Gastkommentar zu Corona: Hoffnung lernen lohnt sich

Hartmut Boger Foto: Arne Landwehr

Wie uns die Werke von Ernst Bloch und Martha Nussbaum in Zeiten von Corona ermutigen können, erklärt der Interims-Direktor der Wiesbadener Volkshochschule, Hartmut Boger, in...

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WIESBADEN. Krise könne ein produktiver Zustand sein, man müsse ihr nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen, hat der Schweizer Schriftsteller Max Frisch angemerkt. Wenn heute allerdings im Zusammenhang der Corona-Pandemie von Krise gesprochen wird, geht es weniger um einen „produktiven Zustand“, sondern vielmehr um eine andauernde gefahrvolle Entwicklung, der man trotz aller Anstrengungen kaum Herr zu werden scheint.

Die konzentrierte Berichterstattung über stetig steigende Zahlen von Infizierten und Toten schürt die Angst, das Ganze sei trotz aller gebotenen Maßnahmen, Verbote, Unterstützungen in absehbarer Zeit nicht in den Griff zu bekommen. Angst sei kein guter Lehrmeister, lautet eine gängige Meinung. Angst kann aber positiv sein, wenn sie uns zu vorsichtigem Verhalten führt und nicht in Erstarrung oder Panik mündet. Aus der Vermeidung infektiöser Orte und leichtsinniger Verhaltensweisen entsteht allerdings keine Haltung, die den Blick auf künftige Lösungen und das Leben nach der Pandemie richtet.

Der empirisch gesicherte Hinweis des Historikers Yuval Noah Harari, dass heutzutage weit weniger Menschen durch Seuchen sterben als noch vor hundert Jahren, weist die Richtung. Der Grund liegt in dem enormen wissenschaftlichen, technischen und medizinischen Fortschritt, der es durch Impfungen und wirkungsvolle Medikamente wie Antibiotika, Virostatika, verbesserte Hygiene und neue Behandlungsmethoden möglich gemacht hat, die Pocken, das HIV-Virus, Sars, die Vogelgrippe, Ebola… in den Griff zu bekommen. Die Hoffnung, dass auch Covid-19 begrenzt und endlich beherrscht werden kann, ist also nicht blind oder blauäugig, sondern erfahrungsgestützt.

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„Dem Königreich der Angst widerstehen“

Sie ist die Art von Hoffnung, die der Philosoph Ernst Bloch „docta spes“, die „belehrte Hoffnung“ nennt. Es lohnt sich gerade heutzutage, einen Blick in sein Hauptwerk „Das Prinzip Hoffnung“ zu werfen: „Es kommt darauf an, das Hoffen zu lernen. Seine Arbeit entsagt nicht, sie ist ins Gelingen verliebt statt ins Scheitern. Hoffen, über dem Fürchten gelegen, ist weder passiv wie dieses, noch gar in ein Nichts gesperrt. Der Affekt des Hoffens geht aus sich heraus, macht die Menschen weit, statt sie zu verengen (…). Die Arbeit dieses Affekts verlangt Menschen, die sich ins Werdende tätig hineinwerfen, zu dem sie selber gehören. Sie erträgt kein Hundeleben, das sich ins Seiende nur passiv geworfen fühlt (…).“ Wenn wir unsere Aufmerksamkeit nicht völlig davon gefangen nehmen lassen, was gegenwärtig als gefahrvoll erscheint, sondern vermehrt darauf richten, was alles an Anstrengungen unternommen wird, an Hilfe und gegenseitiger Unterstützung, Forschung und Entwicklung geleistet wird, können wir die Hoffnung in uns entwickeln, die nötig ist, um die gegenwärtige Krise zu meistern.

Es ist auch ermutigend, dass Martha Nussbaum, eine der bedeutendsten Philosophinnen der Gegenwart, gerade in der dunklen Regierungszeit Donald Trumps eine Philosophie der Hoffnung entwickelt, um dem „Königreich der Angst“ zu widerstehen. Auch sie versteht Hoffnung als eine aktive Haltung: „Hoffnung ist nicht träge, kann es nicht sein. Sie verlangt tätiges Engagement.“ Sie stellt allerdings die kritische Frage, aus welchem Grund wir eigentlich hoffen, die politische Entwicklung – gemeint ist vor allem die in den USA – gebe dazu keinen Anlass. Anknüpfend an Immanuel Kant argumentiert sie, dass gute Werke und Taten auf Hoffnung und Vertrauen in eine bessere Zukunft basieren und diese erst möglich machen. Sowohl Bloch als auch Nussbaum machen uns Mut zu einem gewissen Zukunftsoptimismus, ohne den es keine bessere Zukunft geben kann. Diese hoffnungsvolle Haltung müssen wir dem verbreiteten Pessimismus entgegensetzen. Allerdings haben Pessimisten einen großen Vorteil: Sie haben immer Recht. Wenn es so schlimm kommt, wie sie vorausgesagt haben, können sie auftrumpfen. Kommt es nicht so schlimm, können sie auf die – vermeintliche – Wirkung ihrer Warnungen verweisen. Möglicherweise brauchen wir Pessimisten, um Probleme zu erkennen, ganz sicher aber brauchen wir Optimismus, um die Probleme zu lösen – und um die Krise zu überwinden!

Von Hartmut Boger