Kelteräpfel wurden bisher von Hand aufgesammelt. Das ist beschwerlich. Eine Erntemaschine könnte die Arbeit erleichtern und gleichzeitig die Wiesbadener Streuobstwiesen retten.
WIESBADEN. Die Kloppenheimer, so erzählen es zumindest die Leute im Ort, sind entweder auf dem Pferd oder auf dem Baum anzutreffen. Überregional bekannt ist der Wiesbadener Stadtteil vor allem wegen des Kloppenheimer Streiflings – jenes Kulturapfels, der im Jahr 2007 „Hessische Streuobstsorte des Jahres“ war. Der Ort befindet sich derzeit wieder mitten in der Apfelernte und auf den Streuobstwiesen liegen die Früchte auf der Erde. Man muss sie nur einsammeln. Doch genau darin liegt das Problem.
Bislang mussten die Kelteräpfel alle von Hand aufgesammelt werden. Das ist beschwerlich – und dauert. Rund 150 Kilogramm schafft ein Landwirt in einer guten Stunde. Früher gab es nicht einmal einen Seilschüttler, mit dem das Fallobst von den Ästen gerüttelt werden konnte. Jene, die Äpfel schon immer von Hand aufgelesen haben, treten ab. Jüngere scheuen die Mühen. „Wir haben einen Generationswechsel“, sagt der Vorsitzende des Ortsbauernverbands Kloppenheim, Jörg Goßmann.
Rund fünf Tonnen Äpfel liest die Maschine in einer Stunde
Und so kam es, dass der Verband gemeinsam mit der Kelterei Possmann eine Apfellesemaschine angeschafft hat. Sie soll die Knochenarbeit erleichtern und dazu beitragen, die Kulturlandschaft Streuobstwiese zu erhalten. Rund fünf Tonnen Äpfel in der Stunde kann das 18 PS starke Gerät lesen. 400 Kilogramm passen in den Korb, den die rote Maschine auf dem Rücken trägt. „Sie fährt mit Servolenkung und ist kinderleicht zu bedienen“, sagt Peter Possmann. Der Geschäftsführer der gleichnamigen Kelterei ist langjähriger Partner der Obstsammelstelle in Kloppenheim.
Seit fast 30 Jahren nehmen Sonja und Werner Kleber dort Streuobstäpfel für den 1880 gegründeten Familienbetrieb an. Acht Euro bezahlt die Kelterei Possmann derzeit für 100 Kilo Äpfel. In guten Erntejahren bringen 50 Baumbesitzer aus Wiesbaden, Rheingau, Unter- und Main-Taunus 500 Tonnen zu den Klebers, die die Lieferanten auszahlen. Im Frühjahr richteten die Klebers eine Apfelblütenwanderung aus. Während dieses Treffens mit Apfelweinliebhabern, Obstbauern und Naturfreunden reifte die Idee für die Lesemaschine.
Possmann hat zahlreiche Sammelstellen, die meisten im Odenwald und im Spessart
„Wir möchten uns die Kelterei Possmann langfristig als Vermarktungspartner erhalten“, sagt Goßmann. Possmann hat im Umkreis von 200 Kilometern zahlreiche Sammelstellen, die meisten im Odenwald und im Spessart. In Wiesbaden gibt es nur eine, die entsprechend wichtig ist. Um zu schauen, ob sich die Apfellesemaschine auch für andere Gebiete eignet, hat die Kelterei das in Baden-Württemberg entworfene Gerät kürzlich für etwas mehr als 20.000 Euro gekauft. In fünf Jahren soll es in den Besitz des Ortsbauernverbands übergehen, der sich an den Kosten beteiligt hat.
Vier Fahrer sind für die Maschine vorgesehen, die auf Stundenbasis gemietet werden kann – zunächst nur in Kloppenheim und Umgebung. Auch Bernd Deul möchte davon profitieren. Der Kloppenheimer Landwirt führt einen Familienbetrieb, in dem er Tafelobst anbaut, aber auch eigenen Apfelwein keltert. Er hat schon ein paar Runden auf dem traktorähnlichen Gerät gedreht. Das kommt nicht von ungefähr, kann er doch auf eine kräftige Ernte bauen. „Dieses Jahr haben wir mal wieder ein Vollertragsjahr“, sagt Deul, der gerade die Sorte Jonagold erntet. Vor zwei Jahren machte ihm der Hagel, im vergangenen Jahr der Frost zu schaffen.
Bundesweit läuft die Verarbeitung der Streuobsternte auf Hochtouren
Allerorten liegen kiloweise Äpfel rund um den Stamm – landauf, landab. Für Passanten ist der Anblick verlockend, doch ein Zugriff verboten. Denn Obstklau ist kein Mundraub und schon gar kein Kavaliersdelikt, sondern Diebstahl. Die Äpfel werden schließlich benötigt. „Wir brauchen eine gute Ernte, um die Keller wieder vollzumachen“, sagt Peter Possmann. Nicht nur regional, auch bundesweit läuft die Verarbeitung der Streuobsternte auf Hochtouren. Nach Angaben des Verbands der deutschen Fruchtsaft-Industrie sind die Liefermengen aktuell so hoch, dass die Keltereien vereinzelt an ihre Kapazitätsgrenzen stoßen.
Der hohe Absatz täuscht aber darüber hinweg, dass es für die hiesigen Obstbauern ein „schwieriges Jahr“ war, wie Bernd Deul sagt. Das liegt vor allem an der Dürreperiode, die dem Landwirt alles abverlangt hat. Einige Bäume warfen Fallobst mit Sonnenbrand ab – so nennt man es im Fachjargon, wenn die Sonnenseite der Äpfel braune Flecken bekommt. „Wir hatten schon extreme Jahre, aber so extrem habe ich es noch nicht erlebt“, sagt Deul.
„Streuobstwiesen machen viel Freude, aber auch viel Arbeit“
Generell steht es nicht gut um das Kulturgut Streuobstwiese. Ihr Zustand in Kloppenheim sei katastrophal, sagt Deul. Nicht nur dort: 40.000 Obstbäume stehen in der Landeshauptstadt. Doch nach Angaben der Naturschutzorganisation Naturefund verfallen 70 bis 80 Prozent der Streuobstwiesen zunehmend. Die Gründe dafür seien vielschichtig. Es fehle ein Schutzkonzept, mangele an Wertschätzung und Pflege, zählt Vorstandsmitglied Katja Wiese auf.
„Streuobstwiesen machen viel Freude, aber auch viel Arbeit.“ Gemeinsam mit Helfern und Streuobstpflegern hat der Wiesbadener Verein unlängst alte Obstbäume geschnitten und von Misteln befreit, Wiesen entbuscht sowie junge Bäume nachgepflanzt – vornehmlich in Breckenheim, Heßloch und Igstadt, aber auch in Naurod, Sonnenberg und Rambach.
Naturefund will Maschinen und Werkzeuge zur Pflege der Streuobstwiesen kaufen
Um diesen für Artenschutz und Naherholung bedeutsamen Lebensraum zu retten, hatte Naturefund für Donnerstag zudem einen runden Tisch organisiert, an dem Landwirte, Ortsbeiräte aus Mitte, Naurod und Frauenstein sowie der Streuobstkreis und der Bund für Umwelt und Naturschutz teilgenommen haben. In einem ersten Schritt will Naturefund Maschinen und Werkzeuge zur Pflege der Streuobstwiesen kaufen und bereitstellen. Weitere Schritte sollen im November bei einem weiteren Treffen in Igstadt besprochen werden. Außerdem ist ein offener Brief in Arbeit.
In Kloppenheim ist man mit der Apfellesemaschine schon einen Schritt weiter. „Unser Ziel muss sein, die Grundstücke mittel- und langfristig so zu gestalten, dass sich die Ernte lohnt“, sagt Jörg Goßmann. Die Neuerwerbung soll einen wesentlichen Teil dazu beitragen.