Gastkommentar Andreas Rödder: Kanzleramt schlägt Bundesbank

Prof. Dr. Andreas Rödder. Foto: Bert Bostelmann
© Bert Bostelmann

Was bedeutet der Rückzug von Jens Weidmann für die Schuldenbremse? Steht er für das Ende der deutschen Stabilitätspolitik? Andreas Rödder beleuchtet dies mit einem Blick zurück.

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. Nun resigniert also auch Jens Weidmann. Er ist freilich nicht der erste Bundesbankpräsident, der frustriert und zermürbt von der Politik das Handtuch wirft. Und immer wieder ging es um den Euro.

Karl Otto Pöhl trat 1991 von seinem Amt zurück, nachdem er den Umstellungskurs zwischen DDR-Mark und D-Mark in der deutschen Währungsunion nicht hatte mittragen können. Schon zuvor jedoch hatte Helmut Kohl den Bundesbankpräsidenten ausgebremst, als es um die Anfänge der europäischen Währungsunion ging. Auf dem EG-Ratsgipfel in Hannover im Juni 1988 wurde eine Kommission eingesetzt, um die Möglichkeiten zu sondieren. Ihr Vorsitz fiel jedoch nicht, wie vor dem Gipfel kolportiert, an Pöhl, sondern, wie vorher konspiriert, an Kommissionspräsident Jacques Delors - unter dessen Leitung (Überraschung!) ein wesentlich optimistischeres Ergebnis herauskam, als es unter Pöhl der Fall gewesen wäre. Hannover 1988 war der erste Schlag des Kanzleramts gegen die Bundesbank in der Geschichte des Euro.

Axel Weber ging 2011, offiziell weil er die Geldpolitik in der Euro-Rettungspolitik nicht mittragen konnte. Inoffiziell hieß es, der für die Nachfolge von Jean-Claude Trichet als EZB-Präsident gehandelte Weber habe sich von der Bundeskanzlerin nicht hinreichend unterstützt gesehen. Der Job ging schließlich an Mario Draghi und danach an Christine Lagarde.

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Dass die Kanzlerin sich in den Auseinandersetzungen um die Besetzung der europäischen Spitzenämter im Sommer 2019 besonders für Jens Weidmann eingesetzt hätte, wird kaum jemand behaupten. Die Folge: Deutschland hat als ökonomisch stärkstes und finanzkräftigstes Land der Eurozone noch nie einen EZB-Präsidenten gestellt.

Überhaupt ist die EZB mit dem Niederländer Wim Duisenberg gerade einmal eine halbe Amtszeit lang von einem Vertreter eines stabilitätsorientierten Landes geleitet worden, mit Trichet, Draghi und Lagarde hingegen in 18 von 23 Jahren von expliziten Vertretern einer weichen, expansiven Geldpolitik. Zwei deutsche Direktoriumsmitglieder, Jürgen Stark und Sabine Lautenschläger, sind hingegen vorzeitig zurückgetreten.

Denn die Bundesregierungen waren allzeit bereit, deutsche Stabilitätsinteressen, für die das Bundesfinanzministerium und die Bundesbank standen, im Konfliktfall zugunsten der europäischen Integration zu opfern.

Dabei war Jens Weidmann kein Dogmatiker der reinen Lehre. Er wusste immer, dass die europäische Integration nicht ohne weitreichende Kompromisse funktioniert. Er hat die Ankäufe von Staatsanleihen in Notfällen mitgetragen, vor ihrer Ausdehnung und Verstetigung aber ebenso gewarnt wie vor der immer lockereren Geldpolitik einer EZB, die mit den Euro-Krisen der 2010er-Jahre zum entscheidenden europäischen Player aufstieg. Die Stabilitätsorientierung der Bundesbank hatte die Verträge über die Währungsunion geprägt, wurde aber in der Praxis der EZB zunehmend an den Rand gedrängt. Statt ständig Rabatz zu machen, verfolgte die Bundesbank unterdessen einen Kurs moderater Kritik, um ihr Pulver für den Ernstfall trocken zu halten. Vor diesem Hintergrund lässt sich Weidmanns Rückzug so verstehen, dass die von Berlin im Stich gelassene Bundesbank den stabilitätspolitischen Kampf aufgegeben hat - zumal in der EU eine neue Debatte um die Überprüfung (heißt: Aufweichung) der Fiskalregeln begonnen hat, während in Deutschland ein "kreativer" Umgang mit (sprich: eine Aufweichung) der Schuldenbremse diskutiert wird.

All das mag man so oder so sehen. Nicht zu bestreiten aber ist, dass Stabilitätspolitik das Erfolgsgeheimnis der deutschen Marktwirtschaft war. Wenn Deutschland und Europa dem Weg in eine schuldenfinanzierte, von Kommission und EZB politisch dirigierte Wirtschaft folgen, dann wird sich nicht nur die EU wieder einmal überheben. Dann droht auch der weitere Verlust von globaler Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft, an denen es Europa schon heute elementar mangelt. Es ist der Weg in den weiteren Abstieg Europas. Vielleicht sagt das in Berlin mal jemand?

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Von Andreas Rödder