Badewannen-Mordprozess in Wiesbaden: Die Rechtsmedizin liefert keine sicheren Erklärungen für die Verletzungen beim Opfer.
WIESBADEN/LORCH. „Sie wissen ja – wir Juristen wollen es immer möglichst sicher wissen“, sagt Richter Jürgen Bonk. Sicher steht für möglichst genau. Für schlüssig. Für möglichst zweifelsfrei. Vor der Schwurgerichtskammer des Landgerichts bleibt am Mittwochnachmittag das möglichst sichere Wissen ein frommer Wunsch.
Der Frankfurter Rechtsmediziner Axel Schnabel soll in einem „Zusammenfassungs-Gutachten“ darlegen, wie sich das Verletzungsmuster an der Leiche von Anne D. erklären lässt. Er soll zusammenführen, was andere Kollegen ausgeführt und Zeugen geschildert haben: Was würde da zu welchem Geschehen passen?
Die junge Frau war in der Nacht zum 25. Oktober 1997 tot in der Badewanne gefunden worden. Von ihrem Mann, der die Stunden zuvor mit seiner Geliebten in einem Wiesbadener Hotel verbracht haben will. Wechselseitiges Alibi. Die frühere Geliebte wurde die spätere Lebensgefährtin von Michael D., der damals noch Polizist war.
Seit Mitte Januar 2019 müssen sich Michael D. und Kathleen B. vor der Schwurgerichtskammer verantworten, die Anklage wirft ihnen einen gemeinschaftlich begangenen Mord vor. Anne sei mit Rohypnol betäubt und dann in die Badewanne gelegt worden. Tod durch Ertrinken. Nach über 21 Jahren sollen die Umstände des Todes juristisch aufgearbeitet werden.
Für den heutigen Oberarzt Schnabel ist der Prozess eine berufliche Zeitreise, er war im Oktober 1997 als junger Assistenzarzt bei der Obduktion in Wiesbaden dabei. An Annes Leiche wurde eine Vielzahl „dezenter Verletzungen“ festgestellt, die sich auf die rechte Körperseite konzentrierten. Erklärt sich das damit, dass sie in einer rechten Seitenlage gefunden worden war? Von den „dezenten Verletzungen“ wich eine größere Einblutung an der Ferse ab.
Tod durch Ertrinken, dazu fünf oder sechs Tabletten Rohypnol, das sedierend wirkt, im Blut festgestellt, eine weitere Tablette noch im Magen. Zu den weiteren wenigen sicheren Erkenntnissen dieses ungeklärten Todesfalles zählt, dass Anne keine an Rohypnol gewöhnte Person war. Das ist in dem Sinne sicher, wie sich Juristen das wünschen.
Wie aber lassen sich die einzelnen Unterblutungen, Hautverfärbungen, leichte Einrisse, Hautvertrocknungen und Hämatome sicher erklären? Welche Schlüsse lassen sich aus dem Gesamtbild sicher ableiten? Ein massives Sturzgeschehen, vor oder in der Wanne, ist in Anbetracht des Verletzungsbilds weniger wahrscheinlich. Das hatte eine Kollegin Schnabels an einem der früheren Prozesstage mit Bestimmtheit formuliert.
Von einer solchen Bestimmtheit sind Schnabels Ausführungen, und die sind für die Beweisaufnahme von zentraler Bedeutung, weit entfernt. „Es ist immer eine Interpretation“, sagt er. Diese Feststellung trifft für fast jede der vielen kleinen Verletzungen zu. Er interpretiert so: Sie könnten durch Griffe entstanden sein, mit denen Notarzt, Rettungssanitäter oder ein Kripobeamter die Leichenstarre geprüft hatten. Sie könnten beim Herausheben entstanden sein. Vielleicht aus einer Gemengelage von all dem. Schnabel bietet auch die Variante „Anstoßen“ durch einen Krampf an, was eher ein Zucken gewesen sein müsse. Um dann einzuräumen, dass er für die sichere Beurteilung eines eventuellen Krampfgeschehens „keine Erfahrung“ habe. Auf Nachhaken des Gerichts sagt er, dass auch andere Interpretationen denkbar seien, ein alternatives Szenario zur Erklärung der Verletzungen. „Möglich ist alles“. Diesen Satz hat man in diesem Indizienprozess oft gehört. Fortsetzung: Donnerstag um 9 Uhr.