Zeuge im Feldmann-Prozess: „Bei der Awo war alles möglich”

aus Vorgänge um Wiesbadener Awo

Thema folgen
Peter Feldmann (SPD), abgewählter Oberbürgermeister von Frankfurt am Main, hat zu Prozessbeginn im Gerichtssaal des Landgerichts Platz genommen.
© Arne Dedert/dpa/POOL/dpa/Archivbild

Im Korruptionsprozess gegen den abgewählten Frankfurter OB hat der ehemalige Personalchef als Zeuge ein System willkürlicher Einstellungen und Vergütungen bei der Awo geschildert.

Anzeige

Frankfurt. Wurde über Arbeitsverhältnisse und Vergütungen bei der Frankfurter Arbeiterwohlfahrt (Awo) unter der Ägide des einstigen Geschäftsführers Jürgen Richter und seiner Frau Hannelore als „Sonderbeauftragter” nach Gutsherrenart entschieden? Diesen Eindruck erweckte die Zeugenaussage des ehemaligen langjährigen Personalchefs des Frankfurter Kreisverbandes im Prozess gegen den abgewählten Frankfurter Oberbürgermeister Peter Feldmann. Die Staatsanwaltschaft wirft dem SPD-Politiker vor, von der Awo Spendengelder und andere Vorteile angenommen zu haben, im Gegenzug habe er die Interessen des Sozialverbands wohlwollend berücksichtigen wollen.

Überhöhtes Gehalt und Dienstwagen für die Lebensgefährtin

Am sechsten Verhandlungstag ging es am Mittwoch vor allem um die Anstellung der damaligen Lebensgefährtin und späteren Feldmann-Ehefrau Zübeyde Temizel. Dieser war trotz fehlender Berufs- und Führungserfahrung von Hannelore Richter, der ehemaligen Geschäftsführerin in Wiesbaden, die Leitung einer neuen deutsch-türkischen Awo-Kita im Frankfurter Ostend zugesagt worden - bei deutlich überhöhten Gehalt und mit Dienstwagen. Der 68-Jährige, von 1993 bis zu seinem Renteneintritt 2017 als Leiter der Personalabteilung bei der Frankfurter Awo tätig, führte aus, dass die Entscheidung über Personaleinstellungen letztlich Geschäftsführer Jürgen Richter getroffen habe, meist auf Vorschlag der Abteilungsleitungen - oft genug auch über Bedenken des Personalchefs hinweg. „Wenn ich ablehnte, ging es zur Geschäftsführung”, sagte der Zeuge. Es habe über dieses Thema regelmäßig Dissonanzen gegeben. Grund: nicht ausreichende Qualifikationen und/oder nicht tarifkonforme Gehaltseingruppierungen.

Bei der Awo sei im Kinderbetreuungsbereich immer Personal gesucht worden, weil „ständig neue Kindertagesstätte eröffnet wurden”. Um das „dringende Problem” des Fachkräftemangels zu lösen, griffen die Verantwortlichen demnach zu unkonventionellen Methoden. Als „Bonbon” oder Lockmittel wurde etwa die Überlassung eines Dienstwagens verstanden. Dabei habe es keinerlei verbindliche Regelung gegeben, sondern willkürliche Zuweisungen, etwa an Mitarbeiter in der Therapieabteilung oder Hausmeister-Helfer. „Wer einen erhielt, entschied die Geschäftsführung”, so der Zeuge. „Ich habe das hingenommen.”

Anzeige

Irgendwann sind alle Grenzen gefallen.

EP
Ehemaliger Personalchef Awo Frankfurt

Nach dem Tod des einstigen Frankfurter Awo-Kreisvorstandes Erich Nitzling 2014 habe die Rückkopplung zwischen ehrenamtlichen Vorstandsmitgliedern und hauptamtlicher Geschäftsführung nachgelassen, die Kommunikation sei immer schlechter geworden, es habe eingesetzt, was der Zeuge in seiner polizeilichen Vernehmung „Nasenpolitik” genannt hatte: personenabhängige Einzelentscheidungen ohne sachlichen Grund. Dies habe zunehmend „seltsame Züge” angenommen, spätestens mit der Anstellung des stellvertretenden Kita-Abteilungsleiters sei die Einstellung Bekannter, Familienangehöriger oder SPD-Mitglieder normal geworden. „Bei der Awo war alles möglich”, fasste der Ex-Personalchef zusammen. „Irgendwann sind alle Hemmungen gefallen”, es habe keine Grenzen mehr gegeben.

Temizel habe er persönlich nie getroffen, auch kein Bewerbungsgespräch mit ihr geführt, ihre Unterlagen seien „dürftig” gewesen. Hannelore Richter habe ihn angewiesen, der jungen Frau einen Arbeitsvertrag mit Bruttogehalt von 4.300 Euro und Dienstwagen zu gestalten. Die Differenz zur Summe, die der neuen Leiterin gemäß Tarif zugestanden hätte (rund 3.380 Euro), sollte über Zulagen kompensiert werden. Worauf diese beruhten, könne er nicht sagen. „Wenn man so lange in einem Verband arbeitet, weiß man, was man bei solchen Vorgaben zu tun hat”, sagte der ehemalige Personalchef. Nachträglich stufte Richter handschriftlich im Arbeitsvertrag die Anwärterin drei Entwicklungsgruppen höher und strich ihr die Probezeit. Diese Änderung seien dem Betriebsrat nicht mehr vorgelegt worden. „Es war im Wortsinn merkwürdig”, sagte der ehemalige Awo-Funktionär, ein ähnlicher Fall sei ihm in seinen 24 Jahren nicht untergekommen.

Seltsam war auch, dass Zübeyde Feldmann, als sie kurz nach Antritt der Leitungsstelle schwanger wurde und damit nicht mehr arbeiten durfte, auch ihren Awo-Minijob in Wiesbaden, für den sie nachweislich nie Arbeitsleistung erbrachte, behielt. Auf ihren Dienstwagen wollte sie auch in der Elternzeit nicht verzichten. Als der Kreisverband Zübeyde Feldmann aufforderte, das Fahrzeug zurückzugeben, so der Zeuge, habe sich ihr Ehemann bei Jürgen Richter darüber beschwert.

Anzeige

Mehr zur AWO lesen Sie hier in unserem Dossier.