Museum Wiesbaden gibt Maori-Schädel an Neuseeland zurück

Die hessische Ministerin für Wissenschaft und Kunst, Angela Dorn (Grüne) und der Direktor des Landesmuseums, Andreas Henning, schauen zu, wie die Delegation aus Neuseeland den in einer Kiste verpackten Ahnenschädeln mit Farnen schmücken.
© Carsten Simon

In einer berührenden Zeremonie ist ein Toi Moko aus dem 19. Jahrhundert, der zur Sammlung des Museums gehörte, an eine neuseeländische Delegation übergeben worden.

Anzeige

Wiesbaden. Es sind Momente, wie man sie im Vortragssaal des Landesmuseums noch nie erlebt hat. Mit Gesängen und Gebeten. Mit unvertrauten Gesten. Vielleicht ist es jener Moment, der am meisten aussagt - der Augenblick, in dem der neuseeländische Botschafter S.E. Craig J. Hawke zur Bekräftigung des Vertrages seine Stirn kurz nach Maori-Art an die der hessischen Kunstministerin Angela Dorn drückt. Und auch die sichtlich bewegte Ministerin ist berührt von diesem Nachmittag, an dem ein Mensch im Mittelpunkt steht, der Anfang des 19., vielleicht auch Ende des 18. Jahrhunderts in Neuseeland auf die Welt kam - und dessen Überreste fast 200 Jahre lang tausende Kilometer entfernt aufbewahrt wurden.

„Wir wissen nicht, wie er gelebt hat oder wie er gestorben ist. Aber wir wissen, dass er viele Jahre am anderen Ende der Welt verbracht hat“, sagt Angela Dorn. Denn der Schädel jenes Maori zählt hier seit etwa 1830 zu den Beständen des späteren Landesmuseums Wiesbaden. Jetzt ist der Toi Moko, ein kunstvoll tätowierter Ahnenschädel der Maori, der neuseeländischen Delegation in einer feierlichen Zeremonie übergeben worden.

Die hessische Kunstministerin Angela Dorn und der neuseeländische Botschafter in Deutschland, S.E. Craig J. Hawke, unterzeichnen den Übergabevertrag.
Die hessische Kunstministerin Angela Dorn und der neuseeländische Botschafter in Deutschland, S.E. Craig J. Hawke, unterzeichnen den Übergabevertrag.
© Museum Wiesbaden / Bernd Fickert

Es ist die letzte Station für die Abgesandten aus dem fernen Land in Ozeanien. In insgesamt sieben deutschen Städten haben die Mitglieder eines Repatriierungsprogramms des neuseeländischen Nationalmuseums Te Papa Tongarewa unter ihrem Leiter Te Herekiekie Haerehuka Herewini menschliche Relikte entgegengenommen, die bis dahin in Museumsbesitz waren. „Laut Schätzungen wurden zwischen 1770 und 1840 rund 300 Toi Moko aus Neuseeland entfernt. Die Repatriierung ist ein wichtiger Schritt voran, weil sie hilft, frühere Untaten zu versöhnen“, so Herewini.

Anzeige

Die beeindruckende Zeremonie, bei der man sich nicht vom Platz bewegen durfte und es die Vorgabe dunkler Kleidung gab, sei in der Geschichte des Hauses „eine Rarität, da wir nicht einen Zuwachs feiern, sondern etwas abgeben, wohin es gehört“, so der Wiesbadener Museumsdirektor Andreas Henning. Der neuseeländische Botschafter in Deutschland hob hervor, es sei ermutigend, „dass die Weltgemeinschaft in den vergangenen Jahren große Fortschritte in ihrer Haltung gegenüber verehrten sterblichen Überresten und Kulturschätzen getan hat“. 

Ministerin Dorn (Grüne) betonte die Bedeutung der „Aufarbeitung historischer Verantwortung“. Die Übergabe des Toi Moko sei ein Brückenschlag mit diplomatischen, wissenschaftlichen und spirituellen Aspekten. Ein Brückenschlag zwischen den Kulturen waren auch die Gesänge der Maori nach jedem Redebeitrag - im Wechsel mit A-Capella-Gesang von Katharina Schenk und ihrem Quartett von Schloss Freudenberg.

Am Museum ist Andy Reimann, Archäologe und Ethnologe, für die Aufarbeitung von Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten zuständig. „Soweit wir wissen, ist der Schädel zwischen 1833 und 1835 in die Sammlung des Museums gelangt, das damals noch im Erbprinzenpalais angesiedelt war“, erzählt er am Rande der Veranstaltung. Der Toi Moko gehöre zu insgesamt zwölf Schädeln, die zum größten Teil aus Südostasien stammen und in diesem Zeitraum vom in Hessen geborenen Arzt Ernst Albert Fritze ans Museum übergeben wurden. „Fritze war nach den Napoleonischen Kriegen in den Dienst der niederländischen Ostindien-Kompanie eingetreten und nach Sumatra aufgebrochen“, hat Reimann recherchiert. „Nebenbei war er begeisterter Naturwissenschaftler.“ Und schickte Objekte, die er sammelte, nicht nur in die Niederlande - sondern auch Stücke nach Wiesbaden.

Die Tätowierung des Schädels wird nun in Neuseeland dechiffriert

„Als wir 2020 hier die Stelle zur Aufarbeitung von Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten“ eingerichtet haben, ging es auch darum, sensible Objekte und menschliche Hinterlassenschaften zu sichten“, erläutert Reimann. Es gebe seit langem ein Repatriierungsprogramm der neuseeländischen Regierung. Nach der Analyse des Schädels nahm das Museum Kontakt zu Neuseeland auf, um ihn zu repratiieren. „Das ist ein gängiger Begriff, der ursprünglich für die Rückführung von gestorbenen Soldaten verwendet wird und mittlerweile auch in der Provenienzforschung.“

Anzeige

Der Schädel stammt vermutlich aus der Zeit Anfang des 19. Jahrhunderts. „Wir haben keine Information, dass Fritze selbst nach Neuseeland reiste. Er wird ihn vermutlich über Zwischenhändler erworben haben.“ Toi Moko bezeichne speziell rituell tätowierte Köpfe von verehrten Ahnen und hochrangigen Mitgliedern der Maori-Gesellschaft. „Diese Schädel wurden in hohem Ansehen gehalten, sie waren sehr wichtig für die Gemeinschaft - in gesellschaftlicher wie in spiritueller Sicht.“ Umso wichtiger sei es, dass der Schädel zurückgeführt werde. Jede Tätowierung sei zusammengesetzt aus biografischen Informationen, aber auch mythologische Elemente und Zugehörigkeit zur Gemeinschaft, erläutert Andy Reimann. „Vermutlich können die Kollegen aus Neuseeland das dann dechiffrieren.“

Die neuseeländische Delegation hieß den Schädel des Ahnen mit feierlichen Gesängen willkommen.
Die neuseeländische Delegation hieß den Schädel des Ahnen mit feierlichen Gesängen willkommen.
© Museum Wiesbaden / Bernd Fickert

Und wie geht es jetzt in Wiesbaden weiter? „Wir haben einen Antrag beim deutschen Zentrum Kulturgutverluste gestellt zur Förderung der Aufarbeitung der anderen Schädel. Das ist uns bewilligt worden.“ Am 15. Juni startet die Forschung offiziell - in Zusammenarbeit mit der Rechtsmedizin der Universitätsklinik Frankfurt und Wissenschaftlern der Niederlandistik der Universität Köln. „Wir versuchen, mit noninvasiven medizinischen Verfahren herauszufinden, ob wir zusätzliche Informationen zur Herkunft und postmortalen Behandlung der Schädel erhalten und über niederländische Quellen Aufschluss zu bekommen.“ Ausgestellt wurden die Schädel in Wiesbaden übrigens nicht. Und auch den Maori-Kopf, der nun repatriiert wurde, bekam man bei der Zeremonie nicht zu Gesicht - aus Pietätsgründen. Nur Andy Reimann kennt ihn. Und hat eine persönliche Verbindung zu ihm. Vor der mit Farn bedeckten Kiste sagte er zum Schluss: „Ich wünsche dir eine gute Rückkehr nach Hause.“