Seit Millionen von Jahren befinden sich die Menschen in vielfältiger Weise auf der Wanderschaft, aber immer seltener wissen sie, warum und mit welchem Ziel.
Von Stefan Schröder
Chefredakteur VRM
Eine Darstellung von Maria, Josef und Jesus.
(Foto: Marco Desscouleurs - stock.adobe)
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REGION - Wir sind unterwegs, von A nach B, von hier nach dort, von Hü nach Hott. Im Duden heißt es „sich auf dem Weg irgendwohin befindend, auf der Reise, draußen“. Damit ist beschrieben, wie wir Menschen die meiste Zeit gelebt haben. Millionen von Jahren wanderten unsere Vorfahren durch die Botanik, schliefen in Höhlen, unter oder auf Bäumen - sesshaft wurde die Gattung Homo (Mensch) aus der Art sapiens (weise) erst vor rund 12.000 Jahren.
Apropos: Zum Bedauern vieler Freunde völkischen Denkens hat sich der Homo sapiens vor ca. 70.000 Jahren von seinem Herkunftskontinent Afrika auf den Weg nach Europa gemacht. Mit diesen Migranten fingen die Probleme an, denn vorher lebten hier Neandertaler. Letztere hatten zwar weniger Hirnschmalz, waren aber reinrassig und zufrieden und fielen der Umvolkung der Afrikaner gänzlich zum Opfer. Gänzlich? Nun ja, fast alle. Übrigens erzählen uns Urzeitforscher, dass die Jäger und Sammler wesentlich weniger für ihren Lebensunterhalt arbeiten mussten als wir - etwa vier Stunden am Tag. Die Selbstausbeutung fing mit der Landwirtschaft an, als Hütten gebaut, Schafe und Kühe zu Haustieren abgerichtet und verarbeitet wurden.
Unterwegs muss also gar nicht so schlecht sein - vorausgesetzt, man hat ein Ziel und ein anständiges Zuhause. Für Josef und die schwangere Maria traf dies nicht zu. Sie fanden in Josefs alter Heimat Bethlehem nur einen Stall. In der Weihnachtsgeschichte des Lukas-Evangeliums erinnert vieles an die Ur-Welt der Nomaden: die Hirten auf dem Felde, die mit ihren Herden ziehen, die rastlose Flucht des jungen Elternpaares mit dem kleinen Jesus nach Ägypten, die drei Weisen aus dem Morgenland, die dem Stern nach Bethlehem folgen. Übrigens die ersten Pilger. Damals wanderte man noch mit einem Ziel. Heute bemessen die Suchenden dem Weg mehr Bedeutung bei.
Viele Fragen beschäftigen uns vor Heiligabend
Früher war nicht alles besser. Und man kann sich vorstellen, dass sich die Menschen nach Licht und Wärme, also nach einer anderen Jahreszeit sehnten. Das kann nur nachvollziehen, wer zu den mehr als 50.000 Obdachlosen gehört, die in Deutschland aktuell Platte machen, also nächtens schon mal auf U-Bahn-Schächten oder in Containern Schutz suchen. Da heißt es allein schon deshalb in Bewegung bleiben, damit man nicht erfriert. Die Mehrzahl der Deutschen beschäftigt bis zum Mittag des Heiligen Abends aber, ob Fisch, Schwein oder Vegetarisches auf den Tisch kommt. Verpacken wir die Geschenke wieder, oder gibt es dieses Mal nichts (klappt nie)? Wie soll der Baum erstrahlen? Bestückt mit violetten, grünen oder roten Wachskerzen? Gar elektrisch?
Letzteres ist nicht mehr nötig, denn für dezente Beleuchtung sorgen die Bildschirme unserer Endgeräte. Sie heißen so, weil mit ihnen jegliche direkte menschliche Kommunikation endet. Jeder ist mit dem Blick auf Handy oder Tablet anderswo unterwegs. Surfen nennt man das; als ob der Gerätenutzer auf einer Welle schöner Gedanken durch die Welt schwebe. Tatsächlich vergleicht er Preise für Kaffeemaschinen, schickt dem Nachbarn Videofilmchen mit betrunkenen Weihnachtsmännern oder kontrolliert seinen E-Mail-Briefkasten. Am Ende schießt er ein Selfie. Er macht sich ein Bild von sich. Die weihnachtliche Dekoration dient als Kulisse. Bei dieser Dauerspannung im Ego-Zentrum kommt der Schlaf zu kurz, sagen uns die Hirnforscher. Schlaf dient unter anderem dazu, Erlebtes zu verarbeiten und sich auf Kommendes vorzubereiten. Dazu gäbe es genug Anlass. Womöglich feiern in einigen Jahren Maschinen in Menschengestalt mit uns unterm Baum. Was schenkt man denen?
Nicht nur die Gedanken sind in den Tagen vor dem Fest ruhelos. Wir lernen, dass DHL, UPS, DPD, GLS gleichbedeutend ist mit Parken in der zweiten oder dritten Reihe, gerne auch auf Radwegen. Aber wehe wenn eines der 330 Millionen - in Worten Dreihundertdreißigmillionen Pakete und Päckchen von Zalando, Amazon und Konsorten nicht rechtzeitig an der Türe klingelt. Was machen wir bloß, wenn par ordre du mufti oder genauer auf Klagen der DUH - noch eine ungeliebte Abkürzung - die Dieseltransporter nicht mehr fahren dürfen? Weiß der Himmel, warum die Wochen vor dem Fest Advent („Ankommen“) heißen. Es mag ein frommer Wunsch sein. Aber, liebe Leserinnen und Leser, genau dem möchten wir uns voller Hoffnung auf ein gutes Ende anschließen. Kommen Sie gut an!