RMV-Chef: „Fahren schlechtere Qualität als wir wollen”

S-Bahn in Frankfurt.

Verspätete Züge, unzählige Baustellen an den S-Bahn-Strecken und dennoch Ticketpreiserhöhungen: RMV-Chef Knut Ringat im Interview über die Situation des Verkehrsverbundes.

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Herr Ringat, wir blicken zurück auf das vergangene Jahr: Hat die Politik mit dem 9-Euro-Ticket aus Ihrer Sicht gute Werbung für den ÖPNV gemacht?

Definitiv. Das war für mich die Initialzündung, um überhaupt eine Idee umzusetzen, wie man mal mit mehr Fahrgästen im ÖPNV die Klimaziele erreichen kann. Schade ist, dass danach so eine große zeitliche Lücke entstanden ist, bis es im Mai mit dem Deutschlandticket weitergeht.  

Aber es sind genau da ja durchaus Kapazitätsprobleme sichtbar geworden.  

Ja, das stimmt. Wir haben die Schwachstellen in unseren Netzen über die drei Monate hinweg dokumentiert und haben diese ganzen Ordner bei unseren Länderministern und dem Bundesverkehrsminister in einer deutschlandweiten Evaluation auf die Tische gestellt – das sind dann unsere Aufgaben für die nächsten Jahre, Finanzierung vorausgesetzt. 

Knut Ringat, Geschäftsführer des Rhein-Main-Verkehrsverbundes (RMV).
Knut Ringat, Geschäftsführer des Rhein-Main-Verkehrsverbundes (RMV). (© Silas Stein/dpa/Archivbild)
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49-Euro-Ticket: „Genau der richtige Ansatz”

Gehen Sie davon aus, dass tatsächlich langfristig mehr Bürger auf den ÖPNV umsteigen, wenn es mit dem 49-Euro-Ticket günstiger wird?

Das Deutschlandticket ist genau der richtige Ansatz als Fortführung der Initialzündung: Es wird dazu führen, dass mehr Menschen einfach den ÖPNV nutzen können und wird damit auch zu mehr ÖPNV-Nutzern führen. Ich schätze – wenn man das gut macht – dass wir Ende 2024 durchaus etwa 15 Prozent mehr Menschen in Bus und Bahn haben können, als wenn es das Ticket nicht gäbe. 

Wird mit dem 49-Euro-Ticket auch eine Vereinheitlichung der ÖPNV-Tarifstruktur in Deutschland einhergehen und die unübersichtlichen Tarifwaben abgeschafft?

Auf längere Zeit wird die Tarifstruktur voraussichtlich einfacher. Erstmal muss man aber gucken, dass das Deutschlandticket nach den ersten zwei Probejahren stabil durch den Bund fortgeführt wird. Wir gehen davon aus, dass das die Politik will und dass das auch gelingt. Wir werden aber deshalb unsere Tarife zunächst so belassen. Wir werden letztlich nach den zwei Jahren sehen, welche unserer Angebote der Kunde noch nutzt.

Wie entwickeln sich die Ticketpreise generell – wird es weiterhin die jährlichen Preisaufschläge geben? Und muss eine Preisdynamisierung auch beim 49-Euro-Ticket gelten?

Beim RMV werden wir künftig indexierte Preiserhöhungen haben, also Preisentwicklungen bei Löhnen, Energie und Dieselkraftstoffe 1:1 auf unseren Tarif umlegen. Das 49-Euro-Ticket heißt ja offiziell Deutschland-Ticket: Das hat den bewussten Hintergrund, dass es sicherlich künftig auch mal einen anderen Preis haben wird. Man wird in der ersten Evaluation nach etwa anderthalb Jahren feststellen, wie teuer es tatsächlich ist. Das hängt auch davon ab, wie viele Menschen das Ticket nutzen.     

Halten Sie auch am Angebot von Jahreskarten fest - die ja oft deutlich teurer sind als das 49-Euro-Ticket? 

Sicher. Es wird nicht jeder das Deutschlandticket kaufen. Wenn beispielsweise in einer Stadt das Monatsticket 52 Euro kostet, das aber übertragbar ist, und noch eine Mitnahmeberechtigung für die Kinder und einen zweiten Erwachsenen drauf ist – warum sollte eine Familie sich dann mehrere Deutschlandtickets kaufen? Wir müssen einfach abwarten, was es für Verschiebungen geben wird und in zwei Jahren entscheiden. 

Verfolgen Sie weiter die Einführung eines smarten RMV-Tarifs?

Nein. Das ist ein öffentliches Versuchslabor gewesen und den werden wir jetzt wahrscheinlich Mitte des Jahres beenden. Wir haben versucht, unsere Kunden über Digitalisierung zu erreichen und festzustellen, was sie wollen. Wir haben beispielsweise ursprünglich angenommen: Wenn ich einen gerechten Entfernungstarif anbiete, dann nimmt das die Leute mit. Das wurde nicht angenommen, wir haben nicht mehr Kunden gewonnen. Egal ob Luftlinie oder gefahrene Kilometer, das hat die Leute nicht hinterm Ofen hervorgeholt. Für die Menschen ist ein bestimmter Rabatt wichtig – ab einer bestimmten Rabattstufe lassen die Menschen ihr Auto stehen und fahren ÖPNV. Und deshalb ist am Ende der Sparpass für um 25 Prozent reduzierte Fahrkarten rausgekommen.   

Der Preis ist nicht alles für den Kunden: Auch Zuverlässigkeit, Komfort, gute Anbindungen und Umsteigemöglichkeiten zählen. Gerade beim Thema Zuverlässigkeit hat der RMV extreme Probleme. Welche Ursachen hat das?

Die Pünktlichkeit der S-Bahn lag im vergangenen Jahr bei rund 88 Prozent, 2021 bei 92 Prozent. Hier gilt eine Sechs-Minuten-Toleranz, also alles bis 5.59 Minuten Verspätung gilt als pünktlich. Es gibt eine Vielzahl von Herausforderungen, die dazu führen, dass wir eine schlechtere Qualität fahren, als wir sie eigentlich haben wollen. Am meisten ächzen wir – so wie die gesamte Wirtschaft - unter dem Personalmangel. Auch Krankenstände sind ein Problem: Hatte man früher einen durchschnittlichen Krankenstand von drei bis vier Prozent, liegt der heute wegen Corona bei elf Prozent oder höher. Zusätzlich haben wir die überlastete Infrastruktur. Hier hat man die vergangenen 20 bis 30 Jahre geschlafen. Zwischen 2020 und 2030 haben wir ein Jahrzehnt des Bauens. 

Worauf müssen sich die Kunden einstellen?

Wir haben in diesem Jahr mehr als 800 Baustellen für Infrastruktur- und Instandhaltungsmaßnahmen im RMV. Jeden Tag durchschnittlich zwei bis drei Bau- und Reparatur-Maßnahmen, die dazu führen, dass der Fahrplan geändert werden muss. Das wird sich Ende dieses Jahrzehnts entspannen, aber bis dahin wird es eher noch dramatischer, als es heute ist. Wir haben eine Vielzahl von externen Großstörungen, die durch verspätete Fernverkehrszüge in die Rhein-Main-Region reingetragen werden. Hier fahren 60 bis 70 Prozent aller Eisenbahnverkehre in Deutschland durch. Eine Großsperrung in Hannover oder München trägt sich bei uns rein – die Fahrstraßen sind dann für uns weg. Das Wichtigste ist aus meiner Sicht, dass die Kunden gut informiert werden. DB Netz kündigt aber manchmal sehr kurzfristig – von heute auf morgen – Änderungen von Baumaßnahmen an. Das ist aber auch dem vermehrten Baugeschehen geschuldet. Wir müssen aber bauen, weil wir ansonsten gar nicht mehr fahren können, da uns die gesamte Infrastruktur unterm Hintern wegbröckelt und ausgebaut werden muss. 

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Prestigeprojekt Wasserstoff-Flotte im Taunus: „Fulminanter Fehlstart”

Immer noch kommt es zu Verzögerungen und Zugausfällen auf der Strecke der Taunusbahn.
Immer noch kommt es zu Verzögerungen und Zugausfällen auf der Strecke der Taunusbahn. (© Andreas Arnold/dpa)

Jetzt haben Sie enorme Herausforderungen für den RMV skizziert. Ein Prestigeprojekt, der lang angekündigte Einsatz der Wasserstoff-Flotte im Taunus, läuft aber alles andere als reibungslos: Statt emissionsfrei hieß es dann erstmal Dieselloks und Schienenersatzverkehr. Wäre es nicht besser, sich zunächst auf das Kerngeschäft zu fokussieren?

Es geht um die Entwicklung eines Systems, um die Klimaziele zu erreichen. Für uns gehört dazu die Antriebswende, hier gibt es entsprechende Vorgaben der Europäischen Union, dass man ab einem bestimmten Zeitpunkt die Züge nicht mehr mit Diesel fahren lassen darf. Wir untersuchen das für jedes Bus- und jedes Eisenbahnnetz technologieoffen. Im Taunus gab es eine langjährige Untersuchung, welche Antriebstechnologie dort die optimale ist. Elektrifizierung und batterieelektrische Züge sind dort keine wirtschaftlichen Optionen. Die Wasserstofftechnologie ist jetzt keine neue Technologie, sondern vielerorts erprobt. Die Entwicklung von Wasserstoff-Schienenfahrzeugen macht in Mitteleuropa hauptsächlich die Firma Alstom. Wir sind nicht die ersten, die ihre Fahrzeuge einsetzen. Der fulminante Fehlstart im Taunus hat damit zu tun, dass der Hersteller Alstom nicht termingerecht und nicht qualitätsgerecht geliefert hat – und liefert. Es gibt technische Probleme, beispielsweise mit den Tanks und wir können nur deutlich kürzere Strecken mit den Zügen zurücklegen als vom Hersteller versprochen. Wir haben leider erst zum Start realisieren können, dass die Züge nicht qualitätsgerecht sind. Hätte ich das vorher gewusst, hätte ich vorher die Reißleine ziehen können. 

Wurde nicht vorher getestet?

Natürlich wurde vorher getestet. Aber es wurde weniger getestet als angedacht, weil die Fahrzeuge später kamen als versprochen. Auch das hat wieder mit der Gemengelage aus Ukraine-Krieg, Energie-Krise, Corona-Pandemie und Personalmangel zu tun. Als Ersatz fahren teilweise Dieselzüge, auf Kosten von Alstom. Von den Ersatzzügen mussten aber auch erstmal viele in die Werkstatt. Ich stelle generell fest, dass die Fahrzeugindustrie heute nicht mehr pünktlich und per se – unabhängig von der Antriebstechnologie - nicht mehr in so einer Qualität liefert, dass man die Fahrzeuge sofort zum Einsatz bringen kann. Deutschlandweit haben wir überall die gleichen Probleme. Bis Sommer sollten alle bestellten 27 Fahrzeuge von Alstom mängelfrei da sein.  

„Für Taktverdichtungen oder Innovationsprojekte reicht das Geld nicht”

Wie sehr hat die Corona-Pandemie den RMV belastet und auf welchem Niveau sind die Fahrgastzahlen mittlerweile wieder angekommen?

Wir hatten im Jahr 2020 35 Prozent weniger Fahrgäste im Vergleich zu 2019, in 2021 waren es 30 Prozent weniger. Im Jahr 2022 waren es bis zum 9-Euro-Ticket ebenfalls 30 Prozent Fahrgäste weniger, danach fast wieder auf dem Vor-Corona-Stand und danach hat sich das bei etwa 85 Prozent eingependelt. Die Einnahmeverluste werden durch den Corona-Schutzschirm ausgeglichen.    

Bund und Land wollen den Bus- und Bahnverkehr in Hessen 2023 und 2024 mit rund 2,2 Milliarden Euro unterstützen. Was bedeutet die angekündigte „Rekordsumme“ für den RMV? 

Wir bekommen mehr Geld, aber dieses Geld wird aufgefressen von Kostensteigerungen, beispielsweise im Energiebereich. Das bedeutet, wir können den Status quo bedienen. Aber wenn eine nächste Krise dazwischenkommen sollte, reicht das nicht mehr aus und wir müssten Verkehre abbestellen. Für Fahrplanverdichtungen, zusätzliche Bahn- und Busverkehre oder Innovationsprojekte reicht das Geld auf jeden Fall nicht.