Therapeutisches Reiten auf dem Hessler-Hof in Kastel
Der autistische Berke und der halbseitig bewegungsgestörte David trainieren mit den Ponys Muffin und Tic Tac. Beide Jungen machen dank der Hippotherapie große Fortschritte.
Von Sonja Ingerl
Ob beim Reiterseminar bei den Ferienspielen der Stadt (Bild) oder beim therapeutischen Reiten: Auf dem Rücken der Pferde zu sein im Hessler-Hof, ist für Kinder immer ein Erlebnis.
(Archivfoto: hbz/Jörg Henkel)
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KASTEL - Geschickt fängt Berke Kayikci den Ball, den Reitlehrer und Hofbesitzer Johannes Reichmann ihm zuwirft – und das, obwohl der Sechsjährige rückwärts auf dem Pony Tic Tac sitzt. Es ist einer der Momente, in denen das autistische Kind voll konzentriert wirkt. Momente, die ihm im Alltag, aber auch während der Reitstunde schwerfallen.
„Am Anfang hat er nur geschrien“, erzählt Reichmann, der die Hippotherapie mit Berke macht. Dabei fragt der Reitpädagoge immer wieder die motorischen Fähigkeiten des Jungen ab. Sei es einfaches Sitzen in allen drei Gangarten – gern auch mal rückwärts auf dem Pferd, Bälle fangen oder Turnen auf dem Pferd.
Mittlerweile sei der Junge so weit, sich etwas auf das Pferd einzulassen, sagt Reichmann. Und auch seine Mutter Kader Kayikci stellt Verbesserungen fest: „Er ist ruhiger geworden.“ Außerdem habe er angefangen, einzelne Wörter nachzusprechen.
Im Reit- und Therapiezentrum Reichmann am Hessler-Hof in Kastel fühlt sich Kayikci sehr gut aufgehoben. „Die machen das super“, bekräftigt sie. Neben der Reittherapie steht bei Reichmann auch die Integration auf dem Programm. So treffen im Stall und in den Reitstunden Menschen mit und ohne Behinderung aufeinander.
Spastiken durch Reittherapie lösen
Auch körperlich kann die Therapie mit Pferd unterstützen, erzählt Reitlehrerin Astrid Schäfer. Sie ist Ausbilderin im Reiten als Sport für Menschen mit Behinderung. Die Rückenmuskulatur und der Gleichgewichtssinn würden gefördert. Sie unterrichtet unter anderem den neunjährigen David Mersch.
„David wurde mit einer halbseitigen Cerebralparese, also einer Bewegungsstörung, geboren“, berichtet seine Mutter Ina Mersch. Seit er reitet, falle ihm das Laufen leichter. Neben der Beweglichkeit habe sich auch sein Gleichgewicht verbessert. „Es ist zwar nur eine halbe Stunde pro Woche, aber trotzdem tut ihm das total gut.“
Auch David hat sichtlich Spaß an der Sache. Kaum sitzt er auf dem Pony Muffin, lächelt er. David hat Unterricht im Schritt und Trab. „Bei ihm geht es schon ans richtige Reiten“, sagt Reitlehrerin Schäfer. Da David nicht nur das Treiben Probleme bereitet, sondern er auch nur eine Hand richtig benutzen kann, ist Muffin so ausgebildet, dass er auch unsichere treibende Hilfen mit der Gerte versteht und sich einhändig reiten lässt. „Da braucht man ein Pferd, das sich dafür eignet“, berichtet Schäfer.
Neben dem Reiten seien aber auch die Gespräche mit den Kindern wichtig. „Es macht viel Spaß, sich mit David zu unterhalten. Er ist ein intelligenter Junge, der sich über vieles Gedanken macht.“ Und das zeigt er auch in dieser Stunde. Neben seinem neuen Zauberkasten ist Muffins Sensibilität ein Thema. Das Pony könne seine Umgebung und die Gefühle der Menschen sehr gut einschätzen, erklärt Schäfer ihrem Reitschüler. „Also sind Pferde eigentlich die besten Detektive“, schlussfolgert er. Schäfer lacht und stimmt zu.
Nur, damit ein Therapiepferd seinen Job antreten kann, braucht es neben einem gelassenen Charakter auch die passende Ausbildung. „Bei uns sind die Pferde mindestens sechs Jahre alt, haben eine Grundausbildung und dürfen keine Unarten haben“, berichtet Isabel Stolz vom Forschungsinstitut für Inklusion und Sport in Frechen bei Köln. Daran knüpfe eine ein bis zwei Jahre lange Ausbildung zum Therapiepferd an. In dieser Zeit lernt das Pferd, cool und offen mit unvorhergesehenen Situationen umzugehen, sich nicht zu erschrecken oder wegzulaufen und gegebenenfalls auf alternative Hilfen zu reagieren. So werden Pferde laut Stolz an das Treiben mit der Gerte gewöhnt, die den Schenkel von querschnittsgelähmten Menschen ersetzt. Ebenfalls wichtig ist, dass die Pferde am Lifter, einer Aufstiegshilfe für Rollstuhlfahrer, ruhig stehen, bis der Klient auf dem Pferd ist.
Die Untersuchungen sind professioneller geworden
Direkt neben dem Forschungsinstitut befindet sich das Reittherapiezentrum der Gold-Kraemer Stiftung, das auch in Forschungen eingebunden wird. Dort arbeitet Stolz daran, Instrumente zu entwickeln, mit denen die Wirkung und die Erfolge beim Therapeutischen Reiten messbar werden. Denn daran fehlt es Stolz zufolge. Derzeit sieht es in der Forschungslandschaft leider noch so aus, dass die „Qualität der vorhandenen Studien stark schwankt“. So könnten Therapieverläufe und Dokumentationen nicht in der Form erfasst werden, dass dadurch aussagekräftige Rückschlüsse über die Therapie gezogen werden könnten.
Allerdings könnte das in der Zukunft anders aussehen: „Die Untersuchung reittherapeutischer Maßnahmen im medizinischen, psychologischen und pädagogischen Kontext sind in den vergangenen Jahren professioneller geworden“, berichtet sie. Für die neurologisch orientierte Hippotherapie sei im Jahr 2018 auch eine Studie erschienen, die die wissenschaftliche Evidenzklasse Eins hat. „Das bedeutet, dass das Ergebnis als gesicherte Empfehlung gilt“, sagt Stolz. Es seien positive Effekte in Bezug auf Balance, Gangqualität, Muskelaktivierung, Haltungskontrolle und eine gesteigerte Lebensqualität festgestellt worden. „Auch konnten für die Heilpädagogische Förderung mit dem Pferd in der Gruppe positive Effekte in Bezug auf das Sozial- und Kommunikationsverhalten aufgezeigt werden.“ Oft scheitern laut Stolz verifizierbare Ergebnisse allerdings an den kleinen Gruppen.