Mathematik ist gut für uns und ist die allerbeste Glücksdroge fürs Emotionshirn, meint Professor Christian Hesse. Der Wissenschaftler hat bereits mehrere Bücher geschrieben,...
. Mathematik ist gut für uns und ist die allerbeste Glücksdroge fürs Emotionshirn, meint Professor Christian Hesse. Der Wissenschaftler hat bereits mehrere Bücher geschrieben, in denen er magische Tricks für schnelles Kopfrechnen verrät oder verblüffende Geschichten erzählt, in denen es darum geht, warum Mathematik glücklich macht. Wir sprachen mit ihm über seine Leidenschaft.
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Professor Hesse, warum gibt es so viele Menschen, die Angst vor Mathe haben?
Eigentlich haben Grundschüler ein ganz unverkrampftes und sogar positives Verhältnis zur Mathematik. Sie sagen oft, dass Mathe sogar ihr Lieblingsfach ist, weil alles so schön aufgeht und wunderbar zusammenpasst. Eins plus eins ist immer zwei. Da kommt es nicht auf irgendwelche Meinungen an. Wenn die Schüler aber zu einer weiterführenden Schule gehen, dann ändert sich das bei einigen. Dann wird Mathematik abstrakter, es wird nicht mehr mit Zahlen gerechnet, sondern mit Buchstaben und Vektoren. Für viele wird die Mathematik dann zu schwer, zu abstrakt und zu lebensfern.
Liegt das an dem Fach selbst oder an der Aufbereitung in der Schule?
Der moderne Schulunterricht gibt eine ganz falsche Vorstellung davon, was Mathematik eigentlich ist und was sie kann.
Was ist Mathematik?
Die Wissenschaft von den Mustern. Die Mathematik versucht, Muster zu entdecken. Die Zahlentheorie sucht Muster in den natürlichen Zahlen, die Geometrie Muster von Punktmengen im Raum, die Stochastik, die Mathematik des Zufalls, versucht Muster in Zufallsgeschehen zu entdecken. Muster in diesem Sinne finden sich überall. Und deshalb hat die Mathematik so viele Anwendungen.
Warum ist es wichtig, dass Mathematik unterrichtet wird?
Weil Mathematik uns zu denken lehrt und wie kein anderes Fach eine quantitative Kompetenz vermittelt.
Wozu braucht man diese quantitative Kompetenz?
Weil wir heutzutage von irrsinnigen Datenströmen begleitet werden, sei es bei Finanzprodukten, Produktionsprozessen oder in der Medizin. Zwar kann man den modernen Alltag mit den Mathe-Kenntnissen aus der achten Klasse einigermaßen bewerkstelligen. Aber, wenn es um Statistiken und Wahrscheinlichkeiten geht, die ja immer öfter auftauchen, dann wäre man schon überfordert. Wenn man die Mathematik beherrscht, wird man in vielen Situationen bessere Entscheidungen treffen können.
Wie das?
Im Alltag muss man fast täglich die Preise von verschiedenen Produkten vergleichen. Das eine gibt es in einer 250-Gramm-Packung, das andere ist fünf Prozent günstiger, aber wird in einer 100-Gramm-Packung angeboten. Oder wenn ich krank bin, operiert werden muss und die Wahl zwischen verschiedenen Therapien habe, die aber Nebenwirkungen haben, die mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit auftreten. Da muss man oft Überschlagsrechnungen machen. Wahrscheinlichkeiten spielen im Alltag eine große Rolle. Sie sind schon bei der Wettervorhersage zu finden: Was bedeutet es, wenn der Meteorologe sagt, heute Nachmittag um 14 Uhr besteht eine 70-prozentige Wahrscheinlichkeit für Regen? Die meisten Menschen können sich darunter nicht viel vorstellen.
Was muss denn geändert werden, damit die Schüler wieder mehr Freude an der Mathematik haben?
Der Schulunterricht in den weiterführenden Schulen muss dringend reformiert werden. Wir müssen in dieser globalen Welt von dem Schubladendenken der Schulfächer wegkommen. Die Fächer sollten durch eine große Zahl von Modulen ersetzt werden, die innerhalb bestimmter Grenzen frei wählbar sind. Das Modul Globale Erwärmung würde aus Physik, Biologie und Geografie bestehen. Andere Module könnten Digitalisierung, Medienkompetenz, Regierungsformen oder Big Data sein.
Viele Menschen haben heutzutage Angst, Massenveranstaltungen zu besuchen. Wie hoch ist aus mathematischer Sicht das Risiko, bei einem Terroranschlag zu sterben?
Es gibt eine statistische Größe, die Mikromort heißt. Eine Aktivität hat ein Risiko von einem Mikromort, wenn die Wahrscheinlichkeit eins zu einer Million ist, dass ich daran sterbe. Ein ganz normaler Tag bietet ein Risiko von einem Mikromort. Das Risiko, an einem terroristischen Anschlag zu sterben, ist statistisch gesehen immer noch sehr klein im Vergleich zu anderen alltäglichen Aktivitäten. Es ist wahrscheinlicher, dass ich an einem Verkehrsunfall sterbe.
Und wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, beim Lotto zu gewinnen?
Diese Wahrscheinlichkeit kann man sehr genau ausrechnen. Für einen 6er ist sie eins zu 14 Millionen. Wenn man das wieder mit den Todesfallrisiken bei bestimmten Aktivitäten vergleicht, dann ist die Chance, Lottokönig zu werden, genau so groß wie das Risiko, auf dem Weg zur Lottoeinnahmestelle ums Leben zu kommen.
Sie spielen also nie Lotto?
Nein, nie. Die Gewinnwahrscheinlichkeiten sind zu klein.
Von Neli Mihaylova