Warum die Wiesbaden Biennale auf Publikumsdialog verzichtet

„Da kommen Kritiker an Grenzen“, sagt Kilian Engels – auch in Bezug auf die Performance des chilenischen Kollektivs „Lastesis“ am Eröffnungsabend im Kurpark. Foto: Sascha Kopp

Kurator Kilian Engels betont, es sei „kein Versehen“, dass kein Austausch mit dem Publikum stattfindet. Zu oft habe Engels schlechte Erfahrungen bei Publikumsgesprächen gemacht.

Anzeige

WIESBADEN. Begeisterung für einzelne Produktionen, wie jetzt auch bei „Mailles“, aber ebenfalls Kritik an fehlender Vermittlung und mangelndem Austausch: Der Biennale-Kurator Kilian Engels bekommt momentan in zahlreichen Medien Ähnliches zu hören. So attestierte diese Zeitung der Biennale bereits, dass die Zuschauer alleine gelassen werden: Kein wirkliches Festival-Zentrum, kein Dialog der Akteure oder des Kurators mit dem Publikum. Auch der Deutschlandfunk wies auf die „dürftigen Informationen“ und die „vertane Chance“ hin, oft schwer zu lesende Inhalte zu vermitteln. „Angestrengt“ sei das Programm zum Teil, so ebenfalls die TAZ, dem Konzept fehle die Rahmung, „ein Diskursprogramm, bei den verhandelten Themen und den sich oft nicht selbst erklärenden Arbeiten eigentlich ein Muss“.

Wir wollen es zum Final-Wochenende der Biennale von Kilian Engels genau wissen: Warum findet keine Vermittlung statt? Und das wird eher ein Streitgespräch. Aber zunächst betont der Kurator, es sei „kein Versehen“, dass kein Dialog stattfindet: „Ich habe schlechte Erfahrungen mit weißen Menschen gemacht, bei Podiumsgesprächen bei denen Schwarze Künstler:innen am Podium gesessen haben. Deshalb habe ich mich entschieden, dass keine stattfinden.“ Er habe in München in der Leitung des Theater-Nachwuchsfestivals „Radikal jung“ auf dem Podium gesessen und erläutert, warum die Produktionen da sind. „Hier ist es jetzt so, dass viele Künstler:innen mit biografischem Material arbeiten und dazu keine Gespräche führen wollen, in denen Fragen kommen, die möglicherweise zu nah dran sind.“

Auch Situationen von Rassismus bei der Biennale

Er versuche, „einen Schutzraum“ zu schaffen für Akteur:innen, die aus der ganzen Welt nach Wiesbaden gekommen sind. Aber vertraut er seinem Publikum nicht? Geht er wirklich davon aus, dass homophobe, antisemitische, rassistische Zuschauer kommen und sich hinterher mit den Künstler:innen unterhalten wollen? Er spreche nicht von Aktivisten aus der rechtsradikalen Szene, sagt Engels, sondern von „ganz normalen, wohlmeinenden Theatergängern, die so gefangen sind in ihrem Weißsein, dass sie rassistische Sachen sagen und es nicht bemerken“. Diese Erfahrung habe er oft gemacht.

Anzeige

Engels erzählt von einer Veranstaltung in den Münchner Kammerspielen mit Anta Helena Recke und ihrer zum Theatertreffen eingeladenen Inszenierung „Mittelreich“, „die Schwarz-Kopie“. Da kam aus dem Publikum später die Bemerkung: „Sie sind ja gar nicht alle Schwarz.“ Da müsse Recke sagen: „Schwarz ist ja auch eine Selbstbezeichnung und keine Farbe. Sie sind ja auch nicht so weiß wie ihr Hemd.“ Und so gehe es immer weiter. Auch in Wiesbaden.

Kurator Kilian Engels. Foto: Gabriela Neeb
Kurator Kilian Engels. (© Gabriela Neeb)

In Wiesbaden seien in dieser Woche sogar schon Künstler:innen der Biennale im Frühstücksraum des Hotels angesprochen worden mit „Das ist hier kein Strandbad, bitte ziehen Sie sich etwas an“, es habe dafür Applaus der anwesenden Weißen gegeben. Solche krassen Situationen seien „der Grund, warum ich das hier mache“, erklärt Engels. Das ist nachvollziehbar, aber müsste er nicht gerade deshalb dafür sorgen, dass die Arbeiten der Biennale-Teilnehmer noch transparenter sind? In digitaler Form? Oder mit Einführungen von ihm? Auch das lehnt er ab: „Ich kann nicht als weißer Mann Arbeiten von Schwarzen Künstlern erklären. Das ist eine koloniale Situation.“ Was die Lesbarkeit der Arbeiten betreffe, verweist Engels auf die Traditionen, in denen die jeweiligen Zuschauer:innen stehen. „Eine Produktion wie die von Jeremy Nedd hat Aspekte, die vom Schwarzen Publikum sehr wohl erkannt werden.“ Aber: Es ist ja kaum Schwarzes Publikum bei der Biennale. „Es passiert, aber es bedarf eines längeren Prozesses. Wir sind nur elf Tage hier.“

Engels selbst von Hassmails betroffen

Die 2018er Biennale richtete sich an die ganze Stadtgesellschaft – bei der Biennale 2022 hört man oft: Das ist eine Veranstaltung für einen eingeweihten Kreis. Geht es nicht darum, Vorurteile in jede Richtung abzubauen? „Das wäre keine künstlerische Aufgabe, sondern eine didaktische. Dann kann man auch in die Bücherei gehen und sich ein Buch über Critical Whiteness holen.“ Was von den einen als elitär wahrgenommen werde, sei für eine andere Klientel glasklar. Er habe bewusst zum Beginn der Biennale ein breites Angebot gemacht mit „The Köln Concert“, das sei dann auch bis unters Dach voll gewesen. Allerdings: Die Auslastungszahlen anderer Produktionen sind deutlich geringer. Ihm gehe es vor allem um eine Perspektiverschiebung, sagt Engels.

Anzeige

Er nehme dafür in Kauf, „dass eine weiße Mittelschicht, die das Gefühl hat, das Theater gehöre ihr, sich nicht mehr repräsentiert fühlt – deswegen bekomme ich auch Hassmails“. In Wiesbaden gebe es „wohl eine größere Gruppe von Menschen, die sich aus wirtschaftlichen Gründen nicht mit solchen Fragen wie jenen auf der Bühne beschäftigen müssen, die bestimmte Sachen nicht deuten können“, meint Engels. Es gebe eine Tendenz in den weißen USA und in Europa, von Schwarzen Minderheiten zu sprechen. Aber global seien Schwarze Menschen in der Mehrheit, „das ist in bestimmten Ecken noch nicht angekommen“.

In vielen Medien sei das Gastspiel des chilenischen, feministischen Kollektivs „Lastesis“ auf dem Warmen Damm – eine Kundgebung gegen sexualisierte Gewalt an Frauen – künstlerisch nicht als „State of the art“ gesehen worden, das sei im internationalen Kontext kolonialistisch. Darf man nicht kritisieren, dass eine Produktion keine Kunst ist? „Sie können sie auch Aktivismus nennen.“ Aber, sagt Engels, „da kommen auch Kritiker an Grenzen, auch mit ihren Methoden“. Das sei eine Generationsfrage, „ganz stark“. Bei jungen Leuten sei das kein Problem. Für eine Biennale, bei der Menschen im Mittelpunkt stehen, die auf der Bühne auch von ausgrenzenden Erfahrungen erzählen, eine bemerkenswerte Aussage.