Sven Gerich im Interview – Oberbürgermeister erwartet...

aus City-Bahn

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Mobilität muss neu organisiert werden. Die Klage der Europäischen Union gegen Deutschland wegen der Luftverschmutzung setzt die Städte zusätzlich unter Handlungsdruck.Bildmontage: VRM/sbi, Archivfoto: René Vigneron, bbsferrari - stock.adobe.com  Foto:

Dass die Bürger über die City-Bahn, das wichtigste Verkehrsprojekt für die Stadt der kommenden Jahrzehnte, abstimmen sollen, dafür gibt es inzwischen eine breite...

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WIESBADEN. Dass die Bürger über die City-Bahn, das wichtigste Verkehrsprojekt für die Stadt der kommenden Jahrzehnte, abstimmen sollen, dafür gibt es inzwischen eine breite parteiübergreifende Mehrheit. Doch bei der jetzt einsetzenden Debatte über den Termin scheint es immer häufiger nicht mehr um die Sache zu gehen, sondern um taktische Spielchen. Wie kein anderer ist Oberbürgermeister Sven Gerich (SPD) mit dem Ziel angetreten, die Bürger an wichtigen Entscheidungen zu beteiligen. Im Interview mit dieser Zeitung stellt er nun klar, weshalb er keine Angst davor hat, die Entscheidung in die Hände der Bürger zu legen, und welcher Termin ihm dafür am besten geeignet erscheint.

Herr Gerich, die Beteiligung der Bürger an wichtigen Entscheidungen war stets Ihr ganz besonderes Anliegen. Doch die Debatte um das Vertreterbegehren zur City-Bahn haben zuletzt nicht Sie in Gang gesetzt, sondern Bürgermeister Oliver Franz, also ein CDU-Politiker, der bislang eher weniger als Fürsprecher von Bürgerbeteiligung identifiziert wurde. Haben Sie da ein wichtiges Thema verschlafen?

Wenn Sie in Ihrem Archiv nachschauen, dann werden Sie feststellen, dass ich bereits vor mehr als einem Jahr einen Bürgerentscheid zur Bahn gefordert habe. Damals war ich noch der Einzige und musste mir so manchen kritischen Kommentar anhören. Aber es freut mich, wenn nun auch andere auf den Zug aufspringen – in diesem Fall sogar im Wortsinn.

Ihre Partei, die SPD, hat sich als eine der ersten für ein Vertreterbegehren ausgesprochen, also einen vom Stadtparlament eingeleiteten Bürgerentscheid. Wurden Sie von Ihren Genossen vorher gefragt?

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Nun ja, da ich es war, der den Bürgerentscheid propagiert hat – auch übrigens ganz offiziell in Ihrer Zeitung Anfang Februar – musste man mich nicht fragen.

Bürgerentscheide bergen auch die Gefahr, dass sich die Bürger gegen den politischen Willen des Parlaments stellen? Haben Sie Angst davor, dass die City-Bahn scheitern könnte?

Ich befürworte die Bahn, ohne die wir unsere innerstädtischen Verkehrsprobleme nicht gelöst bekommen. Die Busse sind an ihrer Kapazitätsgrenze, die Luft ist schlecht. Durch die EU-Klage wird uns das gerade noch einmal deutlich vor Augen geführt: Wir müssen in Sachen Mobilität umdenken, die City-Bahn ist hierfür ein zentraler Punkt. Das gilt es immer wieder zu erklären.

Das heißt aber noch nicht, dass die Wiesbadener die Bahn wollen.

Natürlich birgt jede Abstimmung die Gefahr einer Niederlage. Aber ich habe großes Vertrauen in die Wiesbadenerinnen und Wiesbadener, dass am Ende die Einsicht in die Notwendigkeit einer Neuorganisation von Mobilität siegt.

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Bei der jüngsten Kommunalwahl war die City-Bahn bereits ein Thema, jeder wusste, wie die Partei, bei der man sein Kreuzchen macht, zum schienengebundenen ÖPNV steht. Warum können wir also nicht einfach den 81 gewählten Stadtverordneten die Entscheidung überlassen?

Es hat sich in den vergangenen Jahren gezeigt, dass Politik heute nicht mehr wie vor 20 oder 30 Jahren funktioniert. Gerade in ihrem direkten Umfeld, bei großen kommunalpolitischen Entscheidungen, möchten die Bürger direkt gefragt werden. Das haben wir zu akzeptieren. Und ich finde es legitim, dass bei einer solch wichtigen Entscheidung die Bürgerschaft gefragt wird. Unser streng repräsentatives politisches System wurde zu einer bestimmten Zeit mit einem bestimmten Hintergrund eingeführt. Aber die Welt dreht sich weiter, und deshalb finde ich es richtig, dass Elemente der Bürgerbeteiligung in dieses politische System Einzug gehalten haben.

Rechtlich gibt es aber auch die Möglichkeit, dass Bürger Unterschriften sammeln, um einen Bürgerentscheid einzuleiten. Warum wartet man das nicht ab und setzt stattdessen auf die Variante eines Vertreterbegehrens?

Als Befürworter der Bahn bin ich der Meinung, wir sollten ein offensives Zeichen setzen: Wir stehen zu dem Projekt, wir bitten die Bürgerschaft um Zustimmung. Das ist ein ganz anderes Symbol, als wenn wir ein Projekt vorstellen, bei dem es wieder nur dagegen geht. Zudem lässt sich dann auch – das gehört zur Ehrlichkeit dazu – auf Konsequenzen hinweisen, falls es eben nicht zu der Bahn kommt.

Warum sollte man nicht jetzt gleich abstimmen lassen? Dann könnte doch viel Geld für unnütze Planungen gespart werden?

Dann würde genau das passieren, was ich nicht will: Es würde ausschließlich um Gefühle und Meinungen, weniger um Fakten gehen. Ich finde, es muss uns die Planungskosten Wert sein, um mit genauen Informationen über das Für und Wider der Bahn zu diskutieren und schließlich abzustimmen. Wir müssen die Entscheidung von der Gefühls- auf die Sachebene bringen – und das gelingt nur mit Fakten, die wir im Verlauf des Planungsprozesses erhalten. Dazu gehören Kosten und Nutzen, Routenführung, Haltestellenauswahl, Art und Umfang von Gleisen und Gleisbett, Stromversorgung und vieles mehr.

Inzwischen kursieren mehrere Termine für einen Bürgerentscheid. Oliver Franz nennt den 28. Oktober, also gemeinsam mit der Landtagswahl. Andere wollen einen Bürgerentscheid gemeinsam mit der Europawahl im nächsten Jahr. Aber auch ein gemeinsamer Urnengang mit der noch nicht terminierten OB-Wahl ist im Gespräch. Die City-Bahn-Planer hingegen wollen am liebsten bis Herbst 2019 warten. Welchen Termin favorisieren Sie?

Die Debatte der letzten Tage erscheint mir zunehmend von parteitaktischen Spielchen geprägt. Das finde ich schade. Vor einigen Monaten hat uns die City-Bahn GmbH einen Zeitplan präsentiert, wonach das erste belastbare Planungsstadium im Mai 2019 erreicht ist. Also sollte eine Abstimmung parallel zur Europawahl Ende Mai stattfinden, damit eine Zufallsmehrheit ausgeschlossen ist. Der nächste Urnengang wäre dann erst wieder die Kommunalwahl 2021 – und das wäre meines Erachtens zu spät.

Das Interview führte Manfred Knispel.