Die Feuerwehr durfte nicht löschen

Die Ruinen der  geschändeten Schiersteiner  Synagoge standen so bis zum Jahr 1967. Aus der  Rosette machte man dann eine Gedenkstätte. Foto: Stadtarchiv  Wiesbaden

In der Pogromnacht 1938 zerstörten Nazis die Schiersteiner Synagoge – unter den Augen neugieriger Zuschauer. Die Schiersteiner planen zu diesem Anlass eine Gedenkveranstaltung.

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. Julius Löwenthal hieß der einzige jüdische Mitbürger Schiersteins, der 1945 aus dem KZ Theresienstadt zurückkehrte. Alle anderen jüdischen Familien aus Schierstein wurden von den Nazis umgebracht. Ihre Synagoge wurde vor 160 Jahren, also 1858, in der damaligen Kirchstraße 15-17 eingeweiht. Sie diente 80 Jahre lang als Gotteshaus. In der Pogromnacht 1938 wurde sie zerstört, ihre Ruine stand bis in die Sechzigerjahre, bevor sie abgerissen wurde und 1968 an ihre Stelle die Gedenkstätte in der Bernhard-Schwarz-Straße trat – auch dies ein runder Gedenktag, ein halbes Jahrhundert.

Die Ruinen der  geschändeten Schiersteiner  Synagoge standen so bis zum Jahr 1967. Aus der  Rosette machte man dann eine Gedenkstätte. Foto: Stadtarchiv  Wiesbaden
Die Goldene  Hochzeit des  Ehepaares Salmon aus Frauenstein aufgenommen in der Schiersteiner  Synagoge.  Beim Foto ist u.a. der mit der Zahl „50” geschmückte Hochzeitsbaldachin zu erkennen. Foto: Sammlung  Lottmann-Kaeseler
Anschluss der in Schierstein und Frauenstein lebenden jüdischen Personen an die orthodoxe israelitische Religionsgesellschaft in Wiesbaden (1879)Artikel der Zeitschrift „Der Israelit” vom 10. Dezember 1879.
Innenansicht der Synagoge mit Blick zum  Toraschrein Foto: Stadtarchiv  Wiesbaden
Denkmal an einem Ort  der Schande  in Schierstein: die Rosette der Schiersteiner Synagoge (1858). 1967 hat man aus den  Ruinen diese  Gedenkstätte  gemacht. Archivfoto: wita/ Paul Müller

„Vielleicht können die drei Daten ein Anlass sein, der jüdischen Schiersteiner Mitbürgerinnen und Mitbürger zu gedenken, die eine Bereicherung des Lebens in unserem Ort waren und denen wir dann so viel Leid angetan haben“, sagt der stellvertretende Ortsvorsteher Walter Richters.

Bereits im 18. Jahrhundert im Verbund mit Frauenstein

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Grundlage dieses Textes bildet die Broschüre „Die jüdische Gemeinde Schierstein“ von Lothar Bembenek, zusammengestellt im Auftrag der Grünen im Ortsbeirat 1988, sowie die Internetseite „Alemannia judaica“, für die Dorothee Lottmann-Kaeseler viele historische Informationen zusammengetragen hat.

Demnach bestand die jüdische Gemeinde bereits seit dem 18. Jahrhundert, schon damals mit Frauenstein zusammengefasst. Rund ein bis drei Prozent der Einwohner Schiersteins waren Juden. Überwiegend waren sie Händler, in Frauenstein gab es mehrere Metzger. Es gab die Synagoge, eine Religionsschule, ein rituelles Bad und einen Friedhof. Die Synagoge wird in einer Zeitschrift 1936 folgendermaßen beschrieben: „Verhältnismäßig hohe und strenge Synagoge, erbaut 1858. Rechts vom Toraschrein ein geschnitzter Holzständer mit reichem Blätter- und Früchteschmuck, gekrönt vom nassauischen Wappen. Er trägt zwei Tafeln mit dem Gebet für den Landesherrn. Das Ganze ist Geschenk ‚Seiner Erlaucht Herrn Grafen Wenzeslaus Carl zu Leiningen-Billigheim’. 1096 führte ein Vorfahr dieses Herrn, Graf Emicho zu Leiningen, die Scharen der Kreuzfahrer gegen die Juden zu Mainz, Worms und Speyer“. 1933 lebten noch etwa 60 jüdische Personen in Schierstein. In den folgenden Jahren zogen viele fort oder wanderten aus.

In der Pogromnacht wurde nicht nur die Synagoge, sondern wurden auch Geschäfte und Wohnungen jüdischer Familien zerstört. Davon gibt es genaue Schilderungen, die aus den späteren Prozessen gegen die Täter stammen. „D. und die ortsfremden SA-Angehörigen hatten bereits die äußere Umfriedung zerschlagen und waren dabei, mit ihren Äxten die Inneneinrichtung, den Altar, das Gestühl und Gebälk zu zertrümmern. Als das Holz jedoch nicht Feuer fangen wollte, erteilte der Angeklagte P. H. den Befehl, beim Mitangeklagten B. Benzin zum Anzünden der Synagoge zu holen. H. beschaffte sich ein Fahrrad, fuhr zu der Tankstelle des B., der ihm ohne weitere Fragen 2 Kanister Benzin aushändigte. … Wenige Minuten später stand die Synagoge in hellen Flammen. An diesem Anstecken beteiligte sich ein unmittelbarer Täterkreis von 5-6 Personen, um den sich ein äußerer Teilnehmerkreis von zahlreichen Neugierigen als Zuschauer gesammelt hatte.“ Die Feuerwehr traf ein, hatte jedoch den Befehl, nur „die angrenzenden Anwesen von einem Übergreifen des Feuers zu bewahren“. Erst nachdem die Synagoge völlig ausgebrannt war, wurde der Rest gelöscht. Anschließend wurde die Fetthandlung Kahn abgebrannt. Am Abend ging die Zerstörung weiter: Acht Minuten nach 21.30 Uhr erscholl bei der Familie Löwenthal in der Wallufer Straße 6 der Ruf „Jud, Jud, Jud“. Frau Löwenthal öffnete und musste zusehen, wie mit Äxten und Rohren ihr gesamtes Wohnungsinventar zerstört und der Herd umgestoßen wurde, sodass der Fußboden brannte. „Nach Fortgang der Täter löschte Löwenthal den Fußboden und richtete die Wohnung notdürftig mithilfe der Nachbarn wieder her.“

Vier Täter wurden nach dem Krieg verurteilt

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Zu Zuchthausstrafen von zwei bis fünf Jahren wurden vier Täter nach dem Krieg verurteilt.

Heute liest man auf dem Mahnmal, der übrig gebliebenen Rosette der Ostwand der Synagoge, unter anderem einen Spruch aus dem Buch Jesaja: „Kein Volk wird gegen ein anderes Volk mehr das Schwert erheben und sie werden nicht mehr das Kriegshandwerk erlernen.“