Das „Wechselmodell“ hat auch Tücken

Helfen bei Erziehungsfragen weiter (v.l.): Sozialpädagogin Dietburga Wieners und Psychotherapeut Jonas Göbel.Foto:wita/Paul Müller  Foto:

Wenn Eltern sich trennen, verändert sich das Familienleben schlagartig. Lange Zeit war es üblich, dass Kinder nach der Trennung eher bei der Mutter blieben. Der Vater zahlte...

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WIESBADEN. Wenn Eltern sich trennen, verändert sich das Familienleben schlagartig. Lange Zeit war es üblich, dass Kinder nach der Trennung eher bei der Mutter blieben. Der Vater zahlte Unterhalt und sah die Kinder an zwei Wochenenden im Monat. Doch inzwischen entscheiden sich Familien immer öfter gegen das klassische „Residenzmodell“ und für das sogenannte Wechselmodell, bei dem Kinder wechselweise bei beiden Eltern wohnen. Wie das funktioniert, wissen die Diplom-Sozialpädagogin Dietburga Wieners und der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut Jonas Göbel vom Wiesbadener Zentrum für Beratung und Therapie, die Eltern bei Erziehungsfragen beraten. Sie sagen: Das Wechselmodell ist nicht in jedem Fall die bessere Wahl.

Frau Wieners, Herr Göbel, welche Rolle spielt das Wechselmodell für Eltern in Wiesbaden?

Wieners: Das Wechselmodell gewinnt auch in Wiesbaden an gesellschaftlicher Bedeutung.

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Göbel: Es ist eigentlich bei jedem Auseinandergehen von Eltern ein Thema, wird vom Jugendamt zunehmend empfohlen und auch bei Familienrechtsprozessen thematisiert.

Wie erklären Sie sich die zunehmende Bedeutung des Wechselmodells?

Wieners: Die Grundidee des Wechselmodells ist ja schon im Gesetz verankert – beide Eltern tragen die Sorge für ihre Kinder. Früher einigten sich Eltern oft darauf, dass die Kinder bei der Mutter blieben. Doch die Vaterrolle befindet sich im Wandel, Väter wollen inzwischen mehr beteiligt werden. Deshalb ist heute nicht mehr automatisch die Mutter zuständig.

Göbel: Väter nehmen ja heute auch eher Elternzeit und das wird inzwischen in immer mehr Bereichen akzeptiert. Die klassische Rollenverteilung wird langsam aufgebrochen.

Wieners: Die Mütter fordern mehr Beteiligung der Väter.

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Ab wann spricht man von einem Wechselmodell?

Wieners: Wenn die Kinder mindestens zu 30 und 70 Prozent Zeit bei den beiden Elternteilen verbringen. Es gibt aber auch 50/50-Regelungen.

Kritiker sind der Meinung, dass der ständige Wechsel zwischen zwei Haushalten die Kinder belastet. Wie sehen Sie das?

Göbel: Das Wechselmodell ist eine sehr komplexe und chancenreiche Möglichkeit, stellt die Beteiligten aber vor unglaublich hohe Anforderungen. Läuft es gut, ist es die zweitbeste Lösung zu einer intakten Familie. Aber das Optimum ist nur schwer zu erreichen.

Was braucht es für das Gelingen?

Göbel: Es braucht noch mehr Kommunikation zwischen den Elternteilen als bei zusammenlebenden Paaren. Das ist eine Herausforderung für ein Paar, das sich gerade getrennt hat.

Wieners: Eine Trennung ist in vielen Fällen zunächst konflikthaft. Für das Wechselmodell ist aber Kooperation ein entscheidender Faktor. Da kommt es auf Zuverlässigkeit an und darauf, Absprachen einzuhalten.

Für welche Familien ist das Wechselmodell geeignet?

Wieners: Zunächst ist das Alter der Kinder entscheidend, denn für Säuglinge und Kleinkinder ist das Wechselmodell keine Option.

Göbel: In den ersten Lebensjahren ist das Bindungserlebnis extrem wichtig für die psychische Entwicklung. Ab dem Schulalter kann man über ein Wechselmodell nachdenken, denn dann macht das Kind ohnehin den Schritt aus der Familie hinaus.

Wieners: Wichtig ist auch, ob das Kind zu beiden Eltern eine gleich enge Bindung hat. Und die Eltern müssen so nah beieinander wohnen, dass es von beiden Wohnungen aus seine sozialen Kontakte halten kann.

Was kann denn schief laufen im Wechselmodell?

Göbel: Die Trennung zerstört die Kernfamilie des Kinds, deshalb ist es wichtig, ihm weiterhin ein Zuhause und Stabilität zu geben. Die Gefahr ist, dass es zwar zwei Zuhause mit zwei Betten hat, sich aber zerrissen und nirgendwo sicher fühlt.

Wieners: Das Kind sollte deshalb in beiden Wohnungen Kleidungen und persönliche Sachen haben und kein „Kofferkind“ sein. In jeder Wohnung ein Kinderzimmer – dafür müssen Eltern natürlich auch die finanziellen Ressourcen haben.

Göbel: Im besten Fall wohnen die Eltern in direkter Nachbarschaft und das Kind kann täglich entscheiden, wo es sein möchte. Und es kann sich darauf verlassen, dass es Papa eine Information gibt, die dann auch bei Mama ankommt. So wissen sie auch, dass sie ihre Eltern nicht gegeneinander ausspielen können. Die Gefahr bei getrennten Eltern ist, dass sie das Kind als Nachrichtenüberbringer nutzen. Mit dieser Verantwortung ist es überfordert.

Es gibt Vorstöße, etwa von der FDP, das Wechselmodell gesetzlich als Regelfall zu verankern. Was halten Sie davon?

Göbel: Es ist widersinnig, etwas so komplexes wie das Wechselmodell anzuordnen. Dabei schwingt ja die Idee mit, dass das zu mehr Gleichberechtigung der Eltern führt. Dabei regelt das Modell ja nur die Zeit, die die Kinder bei ihren Elternteilen verbringen, nicht, wie es ihnen damit geht.

Wieners: Die rechtlichen Bedingungen lassen das derzeit auch nicht zu. Bislang wird zum Beispiel das Elterngeld nur an ein Elternteil gezahlt und das Kind kann auch nur an einem Wohnort gemeldet sein.

Wo erhalten Eltern in Wiesbaden in diesen Fragen Unterstützung?

Wieners: Alle vier Wiesbadener Erziehungsberatungsstellen und das Jugendamt sind dafür qualifiziert. Familien haben einen Rechtsanspruch auf eine kostenfreie Beratung und sollten ihn auch annehmen.

Göbel: Im Optimalfall kommen Eltern schon vor der Trennung zu uns, dann können wir gemeinsam einen Plan erarbeiten. Es ist wichtig, Kindern die Trennung richtig zu erklären, denn sie tendieren dazu, sich selbst die Schuld dafür zu geben.

Die Weihnachtszeit ist für getrennte Eltern eine besondere Herausforderung. Wie lassen sich Konflikte vermeiden?

Göbel: Konflikte sind nicht selten. Das geht manchmal so weit, dass Gerichte in Eilanträgen entscheiden sollen, wo das Kind Weihnachten feiert. Jahrespläne sollten frühzeitig und fair gestaltet werden. Hat das Kind im vergangenen Jahr bei Papa gefeiert, ist diesmal Mama dran. Gerechtigkeit ist wichtig.

Das Interview führte Eva Bender.