Inflation und Gas-Notstand: AfD und Linke wollen einen „heißen Herbst“, Extremisten wittern ihre Chance. So reagieren die Sicherheitsbehörden in Hessen und Rheinland-Pfalz.
MAINZ / WIESBADEN. Rasant steigende Preise im Supermarkt, explodierende Kosten für Strom, Gas oder Heizöl – die aktuelle Krise ist ein Stresstest für viele Millionen Bürger in Deutschland. Wird aus dem verbreiteten Frust irgendwann Wut? Wissenschaftler, aber auch Politiker der Ampelkoalition schauen mit Sorge in Richtung Herbst und Winter. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hatte gar vor drohenden „Volksaufständen“ gewarnt, diese Formulierung später aber wieder zurückgenommen.
AfD und Linke wollen den Protest auf die Straße bringen und haben einen „heißen Herbst“ angekündigt, bei dem sie allerdings getrennt agieren. Bisher ist die Mobilisierung überschaubar geblieben, doch war das auch bei den Protesten der „Querdenker“-Bewegung gegen die Corona-Maßnahmen am Anfang so.
Zulauf aus Szene der „Reichsbürger und Selbstverwalter“
Bei den Sicherheitsbehörden stellt man sich derweil darauf ein, dass Extremisten vor allem aus dem rechten Spektrum auf den Protestzug aufspringen und missbrauchen wollen. Ob die Versuche wirklich verfangen werden, erscheint derzeit offen. Bisher gibt es dafür zumindest in Rheinland-Pfalz und Hessen keine Anzeichen.
Zwar liegen dem Hessischen Landesamt für Verfassungsschutz „erste Hinweise darauf vor, dass ein Teil des Personenpotenzials, welches die Proteste gegen die Covid-19-Schutzmaßnahmen trug, auch die mit dem Ukraine-Krieg hinzugekommenen Themen aufgreifen könnte“. Verwiesen wird auf entsprechende Ankündigungen von Personen aus dem rechtsextremen Spektrum und der Szene der „Reichsbürger und Selbstverwalter“. „Zum gegenwärtigen Zeitpunkt“ gebe es jedoch noch keine Anzeichen dafür, „dass staatsfeindliche Aktivitäten in der Breite der demokratischen Gesellschaft Resonanz finden könnten“, erklärte der hessische Verfassungsschutzpräsident Robert Schäfer auf Anfrage. „Wir werden die Entwicklungen mit allerhöchster Aufmerksamkeit beobachten“, sagt er. Der hessische Verfassungsschutz betont in seiner Stellungnahme, dass zwischen Protesten gegen konkretes Regierungshandeln und solchen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung unterschieden werden müsse. Nur Letztere seien Gegenstand der Beobachtung.
Im rheinland-pfälzischen Innenministerium heißt es, die Entwicklung der Protestbewegungen werde „mit Blick auf sich möglicherweise zuspitzende Szenarien im Herbst sehr ernst genommen“. Allerdings liegen auch für Rheinland-Pfalz bislang „keine konkreten Anhaltspunkte“ für eine Eskalation vor. Der rheinland-pfälzische Innenminister Roger Lewentz (SPD) sagte zur Lage vor einigen Tagen in einem Interview der dpa: „Ich hoffe, dass wir um den viel zitierten heißen Herbst herumkommen werden.“ Man müsse den Menschen das Gefühl geben: Der Staat steht an ihrer Seite. Damit könnte man auch denjenigen den Wind aus den Segeln nehmen, die dem Staat Versagen vorwerfen.
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„Natürlich werden Querdenker und Quertreiber in Verbindung mit Linken und der AfD versuchen, die soziale Konfrontation herbeizuzwingen“, sagte Lewentz. Es gebe bereits eindeutige Absichtserklärungen zum Beispiel von der Linken und der AfD, das Thema gesellschaftspolitisch anzuheizen. „Ich halte das für sehr gefährlich“, erklärte Lewentz.
Im Osten Deutschlands ist die von den Sicherheitsbehörden befürchtete Instrumentalisierung der Proteste durch Rechtsextreme bereits zu beobachten. So wollte die Splitterpartei „Freie Sachsen“ auf dem Marktplatz im sächsischen Heidenau gegen Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) eine Art Schauprozess veranstalten. Er sollte dabei in Form einer Puppe an den Pranger gestellt werden – was Gerichte untersagten. Stephan Kramer, Präsident des Thüringer Verfassungsschutzes, befürchtet in den kommenden Monaten „eine hochemotionale, explosive und gewalttätige Situation“.
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„Überall, wo Herr Habeck und Herr Scholz auftauchen, sind verschiedene, vor allem rechtsradikale, verschwörungsideologische Netzwerke aktiv, die wir aus den Corona-Demonstrationen kennen, ist auch die AfD aktiv“, sagt der Magdeburger Protestforscher Matthias Quent von der Hochschule Magdeburg-Stendal. „Ihnen gelingt es, ihre Proteste wie spontane Bürgerproteste aussehen zu lassen. Das ist im Grunde die alte Pegida-Strategie.“