Fit fürs Geschäft, krank fürs Gericht: Ist der frühere...

Im April 2013 hatte der Prozess gegen Christopher Jahns (links neben seinem Verteidiger Alfred Dierlamm) begonnen. Archivfoto: dpa

Seit Oktober 2014 ruht in Wiesbaden der Prozess gegen den ehemaligen EBS-Präsidenten Christopher Jahns. Ihm wird vorgeworfen, rund 180.000 Euro veruntreut zu haben. Nach einem...

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WIESBADEN. Geht es nach der Staatsanwaltschaft, dann soll Christopher Jahns, der frühere Präsident der European Business School (EBS), zwangsweise befristet in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht werden. Das sei zur Wahrheitsfindung unerlässlich. Ein vom Gericht im November 2015 bestellter Gutachter soll dort darüber befinden, wie es um den aktuellen psychischen Zustand des Wirtschaftswissenschaftlers bestellt ist. Ist der Angeklagte, das ist Jahns noch immer, verhandlungsfähig?

Die 6. Große Strafkammer des Wiesbadener Landgerichts hat den Antrag auf Unterbringung abgelehnt. Auch die Beschwerde gegen diese Entscheidung. Brauchbare Ergebnisse seien in der Unterbringung nicht zu erwarten, so die Richter. Jahns habe seit Langem angekündigt, sich jeder Mitwirkung zu verweigern. Eine Unterbringung bloß zur Beobachtung erscheine da nicht verhältnismäßig. Nun muss das Oberlandesgericht Frankfurt entscheiden.

Prozess ruht seit Oktober 2014

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Seit Oktober 2014 ruht in Wiesbaden der Prozess gegen den ehemaligen EBS-Präsidenten. Ihm wird vorgeworfen, rund 180.000 Euro veruntreut zu haben. Die Wirtschaftsstrafkammer, damals personell anders besetzt, hatte das Verfahren vorläufig einstellen müssen. Ein psychiatrisch-neurologisches Gutachten hatte Jahns Verhandlungsunfähigkeit bescheinigt. Innerhalb der vorgeschriebenen Fristen war der Prozess nicht fortzuführen.

Von Amts wegen durch das Gericht oder auf Antrag der Staatsanwaltschaft muss nach der Wiederherstellung der Verhandlungsfähigkeit neu verhandelt werden. Die Staatsanwaltschaft drängt auf die Klärung, ob Jahns verhandlungsfähig ist. Dass auch die Strafkammer drängen würde, kann man nicht bescheinigen. Dass Jahns eine Neuauflage unbedingt umgehen möchte, liegt auf der Hand – ihm drohte im geplatzten Prozess die Verurteilung.

Jahns hat einen Abwehrriegel eingerichtet

Nach einem rechtlichen Hinweis des Gerichts am 16. Oktober 2013 zeichnete sich ab, dass es auf eine Verurteilung hinauslaufen würde. Aktenkundig wurden Gesundheitsprobleme von Jahns im Prozess übrigens erst nach diesem Hinweis. Ab da verschärfte sich auch der politische und mediale Druck aufs Gericht – der Prozess mache keinen Sinn, er sei unverhältnismäßig und einzustellen.

Das Landgericht hat nun auf Anfrage den aktuellen Sachstand zur Frage der Verhandlungsfähigkeit zusammengestellt, freilich ohne Jahns beim Namen zu nennen oder auf dessen Gesundheitszustand näher einzugehen. Man will nicht verklagt werden. Fest steht – Jahns hat einen Abwehrriegel errichtet.

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Stufe eins: Am 17. Dezember 2015 teilte sein Verteidiger mit, dass Jahns seine behandelnden Ärzte nicht von ihrer ärztlichen Verschwiegenheitspflicht entbinde. Stufe zwei: Am 17. Februar 2016 legte der Verteidiger unter Bezugnahme auf ein Gesundheitszeugnis und unter Verweis auf die Begutachtung aus dem Jahr 2014 nach: Eine weitere Untersuchung sei derzeit „aufgrund von negativen Auswirkungen auf den andauernden Heilungsprozess unverhältnismäßig und rechtswidrig“. Stufe drei: Mit Schreiben vom 12. August 2016 kam die Erklärung, dass Jahns „auf Empfehlung seiner behandelnden Ärzte an einer weiteren Untersuchung nicht mitwirken“ werde. Er sage auch nichts zum Behandlungsverlauf. Der Sachverständige meldete sich ebenfalls: Er erklärte am 16. Januar 2017, dass gutachterliche Aussagen zur Verhandlungsfähigkeit „nur auf der Grundlage einer persönlichen Untersuchung“ möglich seien. Was Jahns ja verweigert. Kann so Recht ausgehebelt werden?

Es geht auch um die Gleichbehandlung

Als Angeklagter ist Jahns nicht verpflichtet, an seiner eigenen Strafverfolgung mitzuwirken. Der Staat seinerseits hat die Pflicht, eine funktionstüchtige Strafrechtspflege zu gewährleisten. Es geht auch um die Gleichbehandlung. Es soll eben nicht so sein, dass sich ein Beschuldigter durch Manipulation nach Belieben entziehen kann und damit der Feststellung seiner Schuld und der daraus resultierenden Bestrafung.

Das Bundesverfassungsgericht hat der Durchführung des Strafverfahrens Grenzen gesetzt. Sie verlaufen dort, wo der Gesundheitszustand befürchten lässt, dass ein Beschuldigter sein Leben einbüßen oder einen schwerwiegenden gesundheitlichen Schaden nehmen würde. Entscheidend ist der „spezifische Wahrscheinlichkeitsgrad“. Wie ist er hier?

Im Herbst 2014 wurde Jahns in der Berichterstattung eine schwere depressive Störung zugeschrieben. Er sei unkonzentriert, habe keinerlei Selbstvertrauen mehr, bis auf den Kontakt zum engsten Familienkreis sei er sozial isoliert. Da sei jemand völlig Ende, hieß es. Verursacht durch den Prozess, dem er sich seit April 2013 stellen musste. Die Konfrontation mit dem Verfahren führe zu Angstreaktionen. Kaum einem Angeklagten dürften sie fremd sein.

Auch für den gesunden Beschuldigten stelle eine Verhandlung „regelmäßig eine erhebliche psychische und oftmals auch nicht geringe physische Belastung dar“, formuliert das Bundesverfassungsgericht. Derartige Risiken seien „unvermeidbar und müssen im Interesse einer wirksamen Rechtspflege hingenommen werden“.

Die Kammer hält die Unterbringung auch deswegen nicht zielführend, weil von einem Erfolg bisheriger Therapien zur Wiederherstellung der Verhandlungsfähigkeit nicht auszugehen sei. Das Gericht bezieht sich auf Stellungnahmen des Verteidigers aus 2015 und 2016. Kein Erfolg? Das innere und äußere Leistungsbild, das Jahns selbst für die Jahre 2016 und 2017 dokumentiert, drängt eine ganz andere Wahrnehmung auf. Der als verhandlungsunfähig geltende Jahns ist als geschäftlicher Tausendsassa weltweit unterwegs.

In Justizkreisen spricht man von einem „Skandal“

Jahns hält Reden, er kümmert sich um Schulungen, er moderiert, er verhandelt, er liefert Fachbeiträge wie den zum Thema „Industrie 4.0 in China“. Er kommentiert, etwa zum Thema „Leadership und Bildung im digitalen Zeitalter“, er gibt Interviews, er organisiert, wie er selber sagt, „Finanziell-Strategisches“. Arbeit über Arbeit. Jahns lässt im Mai verlauten: „Ein Jahr kein Urlaub!!“ Man habe „so hart gearbeitet“. Wie schafft ein psychisch angeblich noch Belasteter ein solches Pensum? Vor allem: Wie bewerten die Richter der Strafkammer den äußeren Anschein, der mehr als nur Zweifel an der behaupteten Verhandlungsunfähigkeit begründet? Die Kennzeichen einer depressiven Episode, als da wären Antriebslosigkeit, Denkhemmung, Konzentrations- oder Interessenverlust sind bei Jahns für 2016 und 2017 jedenfalls nicht zu erkennen. In Wiesbadener Justizkreisen spricht man von einem „Skandal“. Weil Jahns sich „raustricksen“ wolle.