Es ist ein Experiment: Für ein Jahr ist die Wellritzstraße nun eine Fußgängerzone. Schon am ersten Tag herrscht reges Treiben und eine positive Stimmung unter Besuchern und...
WIESBADEN. Schon am frühen Freitagmorgen winken Mitarbeiter der kommunalen Verkehrspolizei ab: keine Einfahrt mehr in die Wellritzstraße von der Hellmundstraße aus. Die meisten Autofahrer sind verblüfft, aber als die Verkehrspolizisten auf die zwei großen Schilder deuten, lenken sie ein. Die Wellritzstraße ist nun zwischen der Hellmund- und Helenenstraße eine Fußgängerzone. Zumindest für ein Jahr, solange dauert der Verkehrsversuch.
„Hier wird heute auch ein kleines bisschen Geschichte geschrieben“, sagt Roland Stöcklin, Geschäftsführer der Stadtentwicklungsgesellschaft SEG, als er die zahlreichen Gäste vor der offiziellen Eröffnung begrüßt. Er ist begeistert, „was hier los ist“. Die Straße hat sich herausgeputzt, viele Gewerbetreibende bieten Leckereien an und Kinder spielen an den Ständen des Kinderzentrums Wellritzhof. Nachdem Politiker und Bürger gemeinsam symbolisch ein Band zur Eröffnung durchschneiden, führt eine Künstlergruppe des Vereins Arco mit einem „Walk Act“ durch die neue Zone. Es herrscht eine positive, erwartungsvolle Stimmung in der Straße.
„Wir wollen die Straßen und Plätze den Menschen zurückgeben“
Damit das so bleibt, „sollen nicht nur die Geschäftsleute von der Fußgängerzone profitieren“, sondern auch Anwohner und Passanten, weiß auch Stöcklin. Und spricht die vergangene Infoveranstaltung mit Anliegern an, in der kontrovers diskutiert wurde. Einige Anwohner haben Sorge vor dem möglichen Lärm, andere bedauern den Verlust der zwölf Parkplätze. Die „intensive Kommunikation“ mit den Bürgern bleibe daher weiter bestehen. Dafür erhält Michaela Höllriegel vom „Büro für Stadt.Raum.Entwicklung“ einen Applaus, die in den vergangenen Wochen „unermüdlich“ zwischen Stadt und Bürgern vermittelt habe. Sie ist im Zuge des Förderprogramms „Soziale Stadt“ von der SEG beauftragt worden.
Für Verkehrsdezernent Andreas Kowol steht die neue Fußgängerzone exemplarisch für eine Entwicklung in der Innenstadt, den öffentlichen Raum nicht mehr vom Autoverkehr dominieren zu lassen: „Wir wollen die Straßen und Plätze den Menschen zurückgeben, wo es möglich ist.“ Man werde sehen, ob das Experiment in der Wellritzstraße ein Erfolg werde. „Auf jeden Fall werden wir hier viel Erfahrung sammeln, um weitere Fußgängerzonen entwickeln zu können“, sagt Kowol. „Wo, wenn nicht hier, sollte man etwas Neues ausprobieren“, meint Ortsvorsteher Volker Wild. „Die Wellritzstraße ist eine vibrierende Straße, die sich dauernd neu erfindet.“ Der Ortsbeirat hatte das Projekt mit einem Antrag im Juli 2016 angestoßen.
Seitdem schwankte Yücel Aydin, Betreiber des Restaurants „Sultan“, in seiner Meinung, was er von der Idee halten soll. „Mittlerweile freue ich mich sehr und ich hoffe, alle Betroffenen werden glücklich. Ich habe jetzt auch extra investiert und neuen Platz für 50 Gäste geschaffen“, sagt er und zeigt auf seine Außenterrasse mit Holzboden und Blumenkübeln – die mit Abstand auffälligste neue Ladenfront.
Rapper Eno hofft auf Konzert in der Wellritzstraße
„Wir müssen natürlich abwarten, wie sich das entwickelt“, sagt Söhrettin Canpolat, seit Jahren Kioskbetreiber, der nun auch Stühle und Tische vor sein Geschäft stellen darf. „Die Grundidee, hier eine Fußgängerzone einzurichten, ist aber sehr schön. Auch meine Kunden freuen sich auf etwas Neues“, sagt er. Wie auch Conni Dinges, Leiterin des Kinder- und Jugendzentrums: „Wir fordern schon sehr lange, dass hier mehr Freizeitflächen für Kinder und Begegnungszonen für Jung und Alt geschaffen werden.“ Sie erhofft sich auch eine Imageaufwertung für das Westend.
Rapper Eno, der sein Album nach der Wellritzstraße benannt hat und wohl der bekannteste Westendler in Deutschland ist, schaut sich das rege Treiben und die schlendernden Menschen durch das Schaufenster eines Dönerimbisses an. „Man sollte offen sein für etwas Neues, daher begrüße ich die Idee. Und ich würde gerne hier ein Konzert geben“, sagt er und lächelt. Denn er weiß: Als er im Mai 2018 ein Straßenkonzert gegeben hat, musste es nach wenigen Minuten abgebrochen werden, weil sich 3.000 Menschen in die Wellritzstraße gedrängt hatten.