Kinder und unklare Vorfälle: Unbehagen bei den Eltern,...

Vergangene Woche soll in Medenbach ein Elfjähriger aus einem Auto heraus angesprochen worden sein. Das Kommissariat "Sexualdelikte" der Polizei Wiesbaden arbeitet fieberhaft an...

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WIESBADEN. „Das holen Sie so schnell nicht ein“, meint Kriminalhauptkommissar Michael Bartossek. Der Leiter des Kommissariats „Sexualdelikte“ der Wiesbadener Polizei meint die Gerüchte, die sich um einen Vorfall mit einem Elfjährigen in Medenbach ranken. Der Schüler hatte am Dienstag vergangener Woche geschildert, dass er aus einem Auto heraus von einem Unbekannten angesprochen worden sein soll (wir berichteten). Im Auto hätten zwei Männer gesessen.

Die Beamten haben den Jungen befragt, sie halten das Kind für glaubwürdig. Mehr lasse sich zu dem Vorfall bislang aber nicht sagen, schon gar nicht, was der Hintergrund gewesen sein könnte. „Unsere Ermittlungen dauern an“, sagt Bartossek, und der erfahrene Ermittler sagt auch, dass es wenig brauchbare Ansätze gebe. Wie fast immer in vergleichbaren Fällen. Und die häufen sich bundesweit, das zeigt eine kleine Recherche im Internet mit den Suchbegriffen „Kind“ + „Auto“ + „angesprochen“. Was aber sind reale Vorkommnisse. Was sind übersensible Wahrnehmungen. Was sind Gerüchte?

Es gibt auch im Medenbacher Fall Menschen, die mehr zu wissen glauben. Auch in Bremthal und Hofheim sollen sich im Februar 2017 solche Vorfälle abgespielt haben, wird in einem Aushang behauptet. Behauptungen ohne Beweis, wie die Polizei klarstellt.

"Grundangst um die eigenen Kinder"

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Mit dem Zettel, der namentlich nicht gekennzeichnet ist, wurde um „Mithilfe“ gebeten. „Bitte halten Sie die Augen verstärkt offen! – Werden Sie aktiv! Damit sich so etwas nicht wiederholt und sich die Kinder bald wieder sicher fühlen können.“ Was aber soll sich nicht wiederholen?

Der Kriminalpsychologe Rudolf Egg, viele Jahre Leiter der Kriminologischen Zentralstelle in Wiesbaden, spricht von der „Grundangst um die eigenen Kinder“, die Eltern umtreibe. Das sei eine der Erklärungen dafür, dass Vorfälle wie der von Medenbach in Windeseile über die sozialen Medien verbreitet werden. Unabhängig von dem, was tatsächlich der Hintergrund gewesen sein könnte, dränge sich mit dem Verbreiten ein Bild auf – der gefährliche Fremde, der sich ein Kind als Opfer sucht. „Natürlich gibt es solche Fälle“, sagt Egg, „aber die überwiegende Zahl sexueller Übergriffe auf Kinder geschieht im sozialen Nahraum der Kinder“.

"Informationen nicht ungeprüft weitergeben"

In der Familie, in der Verwandtschaft, im Bekanntenkreis, im Sportverein. Dort bestehe eine „viel höhere Wahrscheinlichkeit“. Doch mit der Statistik sei wenig auszurichten bei Furcht. Der Appell der Polizei zur Versachlichung, begleitet von sehr zeitnahen Informationen, könne unter einem Eindruck von Furcht als Verharmlosung empfunden werden. „Zu den sachlichen Informationen gibt es aber keine Alternative“, betont Egg. Die Polizei hat auf die Welle an Meldungen in den sozialen Medien gezielt und schnell reagiert, mit Klarstellungen in genau diesen Medien. „Kinder zu sensibilisieren ist nie falsch, Panikmache ist aber nicht angebracht“, lautet eine der Botschaften.

Und die Vordringlichste ist so formuliert: „Zu Facebook, WhatsApp und Co.: Bitte vermeidet es, Informationen ungeprüft und ungefiltert weiterzugeben oder zu teilen!“ Stephan Humer spricht von einer „unkontrollierbaren Dynamik“, mit der sich gerade auch die von der Polizei angesprochenen Warn-Meldungen in sozialen Netzwerken verbreiten. Ein gefährliches Schneeballsystem. Mit jeder Weitergabe wachse das Gerücht. Humer ist Gründer des ersten Arbeitsbereichs Internetsoziologie in Deutschland. Er plädiert dafür, „massiv und sofort auf allen Ebenen mit sachlichen Informationen dagegenzuhalten. Da darf man nicht lange warten“. Man müsse „dranbleiben und immer wieder klarstellen“. Humer sieht auch die Grenzen: „Es wird immer so sein, dass man mit der Versachlichung manche Menschen nicht erreicht.“

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