Eine Kandidatin verlässt bei ihrer Wahl zur hauptamtlichen Stadträtin in Wiesbaden den Sitzungssaal: Warum der Fall Hinninger Verfahrensfragen aufwirft – aber keine vernünftigen.
WIESBADEN. Selbst Christiane Hinninger wird wohl nicht damit gerechnet haben, dass es um ihre Wahl zur Stadträtin noch Trubel geben würde - dafür ist ihre Personalie polarisierend und war ihre Wahl am 28. Oktober knapp genug. Seit dem Widerspruch des BLW/ULW/BIG-Stadtverordneten Veit Wilhelmy ist er auch da, der Trubel. Und seit dieser Woche auch die Stellungnahme des Rechtsamtes zu dessen Vorwurf, die Stadträtin - Entschuldigung: zu diesem Zeitpunkt die Grünen-Fraktionschefin und Kandidatin für das Amt der hauptamtlichen Stadträtin - habe gegen Paragraf 25 der Hessischen Gemeindeordnung verstoßen. In diesem Teil der kommunalen Spielregeln ist der Widerstreit der Interessen geregelt und festgeschrieben, dass "den Beratungsraum verlassen" muss, wer "durch die Entscheidung in der Angelegenheit einen unmittelbaren Vorteil oder Nachteil erlangen kann". So weit ist der Fall Hinninger auch unstrittig, schließlich hatte sich die Grüne ja auch artig aus dem Saal des Erbenheimer Bürgerhauses begeben.
Nur eben - und das ist der für Wilhelmy springende Punkt - nicht weit genug. Während er Hinninger vorwirft, sie habe im Vorraum der Aussprache gelauscht und so Einfluss auf die noch nicht erfolgte Abstimmung nehmen können, beteuert die Beschuldigte, sie sei im Nebenraum ausreichend isoliert gewesen. Lediglich einmal sei sie, weil sie Luft schnappen gewesen sei, kurz durch den Vorraum der Halle gehuscht, um wieder in den Nebenraum zu kommen.
Für das Rechtsamt kommt es nun nicht nur darauf an, wie es denn nun tatsächlich war. Auch ist es aus Sicht der Juristen von Belang, "ob das Durchschreiten so zügig vonstattengegangen ist, dass objektiv von der Möglichkeit einer unsachgemäßen Beeinflussung des Entscheidungsgremiums z.B. durch Sichtkontakt und/oder Mithören der Debatte nicht ausgegangen werden kann". In der weiteren Prüfung des Vorfalls sollte von möglichen Zeugen erfragt werden "wo genau sich Frau Hinninger während der Debatte aufgehalten hat, und insbesondere ob, und wenn ja wann und wie lange Frau Hinninger sich im sogenannten ,Vorraum' aufgehalten hat, ob sie dort während dieser Zeit mit Personen gesprochen hat und wenn ja, mit wem, wie lange und worüber". Und akkurat wie Rechtsgelehrte nun mal sind, empfehlen sie auch, sich auf eine eindeutige Bezeichnung der Räumlichkeiten zu verständigen: "Laut einem dem Rechtsamt vorliegenden Plan des Bürgerhauses Erbenheim wird der zwischen Eingang und Sitzungssaal gelegene Raum "Windfang" genannt, der rechts davon abgehende und anschließende Raum "kleiner Saal/Garderobe".
Fall wird Stadtverordnetenversammlung noch länger beschäftigen
Den Außenstehenden - diesmal nicht räumlich gemeint - und Nicht-Juristen treiben ganz andere Fragen um. Zum Beispiel die, wie ein Belauschen überhaupt ganz praktisch zu einer Beeinflussung von Wahlentscheidungen führen kann. Oder was es über den Mandatsträger aussagt, der sich von einem Seitengespräch mit der Kandidatin Minuten vor der Wahl noch in seiner Entscheidung beeinflussen lässt. Wohlgemerkt einer Wahl, bei der der Gegenkandidat der Opposition - weil kein Stadtverordneter - die ganze Zeit im Saal mithörte und so viele Seitengespräche führen durfte, wie er wollte.
Es steht zu vermuten, dass der Fall noch länger die Stadtverordnetenversammlung, Behörden und Gerichte beschäftigen wird - und durch die nötigen Personalstunden auch eine ganze Menge Steuergeld verbrennt. Geld, das vielleicht noch nachhaltiger angelegt wäre, würde das Rathaus zur Vermeidung künftiger Beeinflussungssituationen schalldichte Kabinen anschaffen oder einen Saal-, beziehungsweise Windfang-Diener einstellen. Sollte der Fall Hinninger tatsächlich noch vor Gericht gehen, wäre bis zu einer Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Wahl ein Großteil ihrer Amtszeit schon abgelaufen. Einer Amtszeit, in der sich ganz sicher noch etliche Gelegenheiten ergeben, die Arbeit der Dezernentin zu kritisieren und Entscheidungen anzufechten - die Magistratskollegen können das sicher bestätigen. Ob gerechtfertigt oder nicht, Munition für kritische Anmerkungen hat Hinninger der Opposition in den vergangenen Tagen bereits frei Haus geliefert. Erst bekam (Partei-)Freundin und Kulturpolitikerin Dorothea Angor den Posten als persönliche Referentin der Wirtschaftsdezernentin, dann kassierte Hinninger die von Vorgänger und CDU-Bürgermeister Oliver Franz angestoßene Wiederbesetzung der Stelle eines Citymanagers mitsamt dem zugrunde liegenden Konzept ein. Wenn das kein gefundenes Fressen ist...