Kevin Kühnert: "Europa braucht eine Verfassung"

Juso-Chef Kevin Kühnert erläutert auf dem Luisenplatz seine steilen Thesen. Foto: dpa

SPD-Mann Kevin Kühnert trotzt im Wahlkampf auf dem Darmstädter Luisenplatz Regen und Kälte - und sein Publikum mit ihm.

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DARMSTADT. Kevin Kühnert kann auch übel kalter Mai-Regen nicht erschüttern. Und die, die ihm zuhören wollen, auch nicht: Etwa 120 Interessierte fanden sich am Samstagnachmittag zur Europawahl-Tour der SPD auf dem Luisenplatz ein. Und blieben für anderthalb Stunden, trotz des Sauwetters. Was sicher an den Thesen zur Wirtschaftspolitik lag, mit denen der Juso-Chef aktuell polarisiert.

Zwar hatten sich neben Darmstadts SPD-Chef Tim Huß auch die regionale Europawahl-Kandidatin Vivien Costanzo und Landtagsabgeordneter Bijan Kaffenberger eingefunden, aber im Zentrum der Veranstaltung stand Kühnert. Und der streichelte die sozialdemokratischen Seelen: "Wir haben sieben Parteien im Bundestag, aber die Unterscheidbarkeit ist für viele nicht mehr erkennbar." Mit seinen kürzlich geäußerten Standpunkten zur Vergesellschaftung von Firmen und Wohnungen hat Kühnert diesbezüglich teilweise Abhilfe geschaffen. Auch in Darmstadt verteidigte er seinen Kurs und stieß damit auf Zuspruch beim Publikum.

Die Mieten, so Kühnert, seien in den zurückliegenden zehn Jahren in vielen Städten in Deutschlands um 30 bis 50 Prozent gestiegen. In der Altenpflege wiederum zögen Fonds aus vielen Heimen sieben bis zehn Prozent Rendite heraus. "Das sind Bereiche, die müssen dem Markt wieder entzogen werden", so Kühnert. Auch müsse die Besteuerung von Arbeit und Kapitalerträgen gerechter werden.

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Mit Blick auf die Europawahlen wünschte er sich, dass wieder mehr über die "Vereinigten Staaten von Europa" geredet werde. Weniger aus utopistischen Gründen, sondern aus praktischen: "Wir können bei Steuern, Löhnen, Sozialstandards und Fragen der Rechtsstaatlichkeit ohne eine europäische Verfassung nicht mit einer Stimme sprechen", so sein Befund. Diese Grundsatzfragen, die nach Ansicht Kühnerts auch in Europa die politische Debatte der nächsten zehn Jahren prägen werden, dürfe man nicht Rechtspopulisten wie Viktor Orban oder Matteo Salvini überlassen: "Das sind die Feinde Europas, die sonntags von Werten reden und montags wieder nur ihren eigenen Profit suchen." Was dazu führe, dass nach wie vor elementare Themen wie die Flüchtlingspolitik nicht geklärt seien. Es könne nicht sein, so Kühnert, dass Europa wegen der Populisten regelmäßig an der Frage scheitere, einige wenige über das Mittelmeer kommende Flüchtlinge auf einige der reichsten Industriestaaten der Erde zu verteilen.

Die als Gastgeschenk überreichte Dose Odenwälder Apfelweinschorle - immerhin europäisches Kulturgut - öffnete er noch auf dem Luisenplatz vor dem Interview mit dem ECHO[plus-Inhalt]. Sein Publikum hätte ihm gerne noch länger zugehört, aber in Wahlkampfzeiten wird auch Kevin Kühnert gnadenlos vergesellschaftet.