OB Gert-Uwe Mende und Personalamtschef Marcus Bittner über die Stimmung in der Stadtverwaltung, personelle Fluktuation und Herausforderungen der Zukunft.
Was sind die größten Herausforderungen für die Personalsituation derzeit?
Mende: Es vollzieht sich ein rasanter Wandel. Die Boomer-Generation geht in Ruhestand. Es gibt viel Nachbesetzungsbedarf. Auf dem Arbeitsmarkt sind gute Leute sehr nachgefragt, wir sind in Konkurrenz zu anderen Arbeitgebern.
Welche Arbeitgeber sind das?
Mende: Im IT-Bereich sind wir in direkter Konkurrenz zu privaten Unternehmen. Im Ingenieurwesen auch. In der Medizin ist es schwierig, was Erzieherinnen angeht ebenso. Da ist der Markt leergefegt. Und natürlich sind wir in Konkurrenz zu Landes- und Bundesbehörden, die es auch in Wiesbaden gibt.
Im Ballungsraum Rhein-Main sind die Mieten und Lebenshaltungskosten hoch. Ist die Stadt überhaupt in der Lage, den Menschen weitere Unterstützung anzubieten etwa bei der Wohnungssuche?
Mende: Wir müssen bezahlbaren Wohnraum schaffen, da rede ich mir den Mund fusselig. Wir haben großen Nachholbedarf. Wir brauchen mehr Belegungsrechte für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stadt, wenn wir neuen Wohnraum schaffen. Das ist momentan ein Trend. Plötzlich denken wieder viele über Werkswohnungen nach.
Bittner: Ich habe im vergangenen Jahr drei Leuten Wohnungen vermitteln können und damit einen bei der Stadt gehalten und zwei neu einstellen können.
Wie hat sich die Stimmung in der Stadtverwaltung entwickelt?
Mende: Ich glaube, die Stimmung gibt es nicht. Wie sie sich in einzelnen Bereichen entwickelt, hat mit der unterschiedlichen Arbeitsbelastung zu tun, auch mit Teambuilding. Es gibt Bereiche, da halten die Leute zusammen wie Pech und Schwefel, in anderen ist das schwieriger. Was mir häufig gespiegelt wird, ist ein fehlendes Gefühl für Wertschätzung in der Öffentlichkeit. Viele Kolleginnen und Kollegen fühlen sich angeprangert. Die ganz große Mehrzahl macht ihre Arbeit herausragend.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Mende: Soziale Medien spielen eine große Rolle. Da gibt es abfällige Kommentare gegenüber dem Öffentlichen Dienst allgemein und der Stadtverwaltung im Besonderen. Unser Impfzentrum im RMCC etwa war herausragend. Das ist nicht ausreichend anerkannt worden. Wir haben 3500 Ukrainerinnen und Ukrainer in Wiesbaden aufgenommen. Ohne große Spannungen. Da haben die Kollegen oft das Gefühl, das wird als selbstverständlich hingenommen.
Auf der anonymen Arbeitgeberbewertungsplattform „kununu” wird zwar viel Positives genannt, aber mangelnde Wertschätzung untereinander oder von Vorgesetzten wird auch kritisiert.
Bittner: Wir versuchen, möglichst vielen dieser Meldungen nachzugehen. Es wäre ungewöhnlich, wenn wir nur perfekte Führungskräfte hätten. Wir müssen uns bemühen, die Rahmenbedingungen gut zu gestalten.
An manchen Themen können Sie nichts ändern. Wenn der Bund ein neues Wohngeldgesetz beschließt, haben plötzlich viel mehr Menschen einen Anspruch. Es gibt 18 zusätzliche Stellen dafür bei der Stadt, aber trotzdem dauert es schon jetzt mindestens ein halbes Jahr, bis die Bürger einen Bescheid bekommen. Sind Sie da als OB auch mal sauer auf den Bund?
Mende: Ja. Die Ebenen oberhalb der Kommune benutzen uns oft als Vollstreckungsgehilfen. Da werden uns beträchtliche Aufgaben einfach vor die Füße gekippt. Das war beim Impfzentrum auch so. Sicherlich ist eine Wohngeldreform richtig. Da wird auf den oberen Ebenen aber zu wenig Rücksicht auf Kommunen genommen.
Hat es überhaupt Sinn, immer mehr Stellen zu schaffen? Und wo finden Sie die Leute?
Bittner: Ja, sonst hat man gar keine Chance. Früher hatten wir ausreichend Bewerber auf eine Zeitungsanzeige. Wir schreiben heute spezifischer aus, wir gehen in Hochschulen, werben an Schulen und sind auf den Sozialen Medien. Es gibt Plakatkampagnen. Und die Ausbildungsmesse vor kurzem ist sehr wichtig. Die Stadt als Arbeitgeberin ist nicht so im Bewusstsein der Leute, wie wir uns das wünschen.
Mende: Wir haben im vergangenen Jahr 1128 neue Arbeitsverträge abgeschlossen - inklusive Verlängerungen und Wiederbesetzungen.
Wie viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gehen im Jahr?
Bittner: Etwa 200 haben uns aus Altersgründen verlassen, etwa 400 aus anderen Gründen. Aber die 400 gehen nicht, weil wir ein schlechter Arbeitgeber wären, sondern weil die Arbeitsmarktsituation ihnen heute viele Chancen bietet.
Die Zahl derer, die aus Altersgründen gehen, wird ja noch viel größer.
Mende: Das spreche ich bei unseren jüngeren Leuten an. Ich vermittle ihnen, dass sie sehr gute Aufstiegschancen haben. Von denen, die jetzt beginnen, werden einige viel schneller in Führungsverantwortung kommen können, als die Generation vor ihnen.
Aber Aufstiegschancen für Junge gibt es anderswo ja auch.
Mende: Vielleicht müssen wir mit manchen unserer Vorteile noch sichtbarer werden. Gerade werden wir wieder zertifiziert als familienfreundlicher Arbeitgeber. Mein Dezernat ist da vorangegangen. Das will ich mittelfristig für die gesamte Stadtverwaltung haben.
Bittner: Es hält Leute bei uns, dass sie wissen, sie können Familie und Beruf gut kombinieren.
Die Diskussion geht allerdings zurzeit eher in die umgekehrte Richtung. Immer häufiger werden mehr Vollzeitkräfte gefordert, um alle Aufgaben zu bewältigen.
Mende: Ich sehe da ein Potenzial, das wir heben wollen. Aber für Vollzeit müssen die Rahmenbedingungen stimmen. Wir möchten weiterhin Teilzeitangebote machen, denn es entspricht in vielen Fällen der Lebenswirklichkeit. Dass Väter heute selbstverständlich Elternzeit nehmen, ist ein Mentalitätswandel, den ich sehr begrüße.
Viele jüngere Bewerberinnen und Bewerber sprechen das Thema Work-Life-Balance offen an. Wie finden Sie das?
Mende: Ich sehe darin eine Chance. Es gibt so ein Lamento der Angehörigen meiner Generation nach dem Motto „wir standen zu jeder Tag- und Nachtzeit zur Verfügung”. Ich mag mich dem nicht anschließen. Ich erlebe junge Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als sehr motiviert. Auch wenn sie auf die Uhr gucken und sagen: „Es gibt noch ein Privatleben.”
Bittner: Wir haben viele Mütter, die sagen, ich erhöhe meine Stundenzahl, wenn ich abends noch zwei Stunden im Homeoffice arbeiten kann. Darauf müssen wir Rücksicht nehmen. Wir stellen fast die komplette Stadtverwaltung auf mobile Geräte um.
Wie steht es denn um die Digitalisierung in der Stadtverwaltung?
Mende: Durch Corona hatten wir, wie viele Branchen, einen Riesen-Innovationsschub. Aber wir müssen noch deutlich vorankommen. Wenn ich Papierakten habe, erfordern diese die Anwesenheit der Beschäftigten im Büro. Sie können ja nicht die Akten mit heim nehmen.
Bittner: Da wird in den kommenden Jahren überall noch viel passieren. Auch in der Verwaltung ist dann auch künstliche Intelligenz ein Thema.
Wie viele Stellen sind unbesetzt in der Stadtverwaltung?
Bittner: Genau 193 Stellen sind vakant. Davon allein 60 Erzieherinnen. Aber es handelt sich dabei nicht nur um Vollzeitstellen.
Erzieherinnen werden ja auch im Ausland gesucht. Andere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ebenfalls?
Bittner: Das machen wir für andere Berufe nicht.
Mende: Wir wären sehr dankbar, wenn der Gesetzgeber dafür sorgt, dass ausländische Abschlüsse leichter anerkannt werden. Das ist oft mühsam.
In einem früheren Gespräch sagten Sie, man sei auf dem Weg zu einer besseren Arbeitskultur. Wie weit sind Sie schon gekommen?
Bittner: Dieser Weg wird nie zu Ende sein. Aber wir machen jetzt zum Beispiel im Dezernat von Herrn Mende eine Mitarbeiterbefragung, die ein Feedback zu ihren Führungskräften einschließt.
Mende: Wir wollen das als erste machen, aber es könnte durchaus ausgeweitet werden.
Wo steht Wiesbaden in zehn Jahren bei steigenden Herausforderungen und vermutlich weniger Mitarbeitern? Wird es dann noch eine gut funktionierende Verwaltung geben?
Mende: Das hängt von den Aufgaben ab. Ich kann nicht alle über den Personalschlüssel lösen. Ob und wann wir mal die sogenannte digitale Rendite bekommen, dass also die Digitalisierung dazu führen kann, mit weniger Menschen die Aufgaben zu bewältigen, weiß ich nicht. In Arbeitsfeldern, die direkt mit den Menschen zu tun haben, spielt das ohnehin keine Rolle. Trotzdem ist es natürlich Ziel von Digitalisierung, bestimmte Aufgaben einfacher zu lösen.
Längst nicht alle Wiesbadener sind ja komplett digital unterwegs.
Mende: Genau. Und wer weiterhin zur Ortsverwaltung gehen möchte und dort seinen Antrag ausfüllt, der hat auch darauf ein Recht. Die Erwartungen klaffen auseinander. Die einen wollen alles auf dem Handy erledigen, die anderen wollen die persönliche Ansprache.
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