Vom Baum bis zum fertigen Möbelstück – alles aus einer Hand. Wir haben Susanne Kanzler über die Schulter geschaut und über ihre Arbeitsphilosophie gesprochen.
GRIESHEIM. Mit jeder Bewegung wirbelt Susanne Kanzler etwas von dem Holzstaub auf, der in einer dünnen Schicht auf den Flächen der Schreinerei liegt. Feine Partikel schweben in der Luft und machen die Lichtstrahlen der tiefstehenden Herbstsonne sichtbar. Es duftet nach Holz, Wachs und Röstaromen. Mit zügigen Schritten läuft die drahtige Schreinermeisterin durch die geräumigen Hallen der Werkstatt, von einer großen Maschine zur nächsten. Gemeinsam mit ihrem Kollegen Wolgang Rupp bewirtschaften sie die Schreinerei: „Wir haben viel Platz hier und kommen schon seit vielen Jahren sehr gut miteinander aus. Wir lieben die Arbeit und haben da auch ganz ähnliche Vorstellungen von der Herangehensweise.“
Bildergalerie
Video-Reportage Massivholzschreinerin
Suska, wie Susanne Kanzler hier genannt wird, arbeitet konzentriert, still und mit unaufgeregter Routine: Absauganlage anstellen und Luftströme umlenken, Anschläge und Ausrichtungen justieren und die kräftigen Drehstrommotoren anwerfen und später wieder ausschalten. Dann wird Massivholz zersägt, gehobelt, geschliffen und verleimt, wieder geschliffen und immer weiter verfeinert. Es wirkt fast wie eine Choreografie in wiederkehrenden Figuren, in der Impulse aufgenommen, verteilt, variiert und weitergegeben werden. Jede Bearbeitungsstation gibt dabei einen eigenen Rhythmus und die Bewegungsabläufe vor.
Aus einem kleinen Dorf bei Offenburg in Süddeutschland kommend, wollte Suska nach ihrer Gesellenprüfung mehr von der Welt sehen und ging vier Jahre lang auf die Walz. Nach den Jahren der „Tippelei“ hatte sie viele Kontakte geknüpft und kannte bereits viele Schreinereien – auch in und um Darmstadt. Sie hatte sich mit einer Freundin in der Meisterschule in Heidelberg angemeldet und musste deshalb eine Werkstatt finden, in der sie ihr Meisterstück bauen konnte. Ihr gefiel die Werkstadt in Griesheim am besten. Das war 1993. Sie ist einfach geblieben und wurde selbst zum festen Bestandteil der Werkstattgemeinschaft. Die Räumlichkeiten bieten Platz für mehrere Schreiner und so haben sie schon zu sechst parallel in der Halle im Griesheimer Industriegebiet gearbeitet. Jeder auf eigene Rechnung, aber untereinander kollegial unterstützend.
Holzlager und Sägewerk
Selber das „Holz zu machen“, gehört in den Prozess dieser besonderen Schreinerei. Alle Hölzer stammen aus der Umgebung in einem Umkreis von ca. 50 km. Die Stämme werden auf einem Hof in Riedstadt gelagert, getrocknet und aufgeschnitten. Es dauert mehrere Jahre, bevor das Holz verarbeitet werden kann. Und so werden etliche Raummeter für den Vorrat des Holzlagers benötigt. Den Platz teilen sich trocknende Hölzer mit Hühnern, die um und auf den Stämmen und Brettern hausen und ganz nebenbei Schädlinge aus der Rinde und an den Schnittkanten aus dem Holz picken. In der Werkstadt wird konsequent und ausschließlich Massivholz verarbeitet. „Plastik oder Pressspan kommen hier nicht rein. Die stinken auch bei der Bearbeitung und verkleben die Maschinen. Wir legen großen Wert auf ausgewählte Hölzer und Verfahren, die im Einklang mit der Umwelt stehen.“, erklärt Suska.
360-Grad-Rundgang Holzlager und Werkstatt
Regionale Hölzer
Zu vielen ihrer Möbelstücke lassen sich die Geschichten der Bäume, aus denen sie gefertigt wurden, zuordnen. Wie die Bank, die aus dem alten Nusssbaum am Ortsausgang von Groß-Gerau gearbeitet wurde, der zur Flurbereinigung gefällt wurde. Die Werksattphilosophie steht im Gegensatz zu billiger Industrieware, Pressspan und Massenproduktion. Es gibt Einzelstücke und Kleinserien, von der Holzschatulle bis hin zu kompletten Einrichtungen und maßgefertigten Möbelstücken aller Art. Und jede Menge Stühle, die im Eingangsbereich zum Probesitzen bereitstehen. Das große Geld wird mit dieser Philosophie nicht verdient. Vielleicht auch deshalb haben sich die früheren Werkstatt-Partner und ehemaligen Auszubildenden von diesem Arbeitsleben abgewandt. Susanne Kanzler und Wolfgang Rupp sind inzwischen die letzten Verbliebenen der Werte- und Werkstattgemeinschaft, die weiterhin nach Gleichgesinnten suchen. Aber noch gibt es diesen Ort am Rande der Griesheimer Äcker, wo jedes meisterlich gefertigte Stück die Liebe zum Schreinerhandwerk atmet.