Erinnerungen an die Medenbacher Hebamme Karoline Fischer

Die Medenbacher „Ammetante“ hat von 1889 bis 1941 als Hebamme Hausgeburten betreut und sich vor und nach den Entbindungen um Mutter und Kind gekümmert. Ihr Großneffe...

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MEDENBACH. Die Medenbacher „Ammetante“ hat von 1889 bis 1941 als Hebamme Hausgeburten betreut und sich vor und nach den Entbindungen um Mutter und Kind gekümmert. Ihr Großneffe Werner Fischer vom Heimat- und Geschichtsverein berichtet über ihr Leben und Wirken.

Von Werner Fischer

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts hatten die Landesherren erkannt, dass besonders auf dem Land und in kleinen Dörfern die medizinische Versorgung im Argen lag. 1818 verfügte der Herzog von Nassau, dass möglichst in jeder Gemeinde zumindest eine Hebamme wirken sollte. Für die Ausbildung zugelassen wurden nur Frauen, die gut beleumundet und nicht außerehelich geboren waren. Die Tätigkeiten waren genau festgelegt, und der Kenntnisstand wurde vor Ort regelmäßig überprüft.

Im Hessischen Hauptstaatsarchiv findet sich in Überprüfungsberichten vom Beginn des vorigen Jahrhunderts folgenden Eintrag: Gegen die Erbenheimer Hebamme, Frau Koch, wird wegen einer Unterlassung zwei Tage Haft oder zwei Mark Strafe ausgesprochen.

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In den Berichten ist auch im Jahr 1871 eine Hebamme mit dem Namen Katharina Margarethe Dern (geb. 1837) erwähnt, die von dem Kreisphysikus Bickel geprüft wurde. Ihre fixe Besoldung betrug 22 Gulden. Im Prüfungsjahr betreute sie zehn Geburten. Sie war verheiratet mit einem „Ackermann“ und hatte drei Kinder. Als Prüfungsergebnis erhielt sie „genügend“.

Die Hebamme Dern könnte die Vorgängerin von Karoline Fischer, meiner Großtante väterlicherseits, gewesen sein. Diese wurde am 26.2.1869 in Medenbach geboren und besuchte die Hebammenschule in Marburg. Mit ihrer Tätigkeit begann sie 1889 im Alter von 30 Jahren. Sie war unverheiratet und wollte sich vermutlich mit dieser Ausbildung eine bescheidene Existenz schaffen.

Ärmliches Leben in der „Hinnergass“

Bereits ihre Wohnverhältnisse in einem Häuschen auf kleinstem Grundstück in der damaligen „Hinnergass“ (heute Neufeldstraße 5) lassen auf ein ärmliches Leben schließen: Das kleine Hoftor ließ sich nur nach außen öffnen, der Wohnbereich im Parterre bestand aus einer Küche und einem größeren Raum, der als Wohn- und Schlafraum genutzt wurde. Der Dachbereich war nicht ausgebaut. Alte Medenbacher erinnern sich noch an den Hasenstall und das primitive Plumpsklo außen sowie daran, dass sich nach ihrem Tod etliche Jahre die Poststelle in dem inzwischen aufgestockten Haus befand. Karoline Fischer hatte eine den Menschen zugewandte Art, war hilfsbereit und gewissenhaft. Sie wurde umgangssprachlich in Medenbach „Ammetante“ genannt. Zu ihren Aufgaben gehörten Geburtsvorbereitung, Hilfe und Betreuung während der Geburt, Nachsorge für Mutter und Kind, Hinweise zur Ernährung und naturkundliche Beratung sowie Anleitungen zur Säuglingspflege und Beratungen beim Stillen. In welchem Umfang die „Ammetante“ Kenntnis über Desinfektion, bakterielle Infektionen und die Ursachen für Kindbettfieber und Ähnliches hatte, wissen wir nicht.

Hebammenkoffer mit wichtigen Hilfsmitteln

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Für ihre vielfältigen Tätigkeiten hatte sie eine Tasche mit praktischer Innenausstattung, den Hebammenkoffer. Der Inhalt: Hebammenstethoskop (Hörrohr für das Abhören der Herztöne des Kindes), Fieberthermometer, Hoffmannstropfen (leichte Schmerzmedizin), Schere, Klemmen, Katheter, Verbandsmaterial.

Bei den nahen dörflichen Verhältnissen im damaligen 400-Seelenort-Medenbach gab es natürlich keine Geheimnisse über Schwangerschaft und Geburt. Großfamilien lebten zusammen, Geburten beim Vieh kannte fast jedes Kind. Wenn die „Ammetante“ ins Haus kam, weil die Wehen einsetzten, wusste die Familie, wie alles für die Geburt vorzubereiten war. Damit diese in ruhiger Atmosphäre vonstattengehen konnte, wurden alle im Haus lebenden Kinder zu Nachbarn oder Verwandten geschickt oder hatten einen freien Tag in Feld und Flur.

Sorgfältig führte sie das „Hebammenbuch“ mit den persönlichen Angaben der Schwangeren, Beschreibung des Geburtsverlaufes mit Besonderheiten und gegebenenfalls Komplikationen und Hinzuziehung eines Arztes. Des Weiteren wurde festgehalten: Größe und Gewicht des Kindes, Kopfumfang (Hutmaß), Medikamentengabe, anwesende Personen.

Für ihre verdienstvolle Tätigkeit bekamen die Hebammen nur einen Hungerlohn. Arbeitgeber war die örtliche Gemeinde. Schon 1890 forderte ein großer Hebammenkongress mit 900 Teilnehmerinnen in Berlin wesentliche Verbesserungen. Diese blieben für Jahrzehnte aus. Neben wenig Bargeld erhielt Karoline Fischer von Landwirten eine Naturalentlohnung: Speck, Eier und Kartoffeln. Auch Arbeiter- und Handwerkerfamilien waren häufig zu keiner größeren Vergütung in der Lage.

Stolz war Karoline Fischer über ihre Urkunde vom „Allgemeinen deutschen Hebammenverband“ zum 25-jährigen Dienstjubiläum „als Schützerin des werdenden Lebens, als erste Freundin des Kindes und Helferin der Mütter in schweren Stunden.“ Ihre Anstecknadel trug die Inschrift: „Zum Segen deutscher Frauen und Kinder – V.D.H.“.

Im Schnee stecken geblieben

Von zwei besonderen Entbindungen in der „Vordergass“ kann noch berichtet werden: Bei Ernst Dambmanns Geburt am 11. April 1924 musste die „Ammetante“ bei schlechtem Wetter mit ihrem Koffer zwar nur 300 Meter von ihrem Wohnhaus bis zur „Vordergass“ zurücklegen, blieb aber mehrmals im Schnee der unbefestigten Dorfstraßen stecken. Ein andermal ist sie zur Scheune eines Gehöftes gerufen worden. Die Tochter einer Familie von außerhalb, die im Ort unterwegs war, erfassten starke Wehen. Sie musste liegen, und es bot sich nur das Stroh in der Scheune an.

Nach dem Tod der „Ammetante“ im Jahre 1941 kam für längere Zeit aus Wildsachsen die „Fritzedande“ nach Medenbach. Eine Diakonissenschwester, Luise Völker, 1876 geboren, wirkte damals noch bis Anfang der sechziger Jahre in Breckenheim. Dieter Engel, der Vorsitzende des Heimatvereins, wurde 1948 in Bierstadt geboren. Seine Mutter nahm die Dienste der Hebamme Pauline Pfeifer in Anspruch und lag eine Woche bei ihr im Wochenbett.