Gewaltsame Geburt: Frauen schildern traumatische Erlebnisse in...

Viele Frauen berichten von Eingriffen wie Damm- und Kaiserschnitten, die gegen ihren Willen durchgeführt werden. Symbolfoto: dpa
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Genervtes und überfordertes Klinikpersonal, Entscheidungen über den Kopf der Gebärenden und ihrer Angehörigen hinweg, brutale Geburtshilfemethoden: In zahlreichen Berichten,...

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WIESBADEN. „Unter der Geburt wurde ich brutal erniedrigt, zu einem Geburtskanal ohne Rechte degradiert, mundtot gemacht.“ Kathrin L. hatte bis zum Tag der Geburt ihres Kindes einen normalen Schwangerschaftsverlauf ohne Komplikationen. Sie hatte sich für eine natürliche Geburt, ohne Einsatz von Schmerzmitteln entschieden. Was sie dann aber in einer Wiesbadener Klinik erleben musste, hat mit einer „natürlichen Geburt“ nicht mehr viel zu tun: „Es wurden nachweislich schädliche, veraltete Geburtspraktiken angewandt, denen ich wehrlos ausgeliefert war. Dass ein Dammschnitt gegen meinen Willen und ohne jede Indikation durchgeführt wurde, hatte erst eine Nachuntersuchung ans Licht gebracht – man hatte versucht, das zu vertuschen“, berichtet die 28-Jährige.

Kritik an Ärzten, Geburtshelfern und Hebammen ist ein Tabu

Ärzte, Geburtshelfer und Hebammen kümmern sich um das höchste Gut schwangerer Frauen und ihrer Partner – das Kind. Sie zu kritisieren, ist ein Tabu – gerade, wenn man die prekäre Situation von Hebammen betrachtet. Oft wird Frauen auch suggeriert, das müsse jetzt so sein. Man wolle ja vorankommen. Martina Klenk, die Präsidentin des Deutschen Hebammenverbands, erklärt in einer Mitteilung anlässlich des Aktionstags „Roses Revolution“ am 25. November: „Leider erleben immer mehr Hebammen eine sehr belastende Arbeitssituation in den Kreißsälen aufgrund von Personalmangel, Arbeitsverdichtung und ökonomischen Zwängen. Wir unterstützen den ‚Roses Revolution Day‘, weil wir möchten, dass sich etwas ändert in den Kreißsälen.“

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Viele Frauen finden nun den Mut, mit ihren Erfahrungen in Wiesbadener Kliniken an die Öffentlichkeit zu gehen. In zahlreichen Berichten, die der Redaktion vorliegen, schildern Betroffene genervtes und überfordertes Klinikpersonal sowie Entscheidungen über den Kopf der Gebärenden und ihrer Angehörigen hinweg, wie etwa die ungefragte Gabe von Medikamenten, beispielsweise zur schnelleren Ablösung der Plazenta oder zur Beschleunigung der Geburt. Und brutale Untersuchungs- und Geburtshilfemethoden wie das gewaltsame Weiten des Muttermundes und das umstrittene Kristeller-Manöver, bei dem sich Geburtshelfer teilweise auf den Bauch der Schwangeren werfen, um das Kind herauszudrücken. In der Kritik stehen auch Dammschnitte, die gegen den Willen der Frauen durchgeführt werden.

Aus dem Geburtsbericht von Kathrin L.: „Sie (die Oberärztin, A. d. Red.) nahm die Schere in die Hand. Ich spürte einen heißen brennenden Schmerz dort, wo heute die auffallend gerade verlaufende Narbe zu sehen ist. In der nächsten Sekunde warf sich die Hebamme ohne Vorwarnung mit ihrem Körper auf meinen Bauch und drückte mein Kind aus meinem Bauch.“

Über Stunden alleine gelassen und nicht ernst genommen

Die Frauen schildern traumatische Erlebnisse, die auch lange nach der Geburt verarbeitet werden müssen. „Ich habe meinen Mann angeschrien: ‚Ruf Mama an, ich sterbe jetzt!‘“, berichtet etwa Florence Menzel von ihren vom Personal heruntergespielten Schmerzen, die sie trotz Periduralanästhesie (PDA) spürte. Auch sie hatte zuvor einen normalen Geburtsverlauf. Auch sie wird ihren drastischen Schilderungen zufolge über Stunden alleine gelassen – bis sich ihr Muttermund wieder zu schließen beginnt.

Das Kind hat Stress, verkeilt sich im Becken, grünes Fruchtwasser tritt bei der Fruchtblasenöffnung aus. Nach einem Notkaiserschnitt und einer anschließenden, viereinhalbstündigen Not-OP hat Florence Menzel 2,5 Liter Blut verloren. Eine Erfahrung, die ihr auch Monate nach der Geburt noch schwer zu schaffen macht: „Ich habe starke Depressionen, eine riesige Narbe am Bauch, habe fast meine Gebärmutter verloren, und sogar mein Leben stand auf der Kippe.“

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Die Weltgesundheitsorganisation WHO kritisiert in einer Erklärung aus dem Jahr 2014 die Geringschätzung und Misshandlung bei Geburten: „Jede Frau hat das Recht auf den bestmöglichen Gesundheitsstandard. Darin inbegriffen ist das Recht auf eine würdevolle und wertschätzende Gesundheitsversorgung im Verlauf von Schwangerschaft und Geburt sowie das Recht, frei von Gewalt und Diskriminierung zu leben“, heißt es dort.

Aus dem Geburtsbericht von Kathrin L.: „Ich habe die Geburt meines Kindes wie eine Vergewaltigung mit Genitalverstümmelung erleben müssen. Man hat mich entmündigt. Es vergeht auch fast ein Jahr danach kein Tag, an dem ich nicht voller Schmerz an diesen Tag zurückdenken muss. Eine weitere Geburt ist für uns nach diesem Erlebnis undenkbar. Wir kämpfen immer noch um das Überleben unserer Partnerschaft. Ein schmerzfreies Sexualleben wird es für mich nie wieder geben. Doch das Schlimmste für mich ist, dass man mir die Geburt meines eigenen Kindes geraubt hat. Unwiederbringlich.“

Von Christian Struck