Freitag,
09.08.2019 - 08:00
5 min
Impfen gegen Drogen
Von Stefanie Uhrig

Foto: Trsakaoe – stock.adobe
In den letzten Jahren rückte der Kampf gegen Opioid-Missbrauch stärker in den Fokus der Wissenschaft. Der Ansporn dazu kommt aus den USA, wo der Konsum von Opioiden wie Heroin, Fentanyl und Oxycodon immer weiter zunimmt. Erschreckend sind die steigenden Zahlen an Todesfällen durch Überdosen. Dafür gibt es verschiedene Gründe: persönliche Schicksalsschläge, die politischen Verhältnisse oder das Gesundheitssystem. Neue Therapien werden dringend benötigt.
In Deutschland veränderte sich der Konsum von Opioiden in den letzten 25 Jahren kaum. Trotzdem versuchen auch deutsche Forscher, Sucht effektiver zu behandeln.
Ein Ansatz dabei ist es, das körpereigene Immunsystem zu nutzen. Anders als bei herkömmlichen Impfungen, erkennt der Körper die Drogen nicht automatisch als Eindringling. Deshalb tricksen die Wissenschaftler. Sie koppeln die Droge an andere Impfstoffe, zum Beispiel an das Mittel gegen Tetanus. So lernt das Immunsystem, Antikörper dagegen zu bilden, die daraufhin jedes Molekül – jedes Drogenteilchen – im Blut einfangen sollen. Gelangen die Drogen nicht ins Gehirn, können sie auch ihre Wirkung nicht entfalten. Denn die Effekte kommen erst dann zustande, wenn die Drogen an Andockstellen im Gehirn binden, an die Rezeptoren.
Die Sucht verschwindet durch die Impfung allerdings nicht einfach. Bei Abhängigen haben sich Prozesse und Verknüpfungen im Gehirn verändert, wodurch sie beispielsweise das heftige Verlangen nach der Droge spüren. Wenn die Wirkung nun nach der Impfung ausbleibt, kann es passieren, dass die Betroffenen so viel nehmen, bis es nicht mehr genügend Antikörper gibt. Denn dann gelangen doch wieder Teile der Droge ins Gehirn, und es kommt möglicherweise sogar zu einer Überdosis.
Einstellung der Abhängigen ist entscheidend
Einen Vorteil sehen die amerikanischen Wissenschaftler Matthew Banks von der Virginia Commonwealth University und Marco Pravetoni von der University of Minnesota in der spezifischen Wirkung der Impfungen. Jeder Impfstoff ist maßgeschneidert auf eine bestimmte Substanz. So könnten Ärzte beispielsweise bei einer Operation andere Narkosemittel einsetzen, gegen die der Patient nicht geimpft ist. Das hat allerdings auch Nachteile: Möchte man gegen verschiedene Drogen impfen, müssen entsprechend viele Impfstoffe entwickelt, getestet und für die medizinische Nutzung freigegeben werden. Ein langwieriger Prozess. Und es besteht noch eine Gefahr, wie Mathias Luderer, Oberarzt an der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Universitätsklinikums Frankfurt, erklärt: „Die Süchtigen würden wahrscheinlich auf eine andere Substanz ausweichen, gegen die sie nicht geimpft sind.“
Matthew Banks und Marco Pravetoni glauben, dass die Impfungen dennoch einen wichtigen Beitrag leisten können. Sie forschen jeweils an verschiedenen Impfstoffen und sehen die Chance vor allem in der Kombination mit bestehenden Therapien. Die Einstellung der Abhängigen sei entscheidend, findet Banks. „Die Person muss wirklich motiviert sein, ihre Erkrankung zu behandeln“, erklärt er. Mathias Luderer gibt allerdings zu bedenken, dass es auch die Verantwortung der Ärzte ist, die Motivation gemeinsam mit dem Patienten zu erarbeiten. Sie ist nicht Voraussetzung für eine Behandlung, sondern das Ziel.
Bislang gibt es zwei verschiedene Arten, Opioid-Sucht zu behandeln. Zunächst einmal sind da die Medikamente Naltrexon und Naloxon. Sie binden an die gleichen Andockstellen im Gehirn wie die Opioide und verhindern so ihre Wirkung. Naltrexon wird dabei langfristig verabreicht. Doch es eignet sich nur bei sehr motivierten Patienten, da es das Verlangen nach den Drogen nicht verringert. Naloxon wird vor allem bei einer Überdosis eingesetzt, denn es wirkt schnell, aber kurzzeitig.
Die zweite Art der Behandlung – und die Therapie der Wahl, wie Mathias Luderer es ausdrückt – ist die sogenannte Substitution, die Drogenersatztherapie. Das heißt, die Patienten ersetzen ihre Droge durch andere Opioide. Das hat verschiedene Vorteile, beispielsweise kontrollieren die Ärzte die Dosis, und die Medikamente sind „sauber“ – anders als manche Drogen, die man auf der Straße bekommt.
Es mag merkwürdig klingen, eine Droge absichtlich durch eine andere zu ersetzen. Doch Substitutionstherapien helfen vielen Abhängigen. Sie leben gesünder, können mit ihrem sozialen Umfeld besser umgehen, und haben oft eine höhere Lebenserwartung. „Mit Substitution kann man Todesfälle verhindern und Begleiterkrankungen vorbeugen“, sagt Luderer. Die Abstinenz sei nachrangig. Allerdings müssen die Patienten auch hier ständig – teilweise täglich – in die Klinik, um ihre Medikamente zu bekommen. Allein das macht einen normalen Alltag schwierig und viele haben nicht die Möglichkeit, die Energie oder die Motivation, es durchzuhalten. Auch gebe es, gerade in ländlichen Gebieten, zu wenig Ärzte, die eine solche Therapie anbieten wollen oder können, gibt Mathias Luderer zu bedenken. Und natürlich wollten manche Patienten lieber ganz von den Drogen wegkommen, anstatt dauerhaft auf einer Ersatzsubstanz zu bleiben.
Ob die Impfungen es tatsächlich auf den Markt schaffen, um die bestehenden Therapien zu unterstützen, ist die große Frage. Mathias Luderer sieht den Nutzen eher in der Grundlagenforschung, mit geringer Relevanz für die Klinik.
Marco Pravetoni und Matthew Banks sind da zuversichtlicher. Doch bisher wurden alle Impfstoffe gegen Opioide nur im Tierversuch getestet, bis auf eine wenig seriöse Ausnahme. Pravetoni und seine Gruppe wollen mit eigenen klinischen Tests in den USA starten. Bis zur Zulassung wird es aber noch einige Zeit dauern, auch wenn der Impfstoff sicher ist.
Impfungen gegen Nikotin und Kokain sind hingegen schon weiter. Dafür existieren bereits fortgeschrittene klinische Studien. Doch selbst hier gibt es noch technische Probleme. So braucht man ständig Auffrischungsimpfungen. Und auch dann bildet nur ein kleiner Teil der Probanden genug Antikörper, um die Drogen tatsächlich zu neutralisieren. Die Impfstoffe haben also bisher eine recht geringe Effizienz. Ein amerikanisches Forscherteam, das wenig begeisternde Ergebnisse in einem klinischen Versuch bekam, fragt sich, wer die Impfungen nutzen würde. Denn um 300 Teilnehmer für ihre Studie zu finden, benötigten sie 17 Monate – kein Anzeichen für großes Interesse der Abhängigen.
Impfungen werden die Drogentherapie also vermutlich nicht revolutionieren. Dennoch ist es möglich, dass sie als Zusatz zu anderen Behandlungen die Patienten unterstützen, die einen Weg aus der Drogensucht suchen – in einigen Jahren und nach vielen weiteren Studien.