„Es war die richtige Strategie“

Vor einem Jahr hatte Hessens Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir (Grüne) damit begonnen, in London für den Standort Frankfurt zu werben. Mit dem, was seither erreicht wurde,...

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WIESBADEN. Vor einem Jahr hatte Hessens Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir (Grüne) damit begonnen, in London für den Standort Frankfurt zu werben. Mit dem, was seither erreicht wurde, ist er zufrieden.

Herr Al-Wazir, Sie waren vor einem Jahr nach London gereist, um bei Großbanken für den Standort Frankfurt zu werben. Hat sich der Nebel mittlerweile gelichtet? Wird sichtbar, inwieweit Frankfurt vom Brexit profitieren kann?

Natürlich ist klar: Die Vorstellung, dass von einem Tag auf den anderen 5 000 Londoner Banker mit gepackten Koffern in Frankfurt ankommen, war noch nie realistisch. Das ist ein schleichender Prozess. Wir merken aber gerade, dass die Entscheidungen jetzt in schnellerer Folge fallen. In den kommenden Wochen werden wir noch von einigen hören. Bereits jetzt haben wir die Zusagen von rund 15 Banken, die in Frankfurt ihre Europa-Abteilung auf- oder deutlich ausbauen wollen. Wir wissen beispielsweise, dass sich alleine vier japanische Institute für Frankfurt entschieden haben. Von den großen amerikanischen tendieren Goldman Sachs, Morgan Stanley und Citigroup Richtung Frankfurt. Die einen kommen mit ein paar Dutzend Mitarbeitern, die anderen mit ein paar Hundert. Andere, HSBC etwa, gehen nach Paris, Barclays nach Dublin. Unter dem Strich: Es gibt unterschiedliche Entscheidungen, aber Frankfurt liegt bisher vorn. Unsere Strategie war offenkundig die richtige.

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Sie hatten in London vor einem Jahr gesagt, Sie wollten Brücken bauen. Wie viele Banker werden über diese Brücken nach Frankfurt gehen? Wie viele Arbeitsplätze werden hier durch den Brexit entstehen?

Das ist zum gut Teil Spekulation. Allein die Deutsche Bank will 4000 Arbeitsplätze von London weg verlagern. Die Frage wird dann aber sein, ob das in Frankfurt komplett als „zusätzliche Arbeitsplätze“ ankommt. Meine Prognose: Eher nein, denn derzeit werden in der Branche ja in erheblichem Maße Jobs abgebaut. Die Deutsche Bank wird sicherlich auch Mitarbeiter, die jetzt schon in Frankfurt sind, mit Aufgaben betrauen, die bislang in London erledigt wurden. Durchaus realistisch ist aber, dass in einigen Jahren die Zahl von 5 000 zusätzlichen Arbeitsplätzen erreicht sein wird.

Optimisten hatten 10 000 oder sogar 20 000 zusätzliche Arbeitsplätze erhofft.

Es kann sein, dass man irgendwann die 10 000 erreicht. Das hängt davon ab, wie hart der Brexit wird. Wenn er ganz hart wird, werden es hier ein bisschen mehr.

Ist das Rhein-Main Gebiet dafür gewappnet? Gibt es genügend Gewerbeimmobilien und Wohnraum?

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Bei Büroimmobilien hat Frankfurt eine der höchsten Leerstandquoten in Deutschland. Und es werden im Moment ja zusätzlich vier Bürohochhäuser neu gebaut. Da gibt es keinen Mangel. Was den Wohnraum betrifft: Wir müssen völlig unabhängig vom Brexit für zusätzliche, preiswerte Wohnungen sorgen. Das ist übrigens keine Frage des Geldes. In Hessen scheitert kein einziges Projekt des sozialen Wohnungsbaus an fehlenden Fördermitteln des Landes. Das Problem ist, dass die Kommunen nicht genügend Bauland zur Verfügung stellen. Aber nochmal: Die Zahl an möglichen zusätzlichen Arbeitsplätzen wegen des Brexits bedeutet nicht, dass immer mehr Banker in Frankfurt sein werden. Die großen Banken am Finanzplatz bauen wegen ihrer Ertragsschwäche, aber auch durch die Digitalisierung massiv Arbeitsplätze ab. Wenn in einigen Jahren unter dem Strich die Zahl der Arbeitsplätze gleich bliebe, wäre ich schon halbwegs zufrieden.

Als Sie vor einem Jahr nach London gereist waren, hatten Sie die Werbetrommel für den Standort Frankfurt gerührt…

… was sehr erfolgreich war. Wir hatten nicht aufgetrumpft wie andere. Die Franzosen haben Werbeanzeigen geschaltet, etwa die mit dem missglückten Slogan: „Tired of fog? Try the frogs!“. Da wurden wilde Versprechungen gemacht: etwa Steuersenkungen, wenn die Banken nach Paris kommen. Wir haben nichts versprochen, was wir nicht halten konnten. Als wir in London waren, haben wir einfach über Frankfurt geredet. Wir sind mit vielen Vorurteilen konfrontiert worden, überspitzt gesagt: Gibt es bei euch eigentlich fließend Wasser? Das Selbstbild der Rhein-Main-Region, die ja wirklich stark und attraktiv ist, ist das eine. Das andere ist, wenn man das Rhein-Main-Gebiet von London aus betrachtet: Wir mussten zeigen, dass wir was zu bieten haben. Ich war drei Mal in London…

…wann das letzte Mal?

Im Mai.

Ist es beim Vorurteil der Briten geblieben: Frankfurt ist eine grundlangweilige Stadt?

Das ist schon ein bisschen besser geworden. Wir haben deutlich gemacht, wie international die Region ist. Im letzten August hatten unsere Gesprächspartner noch gehofft, dass das mit dem Brexit alles nicht so schlimm wird. Jetzt steht vielen ins Gesicht geschrieben: Himmel, es passiert ja wirklich.

Durch den Brexit wird es für deutsche Unternehmen schwieriger, in Großbritannien Geschäfte zu machen: Auch darauf hatten Sie vor einem Jahr hingewiesen. Hat sich das bewahrheitet?

Bisher haben wir keine Probleme, weil Großbritannien noch in der EU ist. Noch gibt es keine neuen Zollschranken. Aber die Briten wollen den Binnenmarkt ja ausdrücklich verlassen. Und das Pfund wird jetzt schon schwächer. Der Export deutscher Unternehmen nach Großbritannien sinkt. Und wir merken, dass im vergangenen Jahr zum ersten Mal mehr Chinesen als Briten nach Hessen gereist sind. Die Zahl britischer Touristen ist gesunken, weil für sie der Euro teurer wird. Der Brexit verunsichert die Briten, viele bleiben jetzt wohl erst mal zu Hause.

Das Interview führte Christoph Cuntz.