Beinahe wäre das alte „Katzeloch“ komplett verschwunden. Wäre es nämlich nach den Vorstellungen des Städteplaners Ernst May gegangen, der in den 60er Jahren auch die...
WIESBADEN. Beinahe wäre das alte „Katzeloch“ komplett verschwunden. Wäre es nämlich nach den Vorstellungen des Städteplaners Ernst May gegangen, der in den 60er Jahren auch die Siedlung Klarenthal geplant hat, dann wäre das gesamte Wohnviertel der einfachen Handwerker, Arbeiter und Bediensteten aus dem 19. Jahrhundert mit Ausnahme der Bergkirche abgerissen und durch eine moderne Wohnsiedlung mit Hochhäusern und viel Grün ersetzt worden. Gerade noch rechtzeitig entschied sich das Stadtparlament 1972 dann für den weitgehenden Erhalt, nämlich eine behutsame Sanierung des Gebiets „An der Bergkirche“ zwischen Schwalbacher Straße, Röderstraße und Nerostraße. Mithilfe eines Städtebauförderungsprogramms des Bundes. Bis das Mammutprojekt dann 40 Jahre später abgeschlossen war, sind rund 130 Millionen Euro geflossen, 14 Millionen von der Stadt, der Rest aus Töpfen des Städtebauförderungsgesetzes und der Wohnbauförderung.
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„Katzeloch“ ist übrigens die ursprüngliche Bezeichnung des Bergkirchenviertels und beschreibt die winzigen Dachgauben der früheren kleinen Häuschen. Die Fenster waren gerade mal so groß, dass eine Katze hindurchschlüpfen konnte.
Wie sich die Wohnverhältnisse im Sanierungebiet zwischen 1968 und 2015 verändert haben, damit befasst sich jetzt der neueste „Blickpunkt Stadtforschung“ des Amts für Strategische Steuerung, Stadtforschung und Statistik – und zieht eine durchaus positive Bilanz. Der Bestand an Wohngebäuden hat sich seit 1968 durch Abrisse in den Blockinnenbereichen und Hinterhöfen um zirka 30 Prozent reduziert. Damit, berichtet Karl-Heinz Simon, einer der Verfasser der Studie, wollte man „Licht und Luft“ und mehr Lebensqualität in das Viertel bringen. Viele der alten „Butzen“, der „Katzeloch“-typischen winzigen Häuschen, seien „abrisswürdig“ gewesen. Wie sie aussahen, kann man noch heute am Gasthaus „Bobbeschänkelche“ in der Röderstraße studieren.
Weniger Gebäude, aber mehr Platz pro Einwohner
Nicht ganz so stark wie der Gebäudebestand hat die Zahl der Wohnungen abgenommen: Die neu gebauten Wohnungen eingerechnet, reduzierten sie sich um zirka 25 Prozent auf jetzt etwa 1850 Einheiten. Im Durchschnitt befinden sich heute in jedem Gebäude 6,6 Wohnungen, vor der Sanierung waren es 5,4.
Die durchschnittliche Wohnungsgröße ist durch den Abriss vieler alter und kleinerer Wohnungen sowie neue, größere Wohnungszuschnitte und vor allem durch die Neubaumaßnahmen deutlich angestiegen. 1968 betrug der Wohnungsdurchschnitt 48,5 Quadratmeter, Ende 2015 waren es 63,8 Quadratmeter. Er liegt damit um circa 20 Quadratmeter niedriger als in der Gesamtstadt (83,6 Quadratmeter).
Aber es gibt mehr Platz pro Kopf: 1968 hatte jeder Einwohner 21 Quadratmeter Wohnfläche zur Verfügung, heute sind es rund 34. Der Abstand zum gesamtstädtischen Durchschnittswert von 41,3 Quadratmetern (2015) ist aber beträchtlich (minus 22,6 Prozent). Dieser Wert sagt nicht nur etwas über die Wohnverhältnisse, sondern ist gleichzeitig auch ein aussagekräftiger Sozialindikator, so die Stadtforscher.
Die Wohnungs-Eigentümerquote, das heißt, der Anteil der von Eigentümern selbst genutzten Wohnungen, war und ist im Sanierungsgebiet „An der Bergkirche“ sehr niedrig. Der schon 1968 niedrige Anteil von Wohnungseigentümern (6,7 Prozent) verringerte sich weiter und betrug zu Sanierungsende 2015 lediglich 2,6 Prozent (in der Gesamtstadt 24 Prozent). In 97 Prozent der Wohnungen leben Mieter, in der Gesamtstadt sind es 76 Prozent.
Der Anteil öffentlich geförderter Wohnungen („Sozialwohnungen“) war früher sehr niedrig (1,5 Prozent im Jahr 1968). Seit Mitte der 1970er Jahre wurde der größte Teil der neu errichteten und modernisierten Wohnungen mit öffentlichen Mitteln gefördert, deshalb kletterte der Anteil zwischen 1998 und 2003 auf zirka 66 Prozent, also zwei Drittel aller Wohnungen unterlagen Mietpreis- und Belegungsbindungen. Durch das Auslaufen von Bindungsfristen sank dieser Wert aber wieder erheblich. 2012/13 waren es noch etwa 57 Prozent (in der Gesamtstadt 6,4 Prozent). Für die nächsten Jahre ist durch das Auslaufen von Bindungsfristen ein weiterer Rückgang zu erwarten. Mit weiteren Mietpreissteigerungen ist daher zu rechnen, für einen Teil der Wohnungen eventuell auch Verkäufe und mögliche Umwandlungen von Miet- in Eigentumswohnungen. Das innenstadtnahe Viertel weist somit ein gewisses Gentrifizierungspotenzial auf.
Stadtforscher Simon macht auch darauf aufmerksam, dass es nach 20 bis 30 Jahren wieder Modernisierungs- und Investitionsbedarf gibt, zum Beispiel an Fassaden und Dächern, Energieeinsparung und Heizungsanlagen. Sanierung und Stadterneuerung seien daher nie endgültig und vollständig abgeschlossen, sondern erfordern weiterhin Investitionen. Verantwortliches Handeln für das Wohnumfeld in puncto äußeres Erscheinungsbild, Sauberkeit, Müll gehöre auch dazu. Dem steht die hohe Einwohnerfluktuation und geringe Identifikation mit dem Viertel, ähnlich wie im Westend, entgegen.