Wenn Roland Kaiser seiner Delia das weiße Führgeschirr und die gelbe Warnweste anlegt, dann weiß die sieben Jahre alte Labradorhündin: Jetzt ist Arbeit angesagt. Delia ist...
SONNENBERG. Wenn Roland Kaiser seiner Delia das weiße Führgeschirr und die gelbe Warnweste anlegt, dann weiß die sieben Jahre alte Labradorhündin: Jetzt ist Arbeit angesagt. Delia ist ein Blindenführhund – so lautet die korrekte Bezeichnung. Seit 2011 ist sie Kaisers unverzichtbare Begleiterin.
Nur wenige Menschen mit Sehbehinderung hätten einen Hund, sagt Kaiser. „In Wiesbaden kenne ich eigentlich nur noch einen weiteren Hundeführer.“ Woran das liegt, weiß er nicht. „Man muss natürlich grundsätzlich Hunde mögen und bereit sein, sich auf ein Leben mit ihnen einzulassen. Das will nicht jeder. Ich hatte aber als Kind schon einen Dackel, ich liebe Hunde sehr“, berichtet der 62-Jährige. Er hat zwar auch einen weißen Stock, „aber viel sicherer fühle ich mich mit Delia“.
Für Blindenführhunde gibt es keine geregelte Ausbildung
Irgendwann, schildert der Wiesbadener, sei der Punkt gekommen, an dem seine degenerative Augenerkrankung so weit fortgeschritten gewesen sei, dass sich die Anschaffung eines Hundes angeboten habe. „Man muss seinen Hund sehr genau auswählen“, sagt Kaiser. Vor Delia hatte er kurz einen anderen Labrador, mit dem er jedoch nicht zurechtgekommen sei. Es gebe leider keine geregelte Ausbildung für einen Blindenführhund. Unterschiedliche Trainingsmethoden hätten unterschiedliche Ergebnisse. Daher lohne es sich, genau zu erkunden, wie die betreffende Assistenzhundeschule arbeite.
Meist, erklärt Kaiser, kämen geeignete Welpen – oft Labradore oder Golden Retriever, aber auch Riesenschnauzer oder Königspudel – zunächst in eine Familie, die sie sozialisiere. Speziell ausgebildet würden sie dann mit dem potenziellen Herrchen oder Frauchen gemeinsam. Roland Kaisers Delia beherrscht etwa 40 Hörzeichen, meist in Kombination mit „Such“: So zeigt sie ihm mit „Such Bord“ den nächsten Bordstein, mit „Such Tock Tock“ findet sie die Drucktaste an Bushaltestellen, mit der Sehbehinderte sich die Anzeigetafel vorlesen lassen können. Diese gibt es bislang noch nicht allzu häufig. In Sonnenberg, wo Kaiser wohnt, ist am Hofgartenplatz eine vorhanden.
Delia muss einen Befehl auch verweigern können
Delia und Roland Kaiser drehen eine Runde um den Platz und zeigen, wie sich Herr und Hund gemeinsam orientieren. Delia läuft immer auf der linken Seite, bleibt stehen, wenn der Bordstein erreicht ist, oder zeigt ihrem Herrchen die Treppe am Eingang zur Bank. Sie reagiert auf „links“ und „rechts“. Auch eine Sitzbank kann sie auf Wunsch anzeigen – meist sind dort die Bushaltestellen. Dass Delia ihren Besitzer sicher über eine Straße führen kann, also abwartet, bis kein Auto mehr kommt, hat man ihr auch beigebracht. Der Blindenführhund muss einen Befehl sogar verweigern können: Das ist „intelligenter Ungehorsam“. Der Hund darf seinen Besitzer also nicht mitten in den Straßenverkehr führen, auch wenn dieser ihm „voran“ befiehlt. Ganz schön viel für so einen Vierbeiner, aber die gut ausgebildeten Hunde können so etwas. Und sind natürlich, wie alle anderen Hunde auch, beste Freunde und Familienmitglieder.
Für die Krankenkasse indes gilt das Tier als „Hilfsmittel“, dessen Kosten sie übernimmt: Anschaffung, Ausbildung und Unterhalt. Auch die Hundesteuer entfällt in diesem Fall. Dadurch, dass die gut ausgebildeten Hunde ihren Besitzern so ein hohes Maß an Autonomie und Mobilität ermöglichen, stellen sie tatsächlich eine große Hilfe dar. „Ich wollte nicht mehr auf Delia verzichten“, sagt Roland Kaiser.
Zugeparkte Straßenecken verwirren die Hündin
Auch wenn ihm die Gedankenlosigkeit vieler Mitmenschen zu schaffen macht. Natürlich, sagt er, sei der Hund ein Anziehungspunkt für viele. „Aber wenn Delia arbeitet, sollte man uns bitte in Ruhe lassen. Nicht streicheln, locken, schon gar nicht füttern, denn Delia muss sich konzentrieren.“ Dafür könne es, wenn er zum Beispiel mit seiner Hündin zum Arzt müsse, im Wartezimmer zu einem großen „Hallo“ kommen. Dann gehe Streicheln auch in Ordnung.
Ein anderes Problem sei die immer schlimmer werdende Rücksichtslosigkeit der Verkehrsteilnehmer, sagt Kaiser. Zugeparkte Straßenecken oder Bürgersteige verwirrten den Hund, denn der finde dann aber den geraden Weg nicht. „Ganz schlimm ist derzeit, wenn wegen Glätte Salz gestreut wird, was ja eigentlich gar nicht erlaubt ist. Delia bleibt dann stehen, denn das tut ihr an den Pfoten weh. Sehende können ausweichen, aber wo sollen wir dann hin – auf die Straße etwa?“, sagt Kaiser und ärgert sich. Nichtsdestotrotz verlaufe der Alltag meist positiv, denn die liebenswerte Delia nehme die allermeisten Menschen sofort für sich ein.