Deutschlandweit gibt es rund 100.000 Menschen, die ausreisepflichtig sind, aber aus den unterschiedlichsten Gründen im Land bleiben und eine "Duldung" haben. In Hessen betrifft...
WIESBADEN. Sie führen ein Leben auf Abruf: Im Ausländerzentralregister sind derzeit die Namen von 6606 Menschen gespeichert, die in Hessen eigentlich gar nicht leben dürften. Es sind Menschen, die ausreisepflichtig sind. Die aber aus den unterschiedlichsten Gründen im Lande bleiben. Die eine „Duldung“ haben, so der Begriff aus dem Aufenthaltsrecht. Doch das berechtigt zu fast gar nichts. Schon gar nicht zu einem Platz an der Sonne. Ob so einer arbeiten darf, hängt vom Ermessen der Behörden ab.
275 „Geduldete“ in Wiesbaden
In Wiesbaden ist Gerhard Fischer Leiter der Ausländerbehörde. Hier wird beispielsweise dann ein Arbeits-Verbot verhängt, wenn der „Geduldete“ zwar keinen Ausweis mehr hat, aber nicht bereit ist, am Ausstellen von Passersatzpapieren mitzuwirken. 275 „Geduldete“ waren in Wiesbaden am 30. April 2017 registriert, sagt Fischer.
Meist sind es Asylbewerber, deren Antrag rechtskräftig abgelehnt worden war. Und die aus den unterschiedlichsten Gründen nicht in ihre Heimat zurückkönnen. Oft eben, weil der Pass fehlt.
Bei anderen wiederum verhindern kurzfristige Hindernisse die Abschiebung oder freiwillige Rückreise. Krankheit etwa ist ein solches Hindernis.
„Viele, die registriert sind, leben hier schon nicht mehr“
Bei einer dritten Gruppe schließlich gibt es grundsätzliche Erwägungen: In den Irak etwa muss keiner zurück. Das regelt seit Jahren ein Erlass des Bundesinnenministeriums. Ausgenommen davon sind Straftäter. Und selbst die dürfen nur in die kurdischen Provinzen des Nordirak „zurückgeführt“ werden. In Osnabrück beschäftigt sich Jochen Oltmer mit dem Leben „Geduldeter“. In Deutschland soll es mehr als 100.000 von ihnen geben. Die Angabe muss ungenau bleiben, meint der Professor. Denn: „Viele, die registriert sind, leben hier schon nicht mehr“.
Und dann gibt es jene, die schon seit vielen Jahren hier leben, deren unsicherer Status, die Duldung, immer und immer wieder erneuert wird. „Ketten-Duldung“ nennt man so etwas. Oltmer hat festgestellt, dass heute über Abschiebungen anders diskutiert wird als noch bei der ersten Flüchtlingswelle in den 90er Jahren. Im vergangenen Jahr waren rund 25.000 Zuwanderer abgeschoben worden. In den 90er Jahren sei die Anzahl doppelt so hoch gewesen.
Hohe Kosten für Abschiebungen
Abschiebungen gelten als belastend für die Betroffenen. Und für den Staat als zu teuer. In Hessen war der Fall von drei Eritreern publik geworden, für deren Abschiebung eigens ein Flugzeug gechartet worden war. Kosten für das Land: 12.320,73 Euro. Für die neun Sicherheitsbeamten berechnete die Bundespolizei weitere 7830 Euro. „Es spart am Ende Kosten, wenn der Staat auf freiwillige Rückkehr setzt“, sagt der Migrationsforscher.
„Geduldete“ haben jede Menge Auflagen zu beachten. Lange Zeit habe es in Deutschland die Überzeugung gegeben, dass man sie nicht arbeiten lassen dürfe. Denn, so Oltmer: „Es bestand die Vorstellung: Wenn man so einem die Perspektive auf einen Job gibt, dann werden solche Leute angelockt“. Erst in den vergangenen Jahren ist man mehr und mehr von dieser Vorstellung abgerückt.
Eines freilich ist gleich geblieben: Der Staat finanziert für solche Menschen keinerlei Integrationsmaßnahmen. Nur für Kinder und Jugendliche: Für die besteht Schulpflicht. Und so wird, je länger ein „Geduldeter“ in Deutschland lebt, die Abschiebung immer schwieriger, die Lage dieser Menschen immer bizarrer. Einerseits wachsen ihre Bindungen an Deutschland und sie verlieren ihre alte Heimat aus den Augen. Andererseits blockiert die „Duldung“ ihre Integration, sagt Migrationsforscher Oltmer. Er plädiert dafür, solchen Menschen nach drei, vier Jahren „Ketten-Duldung“ einen sicheren Aufenthaltsstatus zu geben. Denn: „Es kann nicht sein, dass wir hier Menschen mit minderen Rechten akzeptieren“.
Von Christoph Cuntz