Der Verein zur Förderung des historischen Weinbaus im Rheingau will alte Rebsorten wieder zur Blüte bringen. Das verspreche mehr Erfolg, als ausländische Produkte nachzuahmen.
WIESBADEN. „Ein informativer Artikel. Nur an einer Stelle möchte ich Widerspruch einlegen: Die Zukunft gerade der mittelständischen Winzer im Rheingau liegt nicht in den internationalen Rebsorten, wo sie gegen die Massenproduzenten keine Chance und auch nicht das richtige Terroir haben, sondern in der Rückbesinnung auf das, was es im Rheingau schon einmal mehr gab – historische Rebsorten wie Roter Riesling, Gelber Orleans und den Gemischten Satz.“ Professor Ulrich Steger reagiert auf den Beitrag „Bloß kein Trockenstress“ vom vergangenen Samstag.
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Der Sozialdemokrat und einstige hessische Wirtschaftsminister ist gebürtiger Berliner, wohnte lange in Westfalen. „Wer als Weintrinker im Ruhrpott überlebt, hat schon was geleistet“, habe ihm einst ein Genosse gesagt. Aber Steger bekennt, dass er sich erst mit dem Eintritt in die Rente richtig für das Thema zu interessieren begann. Jetzt ist der 74-Jährige Vorsitzender des Vereins zur Förderung des historischen Weinbaus im Rheingau.
Hochgezüchtete und anfällige Trauben
Seine Vorstellung: die Biodiversität in der landwirtschaftlich genutzten Fläche wiederherstellen – und gleichzeitig den Rheingauer Winzern eine Marktnische aufzeigen. „Eine Gegenbewegung, weil die Industrie in der Standardisierung zu weit gegangen ist. Jetzt haben wir lauter hochgezüchtete, aber anfällige Trauben.“ Man müsse sich vorstellen, dass 70 Prozent der deutschen Weine aus nur fünf Rebsorten hergestellt werden. Ein bisschen ist die Idee, dem Weltmarkt die Regionalisierung und ein Stück historischer Vielfalt entgegenzusetzen. Gerade in Zeiten der Überproduktion (durch China kommt jetzt noch einmal die Anbaufläche Frankreichs hinzu), unsicherer Witterungs- und Marktbedingungen.
Rund 330 alte Sorten haben Rebsortenforscher wiederentdeckt, die sich im Auftrag des Bundeslandwirtschaftsministeriums deutschlandweit auf die Suche begeben hatten. Überwiegend auf von Flurbereinigungen noch verschont gebliebenen Anbauflächen sind sie fündig geworden. „Bis hin zu Hausstöcken. Einer war 200 Jahre alt“, berichtet Andreas Booß. „Als historische Sorten werden die bezeichnet, die schon vor 1900 bei uns angebaut wurden – die meisten noch aus der Zeit vor der Reblaus.“ Der langjährige Leiter des Weinbauamtes Eltville ist der 2. Vorsitzende des Fördervereins. Überhaupt hat Steger Fachleute erster Güte um sich versammelt. Einen Rebsortenkundler, einen Kellerwirt, den Verfasser eines weinrechtlichen Kommentars. „Dass Booß Ende 2015 in Ruhestand gegangen ist, war ein glücklicher Zufall“, freut sich Steger, den Jungrentner gleich für den Verein gewonnen zu haben.
„Die Winzer haben sehr spezielle Fragen – und die wollen wir auch beantworten können“, sagt Steger. Zum Selbstverständnis des Vereins gehört, interessierte und engagierte Weingutsbesitzer zu informieren und zu beraten und so zu unterstützen. Die Resonanz ist beachtlich. Zu den ersten Aktivitäten des Vereins gehörte 2014 ein gemeinsam mit der Hochschule Geisenheim veranstaltetes Symposium zum Roten Riesling, der bis zu seiner Wiederzulassung nur in einer Art legaler Grauzone überlebt hat. „Wenn 70 kommen, ist‘s ein Erfolg, wenn 50 kommen, ist‘s auch noch gut. Es kamen 250 Winzer“, erzählt Steger.
Auch die Frankfurter Manager und Bank-Leute, die bei einer Veranstaltung des Conviniums 20 Proben historischer Rebsorten vorgesetzt bekamen, fanden es „unheimlich interessant, auch wenn nicht jeder Wein allen geschmeckt hat“. Die Rüdesheimer Weingutsbesitzerin Theresa Breuer habe Steger zu ihren Versuchen mit dem „Heunisch“ gestanden: „Es hat zehn Jahre gedauert, einen trinkbaren Wein draus zu machen.“ Der Vorsitzende weiß: „Es braucht Mut zum Experiment.“
Zu den Kooperationspartnern des Vereins zählt neben dem Weinbauverband die Hochschule Geisenheim. Die forscht und züchtet pilzwiderständige Rebsorten. „Wir haben nichts gegen die ‚Piwis‘“, erklärt Booß, „aber das ist nicht unsere Baustelle.“ Er wirbt für die alten Rebsorten, die gegen einen Teil der Schädlinge weniger empfindlich seien, weil sie eine härtere Schale haben, in früheren Jahrhunderten über lange Perioden angebaut wurden und „den Klimatest schon überstanden haben, dann aber vergessen wurden“. Und er wirbt für Alleinstellungsmerkmale: „Wenn ich Chardonnay höre, denke ich an den Chablis. Wenn wir hier im Rheingau Chardonnay anbauen, ist das eine Kopie und kein Original.“
Ein Original ist indes der Rote Riesling, der Heunisch oder der Gelbe Orleans, an den Michael Schönleber (Oestrich) sein Herz verloren hat. Eine besondere Form des historischen Weinbaus offenbart sich im „Gemischten Satz“. Auf dem Etikett des „2017er Field Blend trocken“ teilt das Weingut Hanka seinen Kunden mit: „Dieser Wein ist wie eine Zeitreise in die Vergangenheit, als rund um Johannisberg noch eine kunterbunte Vielfalt in den Weinbergen herrschte. Wir haben die wichtigsten Rebsorten dieser Epoche aufgespürt und im Oestricher Doosberg angepflanzt. Das Prinzip des Mischsatzes überlässt den Rebsorten und dem Mikroklima die Hauptrolle bei der Gestaltung des Weines. Daraus ergibt sich eine einzigartige Spannung.“ Die empfindet auch Frederik zu Knyphausen, dessen Familie den Draiser Hof in Erbach seit genau 200 Jahren betreibt. „Manche Sorten könnte man jetzt schon ernten, andere brauchen noch.“ Aber der Gemischte Satz, für den nun auch das Schloss Reinhartshausen die Pflanzen – auf der Mariannenau – in die Erde gebracht hat, wird aus mindestens fünf Rebsorten, die auf der gleichen Anbaufläche stehen, zusammen geerntet. Und zusammen ausgebaut. Bei Hanka sogar in einer alten Korbkelter. Mitnichten werden also fertige Weine zusammengepanscht. Die Gefahr, dass dieser (falsche) Eindruck entstehen könnte, hat wohl den eigentlich famosen Namen verhindert, den der Weinauktionator Professor Leo Gros für den Gemischten Satz erdacht hatte: „Rheingauer Dorschenanner“. Baron zu Knyphausen, der in seinem „ersten Leben“ Unternehmensberater war, fasst seine Erfahrungen mit dem Produkt so zusammen. „Es ist ein Erklärungsprodukt, aber bei Händlern auch ein Türöffner.“
Möglichst viele Nachahmer gesucht
Beim Erklären und beim Türenöffnen will der Förderverein helfen: „Ohne unsere Gemeinnützigkeit aufs Spiel zu setzen, geben wir den Teilnehmern an Verkostungen schon auch Einkaufstipps“, gesteht Steger augenzwinkernd: „Denn wenn die Winzer nicht erfolgreich sind, wird‘s auch keine Nachahmer geben.“ Und von denen will der Verein unter den 630 Direktvermarktern im Rheingau möglichst viele. Booß: „Der Riesling soll seine Dominanz hier behalten. Gar keine Frage.“ Aber in 20 Jahren etwa ein Prozent, also 30 Hektar der Anbaufläche mit historischen Rebsorten bestückt zu haben, das wäre schon sein Ziel. „Dann wären wir deutschlandweit Vorreiter.“