„Hier stehen wir und wollen anders. Jetzt gehen wir und können anders.“ Nach vier Tagen erschöpfender Fülle in Berlin, Potsdam und sechs Kirchentagen auf dem Weg in acht...
WITTENBERG/BERLIN. „Hier stehen wir und wollen anders. Jetzt gehen wir und können anders.“ Nach vier Tagen erschöpfender Fülle in Berlin, Potsdam und sechs Kirchentagen auf dem Weg in acht Städten der Reformation sandte Kirchentagspräsidentin Christina Aus der Au die 120 000 auf den Elbwiesen zu Wittenberg wieder zurück in ihre Gemeinden. Denn Kirchentag ist – hoffentlich – mehr als fünf Tage Diskutieren und Feiern, und er kann mehr Menschen bewegen als jene, die ihn live erlebt haben.
Beginn des Reformationssommers
Das Ende des Kirchentages ist zugleich der Beginn des Reformationssommers. „Wir haben 500 Jahre in Trennung gelebt, sagt Heinrich Bedford-Strohm, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland, „jetzt wollen wir als Freunde in Christus zusammenleben“. Er setzt seine Hoffnung auf eine „Generation 2017“, die den Reformationssommer zum Aufbruch nutze.
Genau damit beauftragt Thabo Makgoba, als Primas der Anglikanischen Kirche in Südafrika Nachfolger Desmond Tutus, in seiner Predigt die junge Generation. „Ich fordere euch auf, lebt den Kirchentag! Hört die Schreie der anderen und die des Planeten!“ Der Beitrag Martin Luthers für den Teil der Welt, den Europa beeinflusst habe, sei nicht hoch genug einzuschätzen. „Er war einer der wahren Väter der demokratischen Freiheit.“ Insofern sei die Reformation nicht etwas, was nur die Vergangenheit betreffe: „Die Reformation, deren Startpunkt er setzte, war mehr als ein theologischer Wendepunkt. Sie war ein definierender Moment unserer soziologischen und politischen Entwicklung.“ Im heutigen Kontext interpretiert könne sie unsere Führung, unser inspirierendes GPS werden.“
Prominentester Gast zum Finale ist der Bundespräsident. „Ich glaube, Martin Luther wäre ganz zufrieden mit uns heute“, freut sich Frank-Walter Steinmeier. „Was Kirchentag ist, ist so kostbar.“ Eigentlich wäre er der Präsident des nächn Kirchentages 2019 in Dortmund gewesen – doch da er nun Bundespräsident ist, folgt ihm der Journalist Hans Leyendecker in diesem Amt.
Es war ein eher ruhiges, besonnenes Glaubenstreffen. Oder – wie es Volker Jung, Präsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, formulierte: „Fromm, politisch nachdenklich, fröhlich“. Und mit einem Publikum, das es sonst nirgendwo gebe: „Konzentriert, interessiert, mit kundigen Rückfragen.“ Etwa zum Thema „Ist die Vernunft noch zu retten?“ Eine Stunde im Internet genüge, so Bundespräsident Steinmeier in einer Podiumsdiskussion, um einen vernünftigen, rational denkenden Menschen zur schieren Verzweiflung zu bringen. Den Beginn einer neuen Debatte über Globalisierung macht er als das Neue in der aktuellen politischen Diskussion aus. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs habe man geglaubt, alle Probleme seien gelöst. „Doch die Geschichte geht weiter, der weltweite Synchronisierungsdruck steigt.“
„Objektivität statt Klickzahlen“
Steinmeiers Schlussfolgerung: „Identität ist nicht nur ein Nebenbei-Problem.“ Sie werde jedoch gefährlich, wo sie den Blick für die Wirklichkeit verliere. „Die Welt ist vieldimensional, ihre Darstellung im Netz eindimensional“, gefühlte Wahrheiten drohten dauerhaft an die Stelle überprüfbarer Fakten zu rücken: „Wir können auch in der digitalen Welt nicht auf Vernunft und produktiven Zweifel verzichten.“ Deshalb brauche es Medien, „für die nicht Klickzahlen zählen, sondern für die Objektivität und journalistischer Anspruch wichtig sind“.
Noch mehr als in früheren Jahren war Berlin ein Kirchentag der Begegnungen. Nicht über andere reden, sondern mit ihnen. Einer von vielen Belegen dafür: die christlich-muslimische Dialogbibelarbeit mit dem Kasseler Bischof Martin Hein und Taoufik Hartit, Gründungspräsident des Bundes Moslemischer Pfadfinderinnen und Pfadfinder aus Rüsselsheim, die einen völlig neuen Blick auf die biblische Geschichte des Zachäus wagten, den Jesus wahrnahm, ansprach und bei ihm einkehrte. „Begegnung gelingt nicht im Vorbeigehen – Veränderung ebenfalls nicht“, machte Hein das Innehalten als Höhepunkt der Geschichte aus.
Die drei großen monotheistischen Religionen sehen sich als Erben Abrahams – Christen und Juden in der Tradition seines Sohnes Isaak, Muslime in der von Ismael. Doch Hartit ist sicher: „Gott schließt die Anhänger beider Religionen in dieselbe Familie ein wie die Muslime.“ Und der Bischof ergänzt: „Ja, ich glaube, dass wir einen gemeinsamen Gott haben!“