"Nicht nachvollziehbare Unterstellungen": Ist ein...

Das Violence Prevention Network soll Islamisten deradikalisieren. Unser Foto zeigt Anhänger des salafistischen Hasspredigers Pierre Vogel während einer Demonstration in Frankfurt 2013. Archivfoto: dpa

Das Violence Prevention Network ist in Hessen in den Prozess der Deradikalisierung von Salafisten intergriert. Nun werden zwei Mitarbeiter verdächtigt, selbst Kontakte zur...

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WIESBADEN. Hat das hessische Innenministerium den Bock zum Gärtner gemacht und Extremisten mit der Deradikalisierung von Extremisten beauftragt? Berichte des Hessischen Rundfunks (HR) hatten diesen Anschein erweckt: Zwei Mitarbeiter des Vereins Violence Prevention Network (VPN) sollen Kontakte zu Vereinigungen gehabt haben, die ins Visier des Verfassungsschutzes geraten sind. VPN knüpft im Auftrag der Landesregierung das Netzwerk gegen Salafisten. Es ist ein bundesweit beachtetes Vorzeigeprojekt. Stimmen die Vorwürfe, es wäre ein Skandal, auch weil das Versagen der Sicherheitsbehörden dokumentiert wäre, wenn Extremisten in solche Positionen kommen.

Einige der insgesamt 15 Deradikalisierer, die bei VPN arbeiten, haben bei Albrecht Fuess studiert, einem Marburger Islamwissenschaftler. Der Professor kennt die beiden, über die öffentlich diskutiert wird. Die Berichte nennt er „nicht nachvollziehbare Unterstellungen“.

Einer der beiden, ein 27 Jahre alter gebürtiger Bremer und gläubiger Muslim, war im vergangenen Jahr eingeladen worden nach Abu Dhabi zu einer Konferenz von Abdallah ibn Baiya. Der islamische Geistliche war ursprünglich einmal den Muslimbrüdern zugerechnet worden. Manchen gilt er deshalb immer noch als verdächtigt. Doch er ist auch einer der einflussreichsten Rechtsgelehrten in der islamischen Welt.

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Ibn Baiya gehöre einer konservativen Denkrichtung an, so Islamwissenschaftler Fuess. Extremistisch sei er nicht. Und Deradikalisierungsarbeit lebe „vom Kontakt in die Szene“ – alles andere wäre so, als würde ein Blinder über Farben sprechen.

Bei der Einstellung überprüft

Über den in Verdacht geratenen Bremer sagt der Professor: „Wer soll in diesem sensiblen Bereich arbeiten, wenn nicht gläubige und glaubwürdige Muslime, die in die Community hineinwirken“. Alle VPN-Mitarbeiter seien schon bei ihrer Einstellung überprüft worden. Jetzt müsse sich Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) hinter diese Leute stellen. Beuth hat die beiden Deradikalisierer von ihren Aufgaben entbunden. Sie werden – wie alle anderen VPN-Mitarbeiter auch – einer erneuten Sicherheits-Überprüfung unterzogen. Zur Begründung hieß es: Sie hätten eine „verantwortungsvolle Aufgabe in einem schwierigen Umfeld“. Von ihnen werde „die uneingeschränkte Akzeptanz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung“ verlangt.

In Extremismus-Verdacht war der 27 Jahre alte Bremer auch deshalb geraten, weil es Fotos von ihm gibt, die ihn auf der Konferenz in Abu Dhabi zeigen. Er selbst hatte sie auf seiner Facebook-Seite veröffentlicht. Für ihn war das ein Zeichen der Transparenz: „Ich habe nichts zu verbergen“.

Zumal ibn Baiya, der Organisator der Konferenz, zu den Unterzeichnern eines offenen Briefs gehört, der gegen Abu Bakr al-Baghdadi argumentiert, den „Kalifen“ des „lslamischen Staates“. In Abu Dhbai sei es „um das Kalifat und seine Unmöglichkeit“ gegangen, sagt der in Verdacht geratene Deradikalisierer.

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Bei den Salafisten unbeliebt gemacht

Religionswissenschaften und Pädagogik hat er studiert, war schon lange Jahre in der Präventionsarbeit tätig, bevor er bei VPN anfing. Er hat sich damit bei Salafisten unbeliebt gemacht. Manche sehen in ihm einen Abtrünnigen, verfluchen ihn: „Schmor in der Hölle.“

Als Muslim will er sich nicht das Etikett „liberal“ oder „konservativ“ anheften lassen. Vielmehr befürworte er einen humanistischen Ansatz, „der es allen Menschen ermöglichen soll, sich gegenseitig als Mensch zu begegnen“.

Es soll eine Schulleiterin geben, die unzufrieden war mit dem, was der 27-Jährige an ihrer Schule erzählt hatte. Er habe missioniert, hieß es in einem HR-Bericht. Aber es gibt auch andere Berichte. Nach einer Veranstaltung in Gießen war zu lesen: Er habe sehr deutlich gemacht, „dass es gelte, Vorurteilen mit vertieftem Wissen entgegenzutreten und Menschen in einem aktiven Miteinander zu begegnen“. Und an einer Schule im Rhein-Main-Gebiet quittierte eine Schülerin seinen Besuch mit dem Kommentar: „Ich hoffe, er kommt wieder.“

Von Christoph Cuntz