Was aus der Vogelperspektive aussieht wie ein Märchenschloss, ist in Wahrheit seit 25 Jahren eine Baustelle. Mit ihrer eigenen Faszination.
WIESBADEN. Wie fühlt es sich an, mit nackten Füßen auf einem Baumstamm zu balancieren? Und was hat das mit Liebe und Respekt zu tun? Der Dokumentarfilm „Freudenberg – Auf der Suche nach dem Sinn“, der in der restlos ausverkauften Caligari Filmbühne seine Welturaufführung feiert, gibt Antworten auf diese und viele weitere Fragen. Der deutsch-polnische Dokumentarfilmer Andrzej Klamt porträtiert Schloss Freudenberg und sein „Erfahrungsfeld der Sinne“ mit all seinen vielfältigen Erlebnismöglichkeiten. Von der Dunkelbar, in der Sehende beeindruckt registrieren, wie schwarz Schwarz sein kann, bis hin zu Klangwelten und Theateraufführungen mit jungem Ensemble aus Kiew. Es kommt ebenso zu Wort wie die Schauspieler Beatrice Dastis Schenk und Matthias Schenk, die 1993 im Schloss Freudenberg und seinem Park das „Erfahrungsfeld zur Entfaltung der Sinne und des Denkens“ gegründet haben.
Nicht nur Klamt, der dem Kinostart seines Films Ende August entgegenfiebert, ist am Tag der Welturaufführung „sehr aufgeregt“. Den Protagonisten seiner im Jahr 2018 vorgenommenen Langzeitbeobachtung, die sämtlich im Caligari versammelt scheinen, ergeht es nicht anders: Überaus konzentriert verfolgen sie das Ergebnis der rund 25 Drehtage, in denen neben dem Ehepaar Schenk unter anderem auch deren Tochter Katharina, der Architekt Emil Hädler, der aufgrund des „erbärmlichen Zustands“ des 1904 erbauten Schlosses von einem Spielbetrieb dringend abgeraten hatte, und der Insektologe Inox Kapell zu Wort kommen.
Ob „Theater zwischen Himmel und Erde“, „Lektionen der Liebe“ oder „Die Natur als Spiegel“ – in den Kapiteln des Films, der sich die Zeit nimmt, auf einzelnen Bildern im Interesse der Sinne auszuruhen, wird ein hingewandtes Porträt einer Welt gezeichnet, in der Liebe und Respekt viel Gewicht haben: Ein jeder respektiere die Fähigkeiten und die Arbeit des anderen. Das Schloss Freudenberg, zu dessen Gründung der Tischler, Künstler und Pädagoge Hugo Kükelhaus inspirierte, sei seit 1993 von mehr als zwei Millionen Menschen besucht worden: Sie kamen, heißt es im Film, nicht zuletzt aus Gründen der Selbstwahrnehmung. Im Schloss, in dem Provokation als wichtiges Element erachtet wird, will man „den Menschen zu sich selbst führen“.
Auf der Kinoleinwand sind wunderschöne Bilder zu sehen. Aus der Vogel-, sprich der Drohnen-Perspektive erscheinen Schloss und Park auf dem Freudenberg geradezu märchenhaft. Doch es wird nicht verhehlt, dass es sich um eine bereits seit einem Vierteljahrhundert währende Baustelle handelt, die für den Gast sichtbar und erlebbar ist. Und das übt ganz offenkundig eine eigene Faszination aus, lässt die spielerische Selbstfindung und -wahrnehmung zu einem ganz besonderen Erlebnis werden. Das Premierenpublikum ist vom Klamt‘schen Dokumentarfilm begeistert.