Hessen: Grundschulen vorerst doch geschlossen

aus Coronavirus-Pandemie

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Eigentlich sollte am Montag (27. April) der Unterricht für Abschlussklassen der weiterführenden Schulen und für die Viertklässler an Grundschulen wieder beginnen. Symbolfoto: dpa

Ein Gericht hat die für Montag geplante Rückkehr der hessischen Viertklässler in die Schulen gestoppt. Eine Schülerin hatte geklagt, weil sie ein höheres Infektionsrisiko...

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KASSEL/FRANKFURT/WIESBADEN. Hunderttausende Schüler sollen am Montag in die Klassenzimmer zurückkehren, nach einer wochenlangen Zwangspause infolge der Corona-Krise. Doch mitten hinein in die letzten Vorbereitungen platzt in Hessen ein Gerichtsurteil mit noch ungewisser Sprengkraft: Der Verwaltungsgerichtshof in Kassel hat landesweit die geplante Rückkehr der Viertklässler vorerst gestoppt.

Der Grund: Die Viertklässler würden einem erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt im Vergleich zu anderen Schülern, die noch zuhause bleiben. Und die ebenfalls keine Abschlussprüfungen zu absolvieren haben. Mit anderen Worten: Gegen die vorgesehene stufenweise Rückkehr der Schüler, angefangen bei den Abschlussklassen in den weiterführenden Schulen, hat das Gericht nichts einzuwenden. Aber dass auch die vierten Klassen den Präsenzunterricht wieder aufnehmen sollen, obwohl sie nicht vor einer Abschlussprüfung stehen – dies verstoße gegen den Grundsatz auf Gleichbehandlung. Ihnen wird also keine „Sonderrolle“ zugewiesen, auch wenn sie vor dem Übertritt in eine weiterführende Schule stehen. Die Richter verweisen auf Artikel 3, Absatz 1 des Grundgesetzes („Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich“). Geklagt hatte eine Schülerin aus Frankfurt, deren Vater ist nach Informationen dieser Zeitung Anwalt. Ihrem Eilantrag gab der Verwaltungsgerichtshof am Freitag statt (AZ: 8 B 1097/20.N).

Schulstart bleibt heftig umstritten

Dass im Zuge der allgemeinen Lockerungen in der Corona-Krise auch der reguläre Unterricht an Schulen langsam wieder hochgefahren werden soll, ist zwischen Bund und Ländern so verabredet worden. Die Bundesländer haben die Details aber unterschiedlich geregelt und teils auch andere Termine gewählt. Ungeachtet dessen bleibt der Schulstart heftig umstritten, weil Kritiker befürchten, dass sich die Ausbreitung des Coronavirus dadurch wieder beschleunigen könnte.

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In einem ersten Schritt sollen der Grundsatzeinigung zufolge die Schüler der oberen Abschlussklassen in den Präsenzunterricht zurückkehren sowie die Schüler der vierten Klassen, weil diese in der wichtigen Phase des Schulübertritts stehen. Grundbedingung: Die strengen Regeln zur Hygiene und zum Abstandhalten müssen eingehalten werden. So wurden auch in Hessen und Rheinland-Pfalz in den vergangenen Tagen entsprechende Hygienepläne aufgestellt. Das Verfahren stößt allerdings in vielen Schulen auf heftige Kritik, unter anderem aufgrund der kurzfristigen Vorbereitung und der lange unklaren Handlungsanweisungen. Während in Hessen die Viertklässler schon an diesem Montag zurückkehren sollten, ist dies in Rheinland-Pfalz erst für den 4. Mai geplant. Auch dort rumort es: So kursiert unter Schulleitern ein Brandbrief eines anonymen Direktors, der die Rückkehr in die Schulen grundsätzlich in Frage stellt. Tenor: Schüler und Lehrer würden so der Gefahr einer Infektion ausgesetzt.

Nun ist die große Frage: Was bedeutet das Urteil für den generellen Umgang der Schulen mit der Corona-Krise? Schließlich dürften sich auch andere Schüler in anderen Ländern bei der schrittweisen Öffnung ungleich behandelt fühlen, zu erwarten sind also weitere Klagen. Wann nun und in welchen Schritten die Grundschulen in Hessen öffnen sowie die übrigen Jahrgänge unterhalb der Abschlussklassen, steht laut Kultusministerium noch nicht fest. Dies werde auf Basis der nächsten Gespräche zwischen Bund und Ländern entschieden, hieß es.

„Irgendwann werden die Grundschulen öffnen“

Nach den Schulschließungen wegen der Corona-Pandemie sollte der Schulbetrieb eigentlich für 160.000 von rund 760.000 Schülern in Hessen wieder hochgefahren werden. Vorgesehen war, dass der Unterricht vor allem für die Abschlussklassen gehalten wird. Von dem Urteil betroffen sind nun rund 50.000 Viertklässler der Grundschulen, der Sprachheilschulen und der Schulen mit Förderschwerpunkten.

Hessens Kultusminister Alexander Lorz (CDU) sagte, die geplante Wiederaufnahme des Unterrichts für Viertklässler sei ein gemeinsamer Beschluss der Länder gewesen „Wir hätten diese Entscheidung nicht getroffen, wenn wir sie nicht auf Basis einer intensiven Vorbereitung mit gutem Gewissen hätten vertreten können“. Es tue ihm leid für die Schüler, die sich auf ihre Schulkameraden und auf die Lehrer gefreut haben. Auch die Schulverwaltungen hätten bereits viel für die Aufnahme des Schulbetriebs am Montag investiert. Die Arbeit sei aber nicht verloren. „Irgendwann werden die Grundschulen öffnen“.

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Er habe mit einem solchen Urteil nicht gerechnet, bekannte der Minister. Er sei davon ausgegangen, dass der Unterricht zur Vorbereitung auf eine weiterführende Schule von extremer Bedeutung sei, und dass dieses Argument den Verwaltungsgerichtshof überzeugt. „Da habe ich mich getäuscht“.

Vorsitzende des Landeselternbeirates begrüßt Urteil

Er sei zwar ein überzeugter Föderalist, sagte Lorz. „Aber in diesem Punkt habe ich mich der bundeseinheitlichen Linie angepasst. Und dann geht das prompt schief“. Er schloss nicht aus, dass das Urteil des Verwaltungsgerichtshofes Kassel auch auf die Oberverwaltungsgerichte andere Bundesländer Auswirkungen hat. „Das wird dort für Diskussionsstoff sorgen“.

Der Vorsitzende des Landeselternbeirates, Korhan Ekinci, begrüßte das Urteil, das im Übrigen nicht anfechtbar ist. „Wir haben Sorgen, dass die Schulen nicht ausreichend Zeit gehabt haben, um Vorkehrungen für den Neustart zu treffen“. Eine Öffnung der Schulen dürfe es nur bei vollumfänglichen Hygienemaßnahmen geben. „Wir wissen derzeit aber noch nicht, wie unsere Kinder zur Schule kommen.“ Es müsse sichergestellt sein, dass es dort Desinfektionsmittel gibt und sich die Schüler die Hände waschen können. Erst wenn diese Probleme gelöst seien, dürften Schule geöffnet werden. Der 27. April sei ein willkürlich gewähltes Datum. Seine Stellungnahme beziehe sich auf alle Schulformen, sagte Ekinci. Es gebe allerdings schon jetzt Schulen in Hessen, die ausreichende Vorkehrungen für einen Neustart getroffen haben.

Hessens SPD-Chefin Nancy Faeser sprach von „Chaos als Ergebnis laienhafter Vorbereitung im Ministerium“. Die FDP im Landtag sieht in der Gerichtsentscheidung ein Indiz dafür, dass der Rechtsstaat funktioniert. Jetzt sei der Kultusminister in der Pflicht, sehr schnell Klarheit zu schaffen. Linken-Fraktionschefin Janine Wissler sagte: „Das Kultusministerium wirkt überfordert und konnte keine verlässliche Planung zur Wiedereröffnung des Schulbetriebes liefern.“