Schlagfertiger Fachmann: Ein Nachruf auf Thomas Schäfer

Thomas Schäfer. Archivfoto: dpa

Der hessische Finanzminister Thomas Schäfer ist völlig überraschend gestorben. Politiker aller Parteien zeigen sich schockiert und erschüttert. Ein Nachruf.

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WIESBADEN. Noch am vergangenen Freitag herrschte im hessischen Finanzministerium bis in den Abend das übliche Krisengeschäft. Unter anderem wurde eine Pressemeldung abgestimmt, in der Thomas Schäfer die EU-Kommission aufforderte, bei den Wirtschaftshilfen in der Coronakrise nachzubessern. Verabredungsgemäß wurde die Mitteilung am Samstagvormittag um elf Uhr per Mail versandt. Zu diesem Zeitpunkt war der hessische Finanzminister schon seit 40 Minuten tot.

Um 10.20 Uhr war an einer Bahnstrecke bei Hochheim eine Leiche gefunden worden. Nach Angaben von Staatsanwaltschaft Wiesbaden und Polizeipräsidium Westhessen wurde umfangreich ermittelt – bis am Abend feststand, dass es sich um die Leiche Schäfers handelte. Der 54-Jährige hat einen Abschiedsbrief hinterlassen, in dem er die Gründe für seinen Freitod darlegt.

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Noch am Donnerstag hatte Schäfer gemeinsam mit Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir die Details des Corona-Schutzschirms erläutert, den Hessen über der Wirtschaft aufgespannt hat. 8,5 Milliarden Euro umfasst das Paket. Am Dienstag hatte der Finanzminister im Landtag den Doppelhaushalt von zwei Milliarden Euro vorgelegt. Gewaltige Summen in einer historischen Krise, die Schäfers großes Werk, das Land erfolgreich aus der Schuldenfalle geführt zu haben, über Nacht in Schutt und Asche gelegt hat. Alleine Grund genug, seinem Leben ein Ende zu setzen? Schäfer hinterlässt Ehefrau, eine zwölfjährige Tochter und einen neunjährigen Sohn.

Der 1,97-Meter-Mann aus Biedenkopf wirkte in diesen Tagen der Krise keinesfalls verzagt oder gar verzweifelt. Entschlossen und zupackend, gleichzeitig mit Überlegung und Bedacht, stellte er sich den scheinbar übermächtigen Herausforderungen entgegen. So, wie man ihn kennt. Ein undogmatischer Konservativer, schlagfertig und mit einem Humor gesegnet, der ihn auch in schwerer See selten verließ. Ein Mann, der gerne und viel kommunizierte, meist charmant, nur gelegentlich ruppig. Wenige in seinem näheren Umfeld halten es für möglich, dass Schäfer im Angesicht dieser gewaltigen Herausforderung, der unverschuldeten Finanzkrise den Mut verloren und seinem Leben selbst ein Ende gesetzt hat. Am Sonntag aber sagte Ministerpräsident Volker Bouffier, noch tief erschüttert, zwei Sätze, die aufhorchen ließen und durchaus anderes vermuten lassen: „Ich muss davon ausgehen, dass die Sorgen Thomas Schäfer erdrückt haben. Er wusste offenbar keinen Ausweg mehr, war verzweifelt und ging von uns.“ Manche erinnerten an Schäfers Rede im Landtag. In zehn Jahren als Finanzminister habe er so manches schon erlebt. Sein erster Haushalt habe für 2011 eine Neuverschuldung von 3,4 Milliarden ausgewiesen. „Jetzt sind es zwei Milliarden, und man könnte sagen, das ist alles beherrschbar.“ Die Situation sei aber „restlos unvergleichbar“. Anders als nach der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 stehe Hessen vor einer „Entwicklung unbekannter Dimension, das ist mindestens eine Jahrhundertaufgabe“.

Schwang in dieser Beschreibung der Lage bereits Mutlosigkeit mit? Verbarg sich gar die Botschaft dahinter „ich schaffe das nicht?“ Manche halten das nicht für unwahrscheinlich. Und sie vermuten auch, dass Bouffier – mit seinen Worten – den Tenor von Schäfers Abschiedsbrief wiedergegeben habe.

Nach dem Abitur, Note 1,6, und vor dem Jurastudium absolvierte Schäfer in der Sparkasse seines Heimatortes Biedenkopf eine Banklehre. Das Studium schloss er mit einer Doktorarbeit über plebiszitäre Elemente in der hessischen Gemeindeordnung ab. 1999 folgte er dem Ruf von Justizminister Christean Wagner nach Wiesbaden und wurde sein Büroleiter. Drei Jahre später übernahm er die Leitung des Büros von Ministerpräsident Roland Koch, ehe er 2005 Staatssekretär im Justizministerium und 2009 Finanzstaatssekretär bei Minister Karlheinz Weimar wurde. Seit Herbst 2010 war Schäfer hessischer Finanzminister.

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Koch, Wegbereiter der politischen Karriere Schäfers, meinte zum Tod „eines wirklichen Freundes“, mit dem er bis in die letzten Tage Kontakt gehabt habe: „Die Herausforderungen dieser Tage sind riesig, wohl wahr, die Verantwortung mag zur Last geworden sein.“ Schäfers Tod entspricht nicht dem Bild, das die Allermeisten von ihm hatten. Er macht ratlos und gibt Rätsel auf, die womöglich nie aufgelöst werden können.