Schwerer Rückschlag für die Energiewende: In Süd- und Mittelhessen sind im vergangenen Jahr keine Windräder mehr genehmigt worden. In Nordhessen waren es gerade mal 16...
WIESBADEN. Schwerer Rückschlag für die Energiewende: In Süd- und Mittelhessen sind im vergangenen Jahr keine Windräder mehr genehmigt worden. In Nordhessen waren es gerade mal 16 Anlagen. Das sagten auf Anfrage dieser Zeitung Sprecher der Regierungspräsidien in Darmstadt, Gießen und Kassel. Der Grund für diesen Rückschlag ist nicht allein das vor einem Jahr geänderte Erneuerbare-Energien-Gesetz, das von neuen Anlagen deutlich mehr Wirtschaftlichkeit fordert. Vielmehr haben etliche Windkraft-Projektierer wegen der immer aufwendigeren und langwierigen Genehmigungsverfahren entnervt aufgegeben. In Südhessen etwa wurden 2017 Anträge für insgesamt 29 Anlagen zurückgezogen, so im Odenwald- und Rheingau-Taunus-Kreis sowie im Main-Kinzig-Kreis. Abgelehnt hat das Regierungspräsidium Darmstadt den Bau und Betrieb von vier Windkraftanlagen im Wetteraukreis aus Gründen des Denkmalschutzes sowie des Artenschutzes.
Artenschutz versus Klimaschutz
Noch nicht entschieden sind in Südhessen Anträge für vier Windkraftanlagen in Beerfelden-Etzean (Odenwaldkreis) und zwei in Schlüchtern. Auch in Gießen warten Anträge für insgesamt 70 Anlagen auf Entscheidung.
Die Genehmigung von Windrädern scheitert häufig am Artenschutz. So war der Schutz des Rotmilans geltend gemacht worden, um den Antrag für Windräder in Wölfersheim (Wetteraukreis) abzulehnen. Argumentiert wird zudem mit der Mopsfledermaus, die auf der Roten Liste der gefährdeten Arten geführt wird. Allerdings werden die Schutzzonen, die für diese Fledermäuse einmal galten, in Hessen zunehmend aufgeweicht. Ursprünglich durfte in einem Radius von 5 000 Metern, der um die Wochenstube einer Mopsfledermaus gezogen wurde, kein Windrad gebaut werden. Diesen Abstand hatte Umweltministerin Priska Hinz (Grüne) schon mit einem Erlass vom 10. Juni 2016 auf nur noch 1 000 Meter reduziert. Jetzt soll auch diese Tabuzone keine Rolle mehr spielen. Auf Basis aktueller naturschutzfachlicher Erkenntnisse gebe es „keine rechtlich begründbaren pauschalen Schutzradien mehr“, so das Ministerium auf Anfrage dieser Zeitung. Es bedürfe nunmehr „einer Prüfung im Einzelfall“, ob ein Mindestabstand von 400, 800 oder 1 000 Metern zu den Quartierzentren eingehalten werden muss.
Die „aktuellen Erkenntnisse“ hat das Ministerium nach eigenen Angaben aus einem Heft des Bundesamtes für Naturschutz gewonnen, das unter dem Titel „Naturschutz und Biologische Vielfalt“ erscheint. In dem Heft wird die Auffassung vertreten, womöglich sei auch ein Abstand von 200 Metern zwischen Windrad und Mopsfledermaus möglich.
Allerdings ist diese Position nicht zwangsläufig auch die Position des Bundesamtes für Naturschutz. Vielmehr wird in dem Heft ausdrücklich darauf hingewiesen, dass in den veröffentlichten Beiträgen Ansichten und Meinungen geäußert würden, die nicht mit denen des „institutionellen Herausgebers“, also des Bundesamtes, übereinstimmen müssen.
Vor allem aber sind die Artikel, in denen stark verkleinerte Tabuzonen für Mopsfledermäuse gefordert werden, auch von Autoren verfasst, die häufig als Gutachter von Windkraft-Betreibern beauftragt werden. Einer der Autoren hat Standorte für Windräder im Flörsbachtal (Main-Kinzig-Kreis) begutachtet, über deren Genehmigung das Regierungspräsidium Darmstadt noch nicht entschieden hat. Seine Empfehlung ist wenig erstaunlich: eine 200 Meter Schutzzone rund um das Quartier der Mopsfledermaus sei ausreichend.
Von Christoph Cuntz