eine Auszeit nehmen.“
Auch Stephan Wefelscheid, Parlamentarischer Geschäftsführer der Freien Wähler-Fraktion, kommt zu dem Schluss: „Der Rücktritt war überfällig. Ich hätte mir gewünscht, die Ministerin hätte die Erkenntnis früher gezogen, denn das Amt nimmt über die Dauer einer solchen Diskussion schon Schaden. Am Ende des Tages bleibt: lieber jetzt der Rücktritt als gar kein Rücktritt.“
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Bedauern über den Rückzug äußern indes die beiden neuen Landesvorsitzenden der Grünen, Natalie Cramme-Hill und Paul Bunjes: „Anne Spiegel hat mit ihrem sehr bewegenden Statement gestern Abend ihre persönliche Situation dargestellt. Wir sind überzeugt davon, dass es für unsere Gesellschaft wichtig ist, dass auch junge Mütter unsere Politik gestalten können müssen.
AfD-Landeschef Michael Frisch bezeichnet Spiegels Entscheidung als einen „längst überfälligen Schritt“.
Am Sonntagabend hatte Spiegel mit einem emotionalen Auftritt live im Fernsehen erklärt, wieso sie vergangenes Jahr als rheinland-pfälzische Umweltministerin nur zehn Tage nach der größten Katastrophe in der Geschichte des Landes, nach der verheerenden Ahr-Flut, für vier Wochen nach Frankreich in den Sommerurlaub gefahren war. Sie gab an, dass ihre Familie und sie aus privaten und gesundheitlichen Gründen überlastet gewesen seien. Bei ihrer Pressekonferenz bezeichnete Spiegel den Urlaub als Fehler und bat um Entschuldigung.